________________________________________________________________________________ Die Greuel Jürgen Elsässer Unter den Augen der Kfor wird das Kosovo ethnisch gesäubert. Und jeden Tag ein Massengrab entdeckt "D-Day im Kosovo - der Tag an dem die Deutschen kamen", überschrieb der Berliner "Tagesspiegel" seine Reportage zum Einmarsch der Bundeswehr in Prizren am 12. Juni. Walter Kempowski fand im "Spiegel" die deutsche Imitation sogar gelungener als das D-Original: "Das letzte Mal, daß ich kämpfende deutsche Soldaten sah, war im April 1945, und sie kämpften nicht, sie hetzten durch die Straßen von Rostock, mit offenem Kragen, Waffen weggeworfen - die Russen standen vor der Stadt ... Nun die Bilder aus dem Kosovo, Bilder von kanonenschwenkenden Ungetümen im Gegenlicht, Panzer mit schwarzem Kreuz ... von Bevölkerung bejubelt. Soldaten mit Stahlhelmen, die sich neuerdings ... den alten deutschen Helmen in ihrer Form annähern, rheinisch und sächsisch sprechende Männer, Bayern und Mecklenburger nebeneinander, ein einig Volk von Brüdern ..." Die Riefenstahl-Ästhetik der TV-Bilder ist das eine, doch nichts übertrifft die erotische Spannung vor Ort, wie sie der Voyeur Matthias Rüb von der "Frankfurter Allgemeinen" bei der militärischen Penetration von Prizren gespürt haben muß: "Die Stadt flirrt förmlich vor Erregtheit. Die Menschen sind jede Sekunde zum Jubeln bereit ... Am Montag war die kosovo-albanische Befreiungsarmee (UCK) im Triumphzug von den Wäldern in die Stadt ... herabgestiegen und hatte sich bejubeln lassen. In der Nacht zum Sonntag schließlich waren die ersten Panzer und Lastwagen der Nato-Truppe Kfor in Prizren einmarschiert, mit flatternden deutschen und bayrischen Fahnen. Jeden Tag gab es für die Albaner in Prizren - und es leben vor allem Albaner in der malerisch gelegenen Stadt im Südwesten des Kosovo - etwas zu feiern ... Fast könnte man von einem neuen Idyll in Prizren sprechen." In einen Nebensatz drückt der Reporter aus, was der Grund der ganzen Euphorie ist: "... nur daß die Serben fehlen, die einst etwa zehn Prozent der 100.000 Einwohner des Gemeindebezirks stellten." Aber wieso sollte man sich die Party auch von der Vertreibung der Serben vermiesen lassen? Insgesamt sind von knapp 200.000 Kosovo-Serben "75.000, wenn nicht 100.000" ("Frankfurter Rundschau", 3. Juli) seit dem Nato-Einmarsch geflohen, in den zwölf Monaten vor dem Krieg - so erfuhr man am 22. Juni beiläufig aus der "FAZ" - waren es auch schon "bis zu 50.000" gewesen. "Nur auf den ersten Blick gleichen die serbischen Trecks den albanischen", denn bei den abziehenden serbischen Truppen erblickt die "FAZ" nur "die Fratze des absolut Verworfenen, der höhnisch grinsend und mit obszöner Triumphgeste, die Designerbrille im Haar und die Kippe im Mundwinkel, den Schauplatz seiner Verbrechen verläßt". "Ein wenig anders ziehen sie davon, als sie einmarschiert waren, damals bei Nacht und Nebel, brandschatzend und auch mordend von Haus zu Haus, und nun ziemlich wohlgeordnet und frech am hellichten Tag - irgendwie hätte man eine demütige Haltung erwartet", findet Kempowski. Die kaum verhohlene Lust, die fehlende Demut durch Demütigung zu erzwingen, läßt sich mit einem G-3 natürlich besser befriedigen als mit dem Laptop. Bereits am ersten Einsatztag hatten die Deutschen in Prizren zwei Serben erschossen. "Auf unserer Seite ein Kratzer, die andere