________________________________________________________________________________ Zum einen Auge rein, zum anderen Auge raus Ein Gespräch zwischen Klaus vom Bruch und Daniel Pflumm Moderation: Tilman Baumgärtel Anlauftext: Im Sommer 1998 waren in Berliner Galerien gleich zwei Austellungen von Klaus vom Bruch zu sehen. Bei Schipper & Krome gab es Videos aus den 70er und 80er Jahren, die per Digital Editing überarbeitet oder „remixt“ worden waren. Max Hetzler zeigte eine neue Werkgruppe vom Bruchs, der gerade von Köln nach Berlin gezogen war. So unterschiedlich diese Arbeiten in ihren Motiven auch waren, eins hatten sie gemeinsam: Es handelte sich um extrem reduzierte Videoloops - kurze, sich wiederholende Schleifen von Filmbildern, die neueren Arbeiten waren zum Teil so stark komprimiert, daß man fast keine Bewegung mehr wahrnehmen konnte. In Berlin hat in den letzten Jahren ein anderer Künstler auf sich aufmerksam gemacht, der ebenfalls mit Videoloops arbeitet: Daniel Pflumm. Seine Tapes waren seit Anfang der 90er Jahre in einer Reihe von Clubs und Bars zu sehen, die in Berlin heute zum Teil legendären Status haben: im Elektro, WMF und Panasonic oder zuletzt in der Bar der Kunsthalle an der Chausseestrasse. Wer sich in den letzten Jahren im Berliner Nachtleben bewegt hat, hat höchstwahrscheinlich einige von Pflumms Videoloops gesehen - ob er sie nun als Kunst erkannt hat oder nicht. Mit seinen Videoarbeiten gehört Pflumm zu den Künstlern, deren Werk für das geistige Klima in Berlin nach der Wende charakteristisch war. Doch während Vom Bruch vorwiegend mit Bildern aus Hollywoodfilmen der 40er Jahre, mit Dokumentaraufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg, gelegentlich auch mit Werbefilmen arbeitet, schöpft Pflumm in seinen Arbeiten aus dem Motivspeicher der Informationsgesellschaft und läßt in seinen Videos Firmenlogos und Markenzeichen zum Leben erwachen. Zusammen mit den Technoproduzenten Mo und Kotai hat er eine Reihe von Schallplatten und Videos gemacht, die unter anderem von den Musiksendern MTV und Viva gezeigt wurden. Obwohl Pflumm (31) und vom Bruch (47) aus verschiedenen Mediengenerationen stammen, gibt es strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen ihren Arbeiten. Darum habe ich Klaus vom Bruch und Daniel Pflumm eingeladen, einige Gedanken über die eigenartige Form der Videoloops miteinander auszutauschen. Diesem Gespräch liegt der Verdacht zu Grunde, daß Loops ein bisher übersehenes Unterkapitel der Kunstgeschichte der Modernen sind, das man bis zu Duchamps „Rotoreliefs“ zurückverfolgen kann. Tilman Baumgärtel Interview Tilman Baumgärtel: Die Ausgabe des „Kunstforums“, in der dieses Interview erscheinen soll, hat als Oberthema die „Ökonomie der Aufmerksamkeit“. Mit Ihren Videoloops fokussieren Sie die Aufmerksamkeit des Betrachters auf winzige Details eines Bewegungsablaufs. Aber was für eine Rezeptionshaltung wünscht Sie sich beim Betrachter Ihrer Arbeiten? Hätten Sie lieber aufmerksame Betrachter, oder könnten Ihre Videos auch als eine Art audiovisuelles Raumelement in der Ecke vor sich hin laufen? Daniel Pflumm: Natürlich ist mir ein aufmerksamer Betrachter lieber. Ich würde es schon gut finden, wenn sich der Betrachter damit beschäftigen würde, sonst geht es zum einen Auge rein und zum anderen wieder raus. Klaus vom Bruch: Mir geht es darum, den Betrachter in einen anderen Zustand zu überführen und ihn durch die Intensität des Loops anders zu entlassen, als er hereingekommen ist. Es geht