************ Sebastian Lütgert ************ Georg Seeßlen über die deutschen Medien im Krieg Das Irritierende am Krieg in Jugoslawien ist nicht, daß er geführt wird, sondern die fast einmütige Kriegsbejahung der Boulevard- und bürgerlichen Presse, der privaten und öffentlichen Kanäle. KONKRET fragte den Kulturkritiker Georg Seeßlen nach den Hintergründen dieser freiwilligen Selbstgleichschaltung. konkret: Nahezu alle deutschen Medien befürworten den nichterklärten, völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Angriffskrieg der Nato gegen Jugoslawien. Auf welchem Einverständnis beruht ihr Einverständnis? Seeßlen: Unter vielem anderen auf einem gesellschaftlichen Projekt, daß man bislang nur in seiner taktischen, nicht aber in seiner strategischen Bedeutung erkannt hat, nämlich dem Pakt des moralischen mit dem wirtschaftlichen Flügel des neuen Kleinbürgertums. Die mythische Konstruktion der "Neuen Mitte" geht von einer moralischen Erzählung der Versöhnung von einstigen Widersprüchen aus, von der Integration der oppositionellen Ansätze in einer Gesellschaft, die die Impulse des Neoliberalismus (Kämpf' dich nach oben, mache Profit, genieße deine Macht, zeig was du hast, bewundere Effizienz!) mit den Impulsen des radikalen Moralismus (Rettet die Wale, den Regenwald, die bedrohten Völker, die Menschenrechte!) vereint. Wohlweislich definiert diese Allianz nicht, was dabei Zweck und was Mittel ist. Die sozial- und psychohistorische Forschung des nächsten Jahrtausends wird vielleicht klären, ob die Neue Mitte in den mitteleuropäischen Gesellschaften diesen Krieg als recht eigentliche Institution brauchte, ihn subjektiv sozusagen mitproduzierte, oder ob sie ihn um des eigenen Erhalts nur hinnehmen und dann im eigenen Sinne interpretieren mußte. Eine Tatsache ist indes, daß die Akzeptanz ihrer Führung im Mainstream sprunghaft angestiegen ist und in der Selbstinszenierung der Führung der Neuen Mitte wenig Skrupel zu erkennen sind, sie zu benutzen. Schröder, Scharping und Fischer geben nicht so sehr Antworten auf die Frage nach den Ursachen und Zwecken dieses Krieges, sie sind die Antworten. Das gesellschaftliche Umbauprojekt umfaßt nicht nur die individuellen politischen und sozialen Biographien, sondern die Identität einer informellen Klasse, zu der insbesondere auch die Insassen der Medienanstalten gehören. Wer aus der moralischen Erzählung dieses Krieges aussteigt, wird nicht nur manisch stigmatisiert - er oder sie kann nur wahnsinnig oder verräterisch sein - er oder sie stellt auch seine eigene Identität im Projekt dieser Neuen Mitte in Frage. konkret: Die Fernsehbilder zeigen uns immer wieder das gleiche: das sprachlose und ikonographisch inszenierte Elend der Flüchtlinge sowie die Zerstörungen der jugoslawischen Infrastruktur. Die geringste Aufmerksamkeit erfahren die Opfer der jugoslawischen Zivilbevölkerung, die wie Späne betrachtet werden, die beim Hobeln angefallen sind. Seeßlen: Dieser Krieg versteht sich in unserer Politik und in unseren Medien als Melodrama. Es ist eine Erzählung, die keine Transzendenz kennt, weder den göttlichen Auftrag noch den historischen Plan, weder Eroberung noch Verteidigung. In diesem Krieg träumt niemand davon, daß er - einzig verbliebene humanistische Legitimation - der letzte zu sein hat, wenigstens in einer Region. Er ist wie die, die ihn führen lassen: nicht rational, aber "authentisch". Seine Moral beweist sich gerade darin, daß er wider die Vernunft geführt wird. Er ist vielleicht in seinem Meta-Text sogar selbst ein Krieg der Moral gegen die Vernunft. Wir werden über alles Maß hinaus blind gegenüber dem Leiden der serbischen Bevölkerung, übrigens ein eklatanter Unterschied zwischen der deutschen Berichterstattung und der in benachbarten Ländern, weil es das melodramatische Erzählen stören würde. Das erste Opfer des Krieges, betonen unsere Medien, ist immer die Wahrheit. Das ist schon tausendmal gelogen. Wenn es in den Zeiten des Nicht-Krieges die Wahrheit gäbe, dürfte es zu keinem Krieg kommen. Oder irgendwas müßte mit der Wahrheit nicht stimmen. Die ersten und einzigen Opfer eines jeden Krieges sind immer konkrete Menschen. Eine