Seite ist ausgeschaltet worden", kommentierte Oberstleutnant Dietmar Jeserich. Wie die ethnische Säuberung betrieben wird, wurde spätestens am 18. Juni deutlich. In einer ehemaligen Polizeistation in Prizren entdeckten Kfor-Soldaten einen Folterkeller, der aber, da von der UCK und nicht von den Serben eingerichtet, in der "Hamburger Morgenpost" hanseatisch-sachlich als "UCK-Gebäude mit Gefangenen" firmiert. Die Schergen wurden auf frischer Tat ertappt: Die zehn bis 15 Gefangenen wiesen schwere Folterspuren am ganzen Körper auf und bluteten, ein Siebzigjähriger war zu Tode gequält worden und hing noch gefesselt auf einem Stuhl. Korvettenkapitän Hanns-Christian Klasing nahm's gelassen: "Die etwa 30 Kämpfer, die drinnen waren, sind den örtlichen UCK-Autoritäten übergeben worden." Während die Bundeswehr von 12. bis 20. Juni jeden Tag Schußwaffeneinsätze gegen Serben meldet, wird die UCK als Partner hofiert. Sechzig russische Zivilisten, die als ausländische Mitkämpfer der Serben gelten, werden aus Prizren ausgewiesen, die ausländischen Hiwis der UCK, von denen viele, wie die "FAZ" berichtet, "kein Wort Albanisch verstehen", dürfen bleiben. UCK-Milizionäre durften in Prizren ein "filigranes Polizeisystem" ("Spiegel") aufbauen, in der Kfor-Chronologie der Hardthöhe ist am 5. Juli von 200 von der deutschen Kommandantur zugelassenen UCK-Militärpolizisten die Rede. Waffen sollen die UCKisten nach einem Abkommen vom 21. Juni zwischen Kfor-Kommandant Michael Jackson und UCK-Chef Hashim Thaci zwar nicht mehr offen tragen, aber die im Waffenstillstandsabkommen mit Belgrad völkerrechtlich verbindlich zugesicherte Entwaffnung der Guerilla kommt nicht vom Fleck. Lapidar schreibt die Bundeswehr dazu im bereits zitierten Chronologie-Eintrag von Anfang Juli: "Die Personalstärke der UCK in den Sammelräumen im Bereich des deutschen Sektors beträgt rund 1.700 Mann ... Bislang wurden 262 Waffen von der UCK abgegeben, schwere Waffen befinden sich kaum darunter." Mit anderen Worten: 80 Prozent der Guerilleros haben ihre Waffen noch. Vermutlich ist der Anteil noch weitaus höher, wenn man sich nicht von der angegebenen Personalstärke von 1.700 Mann bluffen läßt: UCK-Sprecher Jakup Krasniqi bezifferte kurz nach dem Nato-Einmarsch die Zahl der UCK-Kämpfer auf 30.000; das wären, bei gleichmäßiger Verteilung, 6.000 in jeder der fünf Kfor-Besatzungszonen. Daß die Kumpanei mit Terroristen keine deutsche Spezialität, sondern die generelle Linie der Kfor ist, belegt der Umgang mit dem UCK-Führer Thaci. Als der Balkanreporter der "New York Times", Chris Hedges, am 25. Juni berichtete, daß ihm gegenüber "gegenwärtige und frühere Kommandeure" der UCK Thaci und zwei seiner Leutnants des Mordes an einem halben Dutzend rivalisierender UCK-Offiziere bezichtigt hatten, war das für die Nato keineswegs ein Grund, den Fall an die große Glocke zu hängen oder gar das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag einzuschalten. Das seien "keine substantiellen Anschuldigen", wiegelte Albrights Sprecher James Rubin ab. Und doch demonstrieren insbesondere amerikanische und britische Kfor-Soldaten, im Unterschied zu den Deutschen, das sprichwörtliche "robuste" Verhalten nicht nur gegenüber den Serben, sondern wenigstens ab und zu auch gegenüber den Albanern. So lieferten sich GIs am 28. Juni "ein heftiges Feuergefecht mit Einheiten der UCK" ("FAZ"), am 