bei den Loops darum, daß man eine neue Sicht auf die Dinge bekommt. Ich will das, was einem in einem Film oder im Fernsehen nur momentartig auffällt, so raffinieren, daß es zu einer künstlerische Form führt. In meinen Loops steckt eine Sehnsucht, die sexueller Natur ist: den schönen Moment festzuhalten. Etwas Rituelles, fast könnte man es schamanistische Extasetechnik nennen: das menschliche Begehren, den Augenblick anzuhalten, auch wenn man weiß, daß das unmöglich ist, weil man diesen Moment eben nur in der zeitlichen Abfolge erfahren kann. Die Loops sind ein Versuch, den Moment immer wieder zu wiederholen. Das ist zwar irreal, aber mit diesem Medien Video kann man es wenigstens vorführen. Baumgärtel: „Verweile doch, du bist so schön“ Gilt das auch für Sie, Herr Pflumm? Pflumm: Es geht mir weniger darum, einen Moment festzuhalten als ihn vorwegzunehmen. Durch meine Loops werden die Leute darauf hingewiesen, weswegen man fernsieht. Darum müssen sie nicht mehr stundenlang vor dem Fernseher sitzen und warten und sich durch die Kanäle zappen. Baumgärtel: Aber in Ihren Videos sieht man meist animierte Markenzeichen und Ausschnitte aus Werbefilmen. Ist das wirklich so ein schöner Moment, daß man immer wieder erleben will? Pflumm: Beim Fernsehen geht es doch nur darum, die Pausen zwischen den Werbeblöcken zu füllen. Mit der Ausnahme von guten Kinofilmen, bei denen die Werbung schon unangenehm auffällt, ist doch das ganze Programm so gemacht, daß es den Bedürfnissen der Werbung entspricht. Die Privatsender müssen sich durch Werbung finanzieren. Also müssen sie sich überlegen, wie sie die Pausen zwischen den Werbeblöcken am effektivsten auffüllen. Baumgärtel: Und darum interessieren Sie sich nicht für die Lückenbüßer, die Sendungen, sondern für das eigentliche Programm: die Werbung? Pflumm: Das muß man ja. Die Werbung ist am teuersten. Da kommen in einem Werbeblock sechs Spots a 30 Sekunden, die jeweils zwei Millionen Mark gekostet haben. Dagegen sieht jede TV-Produktion blaß aus. Baumgärtel: Was genau machen die Loops mit dem Betrachter? Geht es darum, ihn durch die Wiederholungen zur Auseinandersetzung mit bestimmten Bildern zu zwingen? Oder vielleicht - gerade im Gegenteil - darum, die Bilder durch die ewigen Wiederholungen so redundant werden zu lassen, daß man sie gar nicht mehr wahrnimmt? Vom Bruch: Nein, sie führen einen zu sich selbst. Bestimmte Dinge, die sich wiederholen, lösen beim Menschen ekstatische Zustände aus, die auch wieder auf ihn verweisen. Die menschliche Kultur basiert ja auf sich wiederholenden Ritualen. Für das Thema „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ heißt das also: minimale Variationen im Rhythmus reichen aus, um alle möglichen Zustände einer menschlichen Existenz auszuloten. Das ist meine Strategie bei den Loops: Ich erreiche ganz viel durch ganz wenig. Baumgärtel: Herr Pflumm, warum zeigen Sie Ihre Videos überhaupt in Clubs, wenn Sie ein aufmerksames Publikum wollen? Da gehen die Leute doch eigentlich zum Tanzen hin, und nicht, um sich mit Kunst zu beschäftigen? Pflumm: Entweder die Leute im Club sehen hin, und dann interessieren sie sich auch dafür. Oder sie sehen nicht hin. Dann schaffen sie es wenigstens endlich einmal, einen Fernseher zu sehen, ohne fernzusehen. Vom Bruch: Die Loops wirken sich im Club ja körperlich aus. Es ist eine orgiastische oder bacchiantische Situation, die aber mit sehr kalten, technischen Mitteln hergestellt wurde. Das steht natürlich auch in der Tradition des Experimentalfilms. Bei Leuten wie Oskar Fischinger oder Viktor Eggeling gibt es das ja auch: die Wende gegen eine narrative Erzählpraxis, und eine Beschäftigung mit Licht, mit Form, Farbe und Rhythmus. Der Genuß bei der Videokunst hängt vom eigenen Perversionsgrad ab. Wie kann ich mich auf etwas einstellen, was mir so fremd ist, mich aber trotzdem in einen Zustand überführt, den ich nachher als großes Erlebnis empfinde? Darum ist es auch egal, ob es im Museum oder in einer Galerie passiert oder zum Beispiel zuhause, wenn die Platte auf dem Plattenspieler hängen bleibt. Baumgärtel: Wie sind Sie darauf gekommen, sich als Künstler mit Videoloops zu beschäftigen? Vom Bruch: Meine ersten Loops habe ich mit der Laterna Magica gemacht, die ich als Kind auf dem Dachboden meiner Großmutter gefunden hatte. Da gab es kurze Zelluloid-Streifen, die man in den Projektor einspannen konnte, und die auch schon Loops waren. Später blieb meine erste Super-8-Kamera dauernd hängen. Darum mußte ich sie immer wieder aufdrehen, um ein Selbstportrait zu machen. Dabei blieb sie sofort wieder hängen. Auf dem Film sah man eigentlich nur, wie ich schnell vor die Kamera gehe. Als ich mit Video angefangen habe, ist mir wieder eingefallen, daß das eine schöne Sache war, die ich mit neuer Absicht wieder aufgreifen konnte. Ich hatte nur einen Rekorder, mit dem ich viel aus dem Fernsehen mitgeschnitten habe. Eine Farbkamera konnte ich mir nicht leisten. Da dachte ich mir: warum das Thema variieren, wenn ich den eigentlichen Moment aus einem Film sowieso schon habe. Und dann habe ich angefangen, diesen schönsten Momente so zu wiederholen, bis der Betrachter ihn körperlich empfindet. Baumgärtel: Herr Pflum, wie sind Sie denn auf die Arbeit mit Video und Videoloops gekommen? Sind sie bei Ihrem Studium an der Berliner Hochschule der Künste (HdK) auch mit der Geschichte der Videokunst konfrontiert worden, und kannten daher vielleicht auch die Loops von Klaus vom Bruch? Pflumm: Wenn ich mich da auf die HdK verlassen hätte, hätte ich davon wohl nie etwas gehört. Ich weiß noch nicht mal, ob es da einen digitalen Schnittplatz gibt. Und wenn es einen gibt, dann kommt man nicht ran. Ich habe 1991 in Berlin meinen ersten Club, das „Elektro“, aufgemacht. Da gab es einen Fernseher, und für den habe ich dann die ersten Videos produziert. Später habe ich mir einen Computer mit einer Videokarte gekauft, und angefangen, kurze Musikvideos und Trailer zu machen. Eigentlich wollte ich mich ganz auf Trailer spezialisieren. Da man aber mit der Technik, die ich hatte, nur wenige Sekunden korrekt ausspielen und auch nur begrenzt mit Ton arbeiten konnte, lief alles darauf hinaus aus der Not eine Tugend zu machen. Baumgärtel: Welche Rolle spielt bei den Loops die Technik? Hat sich durch Digital Editing am Computer etwas verändert im Vergleich zu dem Schneiden am Schneidetisch? Vom Bruch: Die allerersten Tapes, bei denen ich mit Loops gearbeitet habe, habe ich noch per Hand am Schneidetisch geschnitten. Das „Propellerband“ von 1979 ist zum Beispiel 30 Minuten lang, und besteht aus lauter ganz kurzen Sequenzen. Da konnte ich froh sein, wenn ich an einem Tag vierzig Schnitte geschafft habe. Das war, als würde ich auf Schicht gehen. Darum habe ich ab 1980 angefangen, mich mit Computer-gesteuertem Editing zu arbeiten. Zuerst habe ich mit einem Basic-Programm Schleifen programmiert, damit den Schnittrecoder angesteuert, und dadurch Sequenzen in „Wiederholungsgeometrien“ verwandelt. Heute digitalisiere ich die Sequenz und gebe sie direkt in einen Macintosh-Computer mit Videokarte ein. Ich habe immer gegen die „repräsentativen Apparate“ polemisiert, und inzwischen kann ich wirklich mit einem handelsüblichen Computer genau das machen, was ich mir vorstelle. Das hat S-VHS-Qualität und ist für mich vollkommen ausreichend. Pflumm: So mache ich das auch. Ich habe nur Anfang der 90er Jahre mal an einem Schnittplatz Loops produziert. Da konnte man froh sein, wenn von drei Schnitten nur einer daneben gegangen ist. Und am besten hat man jeden Schnitt sowieso noch mal gemacht. So haben wir damals das „James-Bond-Video“ produziert. In den James Bond Filmen ist es ja ein Höhepunkt, wenn jemand an einem Schaltpult einen Hebel umlegt oder einen Schalter drückt. Und genau diese Szenen haben wir dann kompiliert an einem Schnittplatz, der selbst so ähnlich aussah wie die Schaltpulte aus den James-Bond-Filme aus den 70er Jahren. Klaus vom Bruch: Der Vorteil beim Digital Editing ist, daß man schnell sieht, wie es wird. Bei solchen ganz kurzen Loops, die aus fünf oder sechs Frames (Einzelbildern - T.B.)bestehen, kann man erst nachher, wenn es eine bestimmte Länge hat, sehen, wie es wirkt. Das gilt für das Bild, aber auch für den Ton. Beim „Charmant Band“ kommt zum Beispiel durch die Wiederholungen eine andere Bedeutungsebene hinein, die sich von selber einstellt, wenn man das immer wieder hört. Es ist immer derselben Text, nämlich „Charmant Charmant“. Durch die Wiederholungen zwingt sich ein anderer Text auf, gegen den man sich nicht wehren kann. Baumgärtel: Können Sie sagen, was Fernsehen für Sie bedeutet? Vom Bruch: Es gibt eine idyllische, ländliche Kultur, eine städtische Kultur und eine Fernsehkultur. Das Fernsehen schafft eine eigene Realität, daran ist gar nicht zu deuteln. So erscheinen uns die Teile der Welt als ausschnitthafte Bilder aus der großen Fiktion. Die Welt ist alles, was ins Fernsehen fällt. Und an diese fotogene Realität muß man sich gewöhnen. Pfumm: Die zwei Stunden, die man vor dem Fernseher sitzt, sind gleichzeitig die Realität in den Köpfen von Millionen von Leuten. Und diese Realität ist so einfach aufzuschlüsseln. Im Grunde sind das immer nur 576 mal 768 Pixel, und für so eine Realität ist das schon ein bißchen wenig. Die Grafiker wollen ja diese Bilder aus meinen Videos in Zeitschriften und Katalogen immer gar nicht abdrucken, weil deren Auflösung so schlecht ist. Trotzdem verbringen die Leute mit dem Fernsehen soviel Zeit, daß dadurch eine Realität geschaffen wird. Und diese Realität kann man schon dadurch beeinflussen, indem man selber Fernsehen macht. Man kann die Realität des Fernsehen am besten mit dem Medium Fernsehen spiegeln. Vom Bruch: Das Fernsehen ist ja immer noch weltweit sehr erfolgreich. Wenn man in Amerika das Fernsehen abstellen würde, würde das zu einem Massenwahnsinn der Bevölkerung führen. Jeder kriegt das Fernsehen, das er verdient. Pflumm: Deswegen muß es ja endlich mal besseres Fernsehen geben. So kann es ja nicht weitergehen, sonst guckt da ja irgendwann keiner mehr hin. Baumgärtel: Würden Sie sagen, daß Ihre Arbeit auch durch die Einführung des kommerziellen Fernsehens in Deutschland beeinflußt worden ist? Pflumm: Das war die zweite Lernstufe. Die erste war, daß es verschiedene Fernsehsysteme und verschiedene Politksysteme gibt. Ich fand das DDR-Fernsehen immer super, mal abgesehen davon, daß es natürlich eine traurige Realität als Grundlage hatte. Aber daß es zwei verschiedene Fernsehsysteme in Deutschland gab, war schon ein Nachhilfekurs über Lügen im Fernsehen. Ich glaube, dadurch sind die Deutschen in punkto Fernsehen auch schlau geworden. Es gab diese beiden konkurrierenden Propagandasysteme, und man konnte sie durch einen Knopfdruck auf der Fernbedienung gegenüberstellen. Baumgärtel: Aber in Ihrer Arbeit beschäftigen Sie sich kaum mit politischer Ikonographie, sondern mit der Ästhetik von Werbung und Marketing... Pflumm: Die Wirtschaft ist heute längst mächtiger als die Politik,und das Wahrenzeichen ist ihr Heiligtum. Ich hoffe, daß sich das irgendwann mal wieder ändern wird, aber im Augenblick ist es eben so. Eine Zeitlang dachte ich, daß man Menschen nicht loopen darf, weil das irgendwie unethisch sei. Inzwischen bin ich schon so weit, daß ich auch Menschen loope, zumindest Medienmenschen, die haben es ja so gewollt. Ich habe ein Video aus „CNN Question & Answers“ gemacht. Da sieht man die beiden Interviewten, die aus verschiedenen Städten zugeschaltet sind, auf zwei kleinen Bildausschnitte auf dem Monitor. In dem Moment, den ich benutzt habe, sehen die beiden nur in die Kamera, ohne zu reden, weil sie einem Anrufer zuhören. Darunter steht „Call from Germany“. Das kann man so perfekt loopen, daß man eigentlich keinen Schnitt mehr sieht. Das ist mit Minimal Techno unterlegt, und die beiden bewegen die Augen im Takt. Wenn man das im Club zeigt, sieht es so aus, als würden sie schockiert durch die Fernsehscheibe auf die Leute gucken. Baumgärtel: Klaus vom Bruch, bei Ihnen ist das Ausgangsmaterial seltener aus dem Fernsehen, sondern eher Kriegsdokumentationen und alte Hollywoodfilme aus den 40er Jahren... Vom Bruch: Ich habe mir aus dem Fernsehen Bilder gestohlen, und damit ein persönliches Archiv geschaffen, mit dem ich ikonographisch arbeiten kann. Das Archiv ist die Resource für eine Bildermaschine. Die Kriegsbilder waren zum Beispiel der Griff nach einer Zeit, die vor mir waren. Ich habe ins Archiv gegriffen nach Bildern, die mit Geschichte besetzt waren, um zu fragen: Wo bin ich denn? Pflumm: Manche Leute sagen ja, daß die ganze Geschichte nur noch ein einziges Loop ist. Vom Bruch: Da nützt es nichts, sich hinzustellen und zu sagen: „Ich bin dagegen.“ Es ist politisch interessanter, sich diese Werbebilder und Marketingsprüche zu schnappen und zu zeigen: so sieht es aus. Und wenn man dann nur noch Nesquick, Marmelade und Waschpulver sieht, wird sich jeder Fragen stellen: in was für einer Welt lebe ich eigentlich? Pflumm: Ja, das hätte ich eigentlich nicht besser formulieren können. Aber selbst wenn man das nicht erreicht, kann man über Videos immer noch einen Impuls an die Zuschauer übermitteln, und das ist ein tolles Ziel. Baumgärtel: Ihr kommt beide aus verschiedenen Mediengenerationen. Klaus vom Bruch dürfte sich noch daran erinnern können, wann der erste Fernseher in die Wohnung getragen wurde... Vom Bruch: Ich gucke Fernsehen seitdem ich vier bin, seit der Krönung der englischen Königin. Und ich kann an mir noch keine bleibenden Schäden feststellen. Baumgärtel: Daniel Pflumm, Sie sind mit dem Fernsehen aufgewachsen. Klaus vom Bruch hat vorhin von der „Perversion“ von Video gesprochen. Empfinden Sie diese technischen Medien auch noch als pervers, oder sind sie ein selbstverständlicher Teil Ihrer Umwelt? Pflumm: Natürlich hat es etwas perverses. Aber wenn man selbst pervers ist, merkt man das ja nicht unbedingt. Baumgärtel: Diese „perversen“ Tapes erreichen aber einen relativ großen Kreis von Leuten, weil sie in Berliner Clubs wie dem Panasonic oder dem WMF gezeigt wurden... Pflumm: Ich habe zuhause am Computer gesessen und gearbeitet, und wenn es neun Uhr abends war, habe ich eine halbe Stunde ausgespielt, das Tape mit zum Panasonic genommen und es dort in den Rekorder geschoben. Und dann haben mir plötzlich tausend Leute auf die Schulter geklopft. Dabei habe ich eigentlich nur gemacht, was mich selbst interessiert hat: eine Art Forschung, oder vielleicht mehr ein Spiel als Forschung. Was dabei rauskommt, ist vielleicht ganz gut, vielleicht auch nicht, vielleicht muß man auch noch ein bißchen daran arbeiten, wie das beim Spielen eben so ist. Bei den Videos, die ich mache, arbeite ich viel mit Zufall, und eigentlich gebührt dem Zufall der Beifall. Vom Bruch: Aha, das alte Duchampsche Faulheitsprinzip. Das ist ja die alte Rivalität: die Maler sind fleißig, die Videokünstler sind faul. Früher habe ich pro Jahr zwei Tapes produziert. Da haben die Museumsleute immer gesagt: Mensch, das ist ja toll! Was muß der für eine Zeit zum Lesen haben oder um sonst etwas vernünftiges zu tun! Pflumm: Das sehe ich etwas anders. Bei einer Animation ist es sehr viel Arbeit, die so einzuprogrammieren, daß der Computer versteht, was er damit machen soll. Wenn der Computer so schlau wäre wie wir, müßte er das im Nullkommanix selbst hinbekommen. Soviel tun die nun auch wieder nicht. Baumgärtel: Du produzierst aber trotzdem sehr viel... Pflumm: Ja, das will ich auch beibehalten. Der Output muß so hoch sein. Man muß die ganze Zeit dabei sein, denn das ist ja auch eine Chance, sich und seine Inhalte zu vermitteln. Und mehr will man ja gar nicht. Baumgärtel: Was für Inhalte sind das denn, die da vermittelt werden sollen? Der Look deiner Loops ist ja sehr glatt, sehr sauber - fast so wie die Werbespots, auf denen die meisten von ihnen ja auch basieren. Wenn man das mal mit den Loops vergleicht, die Klaus vom Bruch in den 80er Jahren gemacht hat, sieht man einen recht großen Unterschied. Während vom Bruchs Loops oft mit der Kollision und der Differenz von ganz verschiedenen filmischen Materialien arbeiten, erscheinen deine Loops eher affirmativ. Man könnte fast sagen, daß du die Warenlogos, mit denen du oft arbeitest, noch besser aussehen läßt... Pflumm: Ja klar, das ist auch gewollt. Diese Loops sollen die Bilder, mit denen ich arbeite, in Frage stellen. Aber nachdenken müssen die Leute schon selbst. Man kann sich nicht auch noch für die Zuschauer den Kopf zerbrechen. Wenn man etwas affirmativ hinstellt, heißt daß ja noch längst nicht, daß man das selbst gut findet. Ich finde vielleicht bloß die Ästhetik gut. Mir haben solche Logos schon immer gefallen. Vom Bruch: Ich finde nicht, daß eine vordergründige Affirmation auch in ihrer Wirkung affirmativ sein muß. Sie kann ja auch genau das Gegenteil bewirken. Wenn man an diese ganze kritische, engagierte Politkunst der 70er Jahre denkt, die ist doch zu einer reinen Betroffenheitsveranstaltung verkommen. Man macht nicht ein politischen Thema, sondern ein Thema politisch. Die Frage dabei ist: wirkt das Resultat zeitlos, oder ist es nur eine tagesaktuelle Kommentierung? Denn das ist meiner Ansicht nach die Gefahr bei vordergründig kritischen Arbeiten, die nur ihre guten Absichten dokumentieren. Pflumm: Aber die guten Absichten sind unheimlich wichtig. In einigen meiner Arbeiten wird der Fernseher auf ein leuchtendes Objekt reduziert. Ich will den Leuten damit die Angst vor diesem einschüchternden Fernsehen nehmen, und ihnen zeigen, daß sie vor ihm nicht alleine sind. Aber man kann auch besseres Fernsehen produzieren. Wenn man es schafft, in ein Spartenmagazin auf „Viva“ zu kommen, das deutschlandweit ausgestrahlt wird, kann man seine Inhalte schon an ziemlich viele Leute vermitteln. Das ist eine riesige Chance, auf sich und die eigene Kultur aufmerksam zu machen - nicht in einem kommerziellen Sinne, sondern als Hinweis darauf, daß man da ist, als Störstelle. Wenn man die Videos statt im Fernsehen im Museum laufen läßt, ist es eigentlich fast dasselbe - bloß daß die Einschaltquote niedriger ist. Baumgärtel: Ein Dauerproblem bei Videokunst ist ja die Ausstellbarkeit. Video ist ein zeitbasiertes Medium, aber die Zeit der meisten Museumsbesucher ist recht begrenzt... Vom Bruch: Bei einer Videoinstallation kann man die Leute nicht für 14:00 Uhr einladen, und dann ein Band zeigen. Ich muß von der Zufälligkeit der Begegnung ausgehen. Bei einem Loop kann der Betrachter immer wieder einsteigen. Darum sind Jenny Holzers Leuchtkästen oder die Neon-Animationen von Bruce Naumann im Grunde ebenfalls Loops. Die haben dieses Prinzip ja direkt von den Leuchtreklamen übernommen. Bei einem bewegten Medium, das an einem festen, statischen Ort gezeigt wird, kann man gar nicht anders arbeiten. Baumgärtel: Daniel, die Präsentation von Ihren Videos in Museen fand ich immer etwas enttäuschend, um ehrlich zu sein. Im „Panasonic“ wirkten sie wie ein natürlicher Teil der Einrichtung, aber im Museum wirkten sie oft deplaziert - und zwar nicht nur, weil die Monitore immer in der Nähe von Fenstern zu hängen scheinen, wo sich das Sonnenlicht im Monitor spiegelt und das Bild stört, wie zum Beispiel bei der Ausstellung „Ars Viva“ im Hamburger Bahnhof... Pflumm: Daß die Monitore immer in der Nähe von Fenstern hängen ist durchaus bewußt und beabsichtigt. Der Monitor ist auch ein Fenster zu einer anderen Realität. Die Videos in den Museen sind nicht nur, aber hauptsächlich zu dem Zweck produziert worden, um dort gezeigt zu werden. Die Videos, die im Panasonic gespielt wurden, sind nie woanders gelaufen. Man sollte nicht ewig auf einer Idee insistieren. Bei einer Ausstellung könnte man natürlich auch ein Loop 40 Minuten lang zeigen. Aber dann hätte man viel mehr Leute terrorisiert und könnte gleichzeitig viel weniger Inhalte transportieren, was ja eigentlich mein Anliegen ist. Hätte man die Videos, die ich bei der „Ars Viva“ gezeigt habe, komplett sehen wollen, hätte man eine Stunde davor stehen bleiben müssen. Ich glaube nicht, daß das jemand gemacht hat - außer einem Teenager. Das hat mir jemand vom Museum erzählt. Darauf bin ich sehr stolz. Der hat sogar ein „Elektro“-T-Shirt gekauft! Vom Bruch: Wie sich die Ausstellbarkeit von Video entwickeln würde, war ja bis vor ein paar Jahren gar nicht abzusehen. Wenn man heute über den Kunstmarkt geht, ist inzwischen auf fast jedem Stand mindestens ein Video zu sehen. Wir triumphieren jetzt mit dem Medium in einer Art und Weise, die wir gar nicht voraussehen konnten. Ich habe das zwar immer geahnt, aber jetzt ist es wirklich passiert. Video in Ausstellungen wird angenommen. Das hat also funktioniert. Baumgärtel: Ich glaube, daß ihr beide stark von Musik inspiriert worden seid. Könnt ihr dazu etwas sagen? Vom Bruch: Ich war mit 24 in Kalifornien, weil es mir unmöglich erschien, Video an einer deutschen Kunstakademie zu studieren. Am California Institute of the Arts habe ich ein Jahr bei John Baldessari und Bruce Naumann studiert. Die waren im Gegensatz zu den Europäern für solche Experimente offen. Die Amerikaner haben zu dieser Zeit gerne mit so einer Soap-Opera-Ästhetik gearbeitet. Ich wollte aus der Sprache heraus. Daher bin ich auf Töne und Musik gekommen und habe mich für eine Kombination von Bild- und Klangmontagen interessiert. Baumgärtel: Daniel Pflumm, ist es für Sie auch „eine Flucht aus der Sprache“, wenn Sie Ihre Videos mit Minimal Techno unterlegen? Pflumm: Nein. Die neuen Produktionen werden durchaus Sprache enthalten, auch auf der Tonspur. Und bei „AT&T“ gibt es zum Beispiel Untertitel: die fiktiven Telefongespräche zwischen Mo und Kotai, den Musikern von Elektro Musik Department, unserem Label, und mir. Deren minimaler Techno paßt einfach am besten zu meinen Videos. So wie ich Techno verstehe, ist diese Musik die absolute Übersteigerung von jeglicher Form rhythmischer Musik. Baumgärtel. Aber es gibt doch bestimmte Zusammenhänge zwischen der Ikonographie von Techno und deinen Videos, zum Beispiel der Ge- und Mißbrauch von Markenzeichen und Warenlogos. Ich habe deine Videos immer als eine Art Visualisierung von Techno empfunden... Pflumm: Techno arbeitet auch mit Wiederholungen und Loops. Es hat schon viel mit Techno zu tun, aber nicht mit dieser „Technobewegung“... Vom Bruch: Diese Wiederholungen, mit denen Techno arbeitet, hat man doch in fast jeder Art von Musik. Selbst in der sogenannten E-Musik gibt es Leitmotive. Wenn man die Musik dazwischen wegläßt, ist das ja auch ein Loop. Da ist die ganze Komposition so aufgebaut, daß sie immer wieder zu dieser Wiederholung des schönen Moments hinführt. Techno ist nur die Radikalisierung dieser kompositorischen Idee. Baumgärtel: Daniel Pflumm, würden Sie sagen, daß die Aufbruchstimmung, die Anfang der 90er Jahre in Berlin geherrscht hat, Ihre Arbeiten beeinflußt hat? Pflumm: Ja, auf jeden Fall. Ich muß aber auch sagen, daß ich mit keiner vorgefertigten Idee an meine Arbeit gehe. Einerseits macht man es sich damit einfach; andererseits macht man es sich auch gar nicht einfach, weil man alles erfinden muß. Vom Bruch: Das ist ja der Geist des künstlerischen Arbeitens: Daß man das, was man macht, die „ästhetischen Innovationen“, um den strapazierten Begriff mal zu verwenden, einem größeren Publikum darzustellen versucht. Dazu gehört das spielerisches Naturell, eine Art Entdeckerfreude. Das wird als Erwachsener in eine bewußte Form gebracht, aber es hat immer noch viel mit der Modelleisenbahn und der Freude daran, daß die glatt über die Schienen fährt, zu tun. Pflumm: Ich kann jedem, der künstlerisch mit moderner Technik arbeitet, nur empfehlen, keine Gebrauchsanweisungen und Handbücher zu lesen. Vielleicht verschenkt man dadurch ein wenig Zeit, aber man geht keine vorgefertigten Wege und hat eine kreative Auseinandersetzung mit dem Medium. Wenn mir das Rumdrehen an Knöpfen keinen Spaß machen würde, hätte ich das nie gemacht, und dann wäre ich auch nicht da, wo ich bin. Vom Bruch: Mein Vater war Bäcker. Vielleicht hat es damit zu tun, daß ich nichts mehr anfassen will, sondern die Dinge nur noch über Fernsteuerungen manipuliere. Baumgärtel: Aha, dann kann man das alles autobiographisch erklären. Was sind denn Ihre Eltern, Herr Pflumm? Pflumm: Mein Vater ist Ingenieur. Und meine Mutter ist Professorin an der Berliner Hochschule der Künste (HdK). Vom Bruch: Na, das erklärt’s ja... ________________________________________________________________________________ no copyright 1999 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org