Blickwechsel, das Sehen des anderen, die Ahnung des Widerspruchs, würde diese Erzählung zum Einsturz bringen, die ein großes Versprechen birgt: dazuzugehören. Nicht mehr außen zu sein, kein einzelner, nicht mehr heimatlos. Diese Wir-Sehnsucht, so scheint es, verbindet die hohlköpfigsten Menschen mit denen, denen wir vordem noch den einen oder anderen klaren Gedanken zugetraut haben. Wenn man aber einmal in dieser Erzählung ist, kann man ihren Text nur wahrhaft erbarmungslos zu Ende führen. Er ist eine Beziehungsfalle: Wird man auf der einen Seite aus Mitleid zum Kriegsbefürworter, so wird man auf der anderen Seite vom Kriegsgegner zum Unmenschen. Nicht einmal diese Perfidie der psychologischen Kriegsführung, die zugleich ewigwährender Wahlkampf ist, konnte uns diese Neue Mitte ersparen. konkret: Wer ist der Feind der Staatengemeinschaft? "Serbenführer Milosevic", ein ähnlicher National-Populist wie Haider, Le Pen, Jelzin oder Schröder ("Deutsche Autos zuerst!") kann es nicht sein, Slawentum und Kommunismus spielen wohl auch keine Rolle. Das Propagandaministerium (Scharping, Fischer) insistiert auf "Deportation eines Volkes", "Völkermord", ohne jedoch bislang ausreichende Belege oder Beweise dafür liefern zu können. Seeßlen: Nie hat es im Bild des Feindes etwas anderes gegeben als den erschreckten und brutalisierten Blick in den Spiegel. Träumt hier etwa niemand von ethnischer Säuberung? Will hier niemand in der wärmenden Wolke der nationalen Mythologie leben? Waren wir etwa die Alternative, jene menschliche Gesellschaft, deren Glück jenseits der Grenzen dazu verführt hätte, kulturelle Entwicklungen statt gegenseitige Massaker voranzutreiben? Milosevic ist die schreckliche Karikatur, die uns zur Kenntlichkeit entstellt. Schrecklich ist der Feind, der gar nicht verschweigt, nach welchen Bildern er sich formte. Und der schrecklichste aller Feinde ist der verschwindende Feind. Müssen wir Serbien bombardieren, um mit einem humanen Sinn zu belegen, daß wir einst selbst als Mitglieder einer faschistischen Macht bombardiert worden sind? Bombardiert sich die Neue Mitte von der Vergangenheit frei? Sind wir endlich auf Seiten der "Guten"? Können wir endlich Hitler töten? Nichts wäre absurder! Denn der moralisierte Krieg, der Krieg der Gutmenschen, kann kein Ende sehen. Wenn er seine eigene Moral zu Ende denkt, kann er nur zum letzten, zum totalsten, zum endlosen Weltkrieg führen. Und zum Feind müßte dabei jeder werden, der sich außerhalb des Projektes der Versöhnung von Menschenrechts-Moral und Neoliberalismus befindet. Die nächsten Bomben fallen, um einen bescheidenen Swiftschen Vorschlag zu machen, auf Gesellschaften, in denen Klitorisbeschneidungen oder Tabakanbau geduldet werden. konkret: Für Deutschlands Wiederauferstehung als Kriegsnation spielt anscheinend "Verantwortung" eine große Rolle: die Verantwortung vor der Staatengemeinschaft, die seit der Wiedervereinigung gewachsene Verantwortung vor der Geschichte, die Verantwortung der Soldaten - abgesehen, natürlich, von Milosevics Verantwortung für alles, was geschieht. Was verantworten die Deutschen eigentlich? Seeßlen: Sich selbst. Und dies mit der gewohnten Impertinenz. Denn die Referenz dieser Verantwortung ist nirgends definiert, wurde nirgends debattiert, auch sie besteht nur in einem Zirkelschluß: Verantwortlich sein gegenüber den anderen Verantwortlichen, verantwortlich in der Geschichte der Verantwortlichkeit, verantwortlich beim Mitmachen und Drinnensein. Schon deshalb konnte Herrn Fischers Replik auf Gregor Gysi um keinen Preis der Welt etwa mit den Worten beginnen: "Ich respektiere Ihre Haltung", sondern er mußte ihn als "Weißwäscher des Faschisten" attackieren. Die Verantwortung der Neuen Deutschen Mitte besteht darin, daß sie sich als selber moralisch Leidende inszeniert und ansonsten keinen Widerspruch zuläßt. Es wird Einheit hergestellt, wir alle sollen diese Verantwortung teilen. Damit hinterher niemand verantwortlich gemacht werden kann. (konkret 5/99) ******************************************************************************** ROLUX h0444wol@rz.hu-berlin.de http://www2.hu-berlin.de/~h0444wol/rolux/