10. Juli kam es zu heftigem Schußwechsel in Gnjilane, amerikanische Kfor-Soldaten hoben ein UCK-Gefängnis aus und nahmen - anders als die Deutschen in Prizren - die anwesenden Schergen in Gewahrsam. Am 3. Juli erschossen britische Kfor-Einheiten in Pristina zwei Mitglieder eines albanischen Lynchmobs, der unterwegs zu serbischen Wohnvierteln war. Es gibt also gute Gründe dafür, daß eine UCK-Polizistin in Prizren ihren deutschen Kollegen "Ihr seid die Besten" zurief ("Frankfurter Rundschau") und der UCK-Bürgermeister in Mitrovica in der französischen Zone stöhnte: "Ich wollte, die Deutschen kämen!" ("Spiegel"). Und es gibt gute Erinnerungen, wie die des Maslom Bokshi, eines von den Serben entlassenen Bankdirektors und Unternehmers aus Urosevac, den die "Welt" zitiert: "Als die Gestapo damals hier war, war alles besser. Wir haben durch sie die Freiheit bekommen." Jetzt wird alles wieder gut: Allein in der Zeit bis 27. Juni konnte die deutsche Kommandatur in Prizren Hinweise auf 300 Schwerverbrechen verzeichnen ("Hamburger Abendblatt"). Der "Spiegel" bilanzierte die ersten vier Wochen deutscher Besatzung in Prizren so: "Systematisch vertreiben und berauben albanische Kriegsgewinnler Serben und Roma, besetzen deren Häuser oder zünden sie an." Selbst ein hartgesottener Serben-Hasser wie Rupert Neudeck war bei einem Besuch in der deutschen Zone geschockt. "Fünf weitere Häuser von Serben und Roma wurden in Prizren und der Umgebung letzte Nacht niedergebrannt. Und was tut das deutsche Kfor-Kontingent? Es verteilt über 2.000 Pakete mit Zivilkleidung an Mitglieder der UCK, die Kleider im überfluß hat." Nur der unermüdliche Erich Rathfelder von der "Taz" hat wieder einmal ganz etwas anderes gesehen und für die Wiener "Presse" aufgeschrieben: "In der deutschen Zone ist es bisher ganz gut gelungen, Ordnung zu schaffen ... In Prizren ... brennen keine Häuser ... Die Serben können sich vor Racheakten der kosovo-albanischen Rückkehrer sicher fühlen ..." Massengräber, Gotteskrieger und Gelehrte Je mörderischer es heute im Kfor-Protektorat zugeht, um so wichtiger ist es, das Interesse der öffentlichkeit auf die gestrigen Verbrechen der Serben zu lenken. Ein "mit Massengräbern übersätes Kosovo" hätten die abziehenden Milosevic-Truppen hinterlassen, konstatierte die "Frankfurter Rundschau", und David Gowan, der Sprecher der britischen Regierung, konstatierte auf die Frage nach den Opfern der Serben sogar: "Es ist sehr schwierig, eine Gesamtzahl zu nennen, aber klar ist, daß sich ein wesentlich schlimmeres Bild ergibt, als wir es erwartet hatten." Eine Lüge: Denn die Zahl von 10.000, die Politiker und Medien mittlerweile recht einvernehmlich für die mutmaßlich von Serben Massakrierten angeben (z. B. der britische Außenminister Cook, der deutsche Kulturminister Naumann), ist keineswegs größer als die während des Krieges verkauften Opferzahlen - damals wurde immer wieder von 100.000 verschwundenen und höchstwahrscheinlich getöteten jungen kosovarischen Männern berichtet. Auf die Zahlenimplosion angesprochen, erklärte Kenneth Bacon, Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, lapidar: "Ich glaube nicht, daß man sagen kann, das Töten von 100.000 sei zehn mal moralisch verwerflicher als das Töten von 10.000." Aber auch die Zahl von 10.000 Toten macht einige Mühe. Hilfreich ist dabei der Umstand, daß für das US-Außenministerium "als Massengrab jede Grabstelle gilt, in der mehr als eine Leiche liegt" ("MoPo", 18.Juni), die öffentlichkeit jedoch bei "Masse" stets an Zahlen über hundert denkt. Das erleichtert die Hochrechnung: Die "Gesellschaft für bedrohte Völker" will von 65 Massengräbern wissen, das US-Außenministerium von 85, Scharpings Staatssekretär Wichert von 95, Kulturstaatsminister Naumann von 100. (Oft weiß die linke Hand nicht, was die rechte fingert: So dementierte sich das britische Außenministerium, das am 17. Juni erstmals von "mehr als 100" Massengräbern gesprochen hatte, kurz darauf indirekt selbst, indem es eine Karte mit 50 Massaker-Orten veröffentlichte.) Real gefunden wurden bis zum 14. Juli neun Massengräber (in Kacanik, Hallac i Vogel, Ribar, nahe Prizren, Koronica, Velika Krusa, Celina, Bela Crvka, Nogovac) mit insgesamt 584 Leichen. Daneben enthält die übersicht "Eine Topographie des Schreckens" der "Taz" vom 17. Juni weitere 17 Orte, "aus denen von Massenerschießungen berichtet wurde", wo also noch keinerlei Grabungen diese Berichte verifizieren (oder falsifizieren) konnten. Ob dort und in fünf weiteren, später kolportierten "Massengräbern" wirklich die 3557 Toten verscharrt sind, auf die man bei einer Addition der jeweiligen Maximalangaben kommt, muß einstweilen offen bleiben. Selbst die von den Chronologen als sicher gebuchten 584 Leichen sind nur zum Teil tatsächlich vorhanden. So schrieb die "Taz" zu den von ihr berichteten drei Massengräbern in Koronica, daß diese 150 Tote "enthalten sollen". "Bewohner des Dorfes Korenica glaubten, daß ... 120 Menschen, die von Serben getötet wurden, verscharrt seien", schränkte die Zeitung "15 Uhr aktuell" (Ausgabe Hamburg) am 16. Juni weiter ein. ähnlich steht es um eine Meldung vom 10. Juli über einen "Horrorfund" ("Bild") nahe der Stadt Pec, wo das "vielleicht größte Massaker" ("AP") "mit über 350 Leichen entdeckt" ("Bild") worden sei. Die "Neue Zürcher Zeitung" reportierte den korrekten Sachverhalt: Es geht nicht um "über", sondern um "bis zu" 350 Leichen, und diese sind keineswegs "entdeckt", sondern werden lediglich "vermutet". Einige hundert Leichen haben sich vor dem Eintreffen der westlichen Spezialisten in Luft aufgelöst. Auch Rathfelder, der nach seinen idyllischen Tagen in Prizren wieder "den Verbrechen auf der Spur" ("Taz") war, hatte Pech: Die 106 Albaner, die in Pustasel exekutiert worden sein sollen, konnte er am Tatort nicht auffinden. Ersatzweise sollen die Serben - ordentlich wie sie sind - 35 von ihnen im nahen Orahovac auf dem Friedhof begraben haben, wie Rathfelder von drei Friedhofsarbeitern erfahren haben will, und zwar "genau unterhalb der Massengräber des Massakers von Orahovac vom Juli 1998" (für dessen Erfindung Rathfelder damals eine Rüge des österreichischen Presserates bekommen hatte). Mysteriöses gibt es auch aus Izbica zu berichten, wo laut "Taz"-Chronologie "270 Menschen seit Mitte März" ermordet worden sein sollen. "Die Leichen sind weg," mußte Yves Roy, Mitarbeiter eines der acht Teams, die im Kosovo Kriegsverbrechen untersuchen, feststellen ("New York Times"). Doch das kann den Reporter nicht erschüttern. "Es gibt noch genügend Beweise", fährt er fort und verweist auf ein Nato-Satellitenfoto aus den ersten Kriegswochen. Das "zeigt sauber angelegte Reihen von Gräbern, alle in Richtung Mekka ausgerichtet, wie es die muslimische Tradition erfordert". Das dürfte eine Premiere in der Weltgeschichte sein: Nach dem Massenschlachten bestatten die Mörder ihre Gegner fürsorglich jeden für sich und gemäß den Regeln seiner Religion. In Verlegenheit waren die Leichenfahnder auch in der Kosovo-Kapitale Pristina. Hätten in der weitaus größten Stadt der Provinz nicht auch eine stattliche Anzahl von Massakrierten zu finden sein müssen, zumal bisweilen (wie in der "FAZ" vom 7. April) sogar von einem "KZ" im Sportstadion der Stadt berichtet worden war? Bis heute wurde nichts dergleichen gefunden. Wie man auch ohne Massengräber halb Europa schauerlich unterhalten kann, bewiesen die Medien mit den tagelangen Berichten über "Milosevics Folterkeller" in Pristina. Die "Bild"-Zeitung, die am 18. Juni unter diesem Titel "immer mehr Beweise für entsetzliche Massaker" im Gebäude der serbischen Militärpolizei verspricht, präsentiert "eine Motorsäge" ("um Aussagen zu erpressen") und einen Raum mit Pornoheften und Präservativen ("Vergewaltigungszimmer", "Sex-Kammer"). An "bestialische(n) Folterwerkzeuge(n)" wird gezeigt, was die Lehrer auf jedem zweiten deutschen Schulhof täglich einkassieren: Schlagringe, Messer, Holzknüppel, Tschakos. Im übrigen: Wenn das die corpora delicti unsagbarer Greueltaten sind - warum sollten die serbischen Polizisten, die angeblich in diesem Gebäude tagelang belastendes Aktenmaterial vernichtet haben, ausgerechnet diese Beweisstücke am Tatort zurückgelassen haben? Eine Frage, die, so nahe sie lag, kein Journalist gestellt hat. Wahrscheinlich ist, daß bei intensiver Suche im Kosovo mehrere tausend Leichen gefunden werden - vermutlich nicht die behaupteten 10.000, durchaus aber die 4.000, von denen etwa der frühere Kommandeur der UN-Schutztruppe in Bosnien, Sir Michael Rose, ausgeht. Selbstverständlich muß es in einer Kampfzone wie dem Kosovo, die zweieinhalb Monate beinahe jeden Tag bombardiert worden ist und in der es - anders als im Rest Jugoslawiens - im Rahmen der Operation "Hufeisen" auch zu massiven Bodenkämpfen mit der UCK gekommen ist, täglich überall Tote gegeben haben. Dennoch wird es schwierig sein zu klären, wessen Opfer in welchem Grab liegen. Ob es Opfer serbischer Massaker an albanischen Zivilisten sind oder militärische und zivile Opfer der Gefechte zwischen Armeeinheiten und UCK? Wo sind beispielsweise die Gefallenen der UCK zu finden? Allein bei ihrer großen Bodenoffensive im April/Mai, der Operation "Arrow", sollen nach serbischen Angaben beim Durchbruchsversuch über die albanische Grenze 500 Guerilleros getötet worden sein. Tahir Zema, Oberst vom "gemäßigten Offiziersflügel der UCK", klagte kurz vor Kriegsende, "Tausende junger Kosovaren" seien "in den 15 Monaten bewaffneten Kampfes verheizt" worden ("Stern"). Und wo sind die Opfer der Nato-Bombenangriffe beerdigt, von denen heute niemand mehr spricht? Könnte es nicht sein, daß einige der Massengräber, in denen Opfer der Serben vermutet werden, mit Opfern der Nato gefüllt sind? Für einige Orte drängt sich diese Frage geradezu auf: - In Kacanik fand die Kfor kurz nach dem Einmarsch 81 Tote. In der "Taz"-Chronologie rangiert der Ort als erster in der "Topographie des Schreckens". Daß die Leichen aus- und wiedereingegraben wurden - "Dorfbewohner erklärten, sie hätten (sie) aus drei Massengräbern ... geborgen und anschließend in Einzelgräbern beerdigt" ("Taz") - hat die Chronisten nicht gestört. Die Darstellung, hier hätte serbischer Terror gewütet, wird in Frage gestellt durch die Reportage Paul Watsons in der "Los Angeles Times" vom 31. Mai. Watson, der als einer der wenigen westlichen Journalisten während des ganzen Krieges im Kosovo blieb und kreuz und quer herumfuhr, sprach mit albanischen Dorfschützern, die Kacanik Schulter an Schulter mit den Serben gegen die Angriffe der UCK verteidigten. Von der vierzigköpfigen Einheit, die im September 1998 aufgestellt worden war, waren nur noch sechs übrig - alle anderen hatte die UCK entführt. - In Djakovica sollen "bis Ende April mindestens 300 Menschen" ("Taz", 17.6.) von Serben ermordet worden sein. Falls Gräber gefunden werden sollten, muß das kein Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptung sein, denn auch die Nato hat in Djakovica ein Massaker veranstaltet: Bei einem angeblich versehentlichen Angriff auf einen albanischen Flüchtlingstreck starben am 14. April 75 Menschen, darunter 19 Kinder. - Dasselbe gilt für Istok, das die "Gesellschaft für bedrohte Völker" aufgrund der Aussage "einer Frau aus Prizren" als Ort eines Massengrabes führt: Könnten dort nicht auch die 92 Toten begraben sein, die ein Nato-Angriff auf das Gefängnis der Stadt am 19. Mai zur Folge hatte? - In der Umgebung von Prizren fanden deutsche Soldaten "zwei Gräber mit insgesamt 70 Leichen" ("Taz"). Opfer der Serben? Nicht unbedingt: "Sechs Kilometer nördlich von Prizren liegt das Dorf Korisa, das zweimal heimgesucht wurde. Hier bombardierte die Nato am 13. Mai versehentlich eine Gruppe von Flüchtlingen und tötete bis zu 100 Menschen. Am 17. März wurde das Dorf von den Serben angegriffen ... Die UCK vermutet dort ein Massengrab mit über 70 Menschen", heißt es im "Spiegel", wenn auch unter dem irreführend-eindeutigen Vorspann: "Tag für Tag werden serbische Verbrechen entdeckt." Auch nach Abzug all der ungeklärten Fälle wird ein schrecklicher Rest an Morden und anderen Quälereien bleiben, den man serbischen Tätern anlasten muß, Verbrechen allerdings, die größtenteils nicht von Polizei- oder Armeeverbänden begangen wurden. Die Täter unterstanden nicht Milosevic, sondern kamen (so der OSZE-Bericht vom 20. April) aus "verschiedenen paramilitärischen Gruppen oder Banden bewaffneter Zivilisten. Viele Befragte verweisen auf "Arkans Leute" oder "Seseljs Leute". In vielen Fällen konnten die Befragten präzise Beschreibungen der Uniformen und Abzeichen geben, die diese Gruppen trugen." Wo die Staatsgewalt während des Krieges noch einigermaßen intakt war, wie in den großen Städten, hat sie den Terror der serbischen Paramilitärs unterbunden. Deshalb ist Prizren, wie die "FAZ" am 18. Juni schreibt, "in jeder Hinsicht glimpflich davongekommen: keine verbrannten Häuser, keine ausgelöschten Familien, keine zerstörten Stadtteile". "Massengräber, Vergewaltigungskammern, Sprengfallen ... jedes grausige Detail, das jetzt ans Licht kommt, beweist: Im Kosovo einzugreifen war der einzige mögliche Weg", kommentierte "Bild" nach den ersten Leichenfunden. Das Gegenteil ist wahr: Erst das Nato-Eingreifen hat im Kosovo die Wut und das Chaos hervorgerufen, das "Arkans Leute" und "Seseljs Leute" für ihre Raub- und Racheaktionen nutzen konnten. Vorher war die Lage völlig anders. Drei Zahlen genügen, um nicht nur den Nato-Krieg, sondern auch den Nato-Frieden zu blamieren: Nach übereinstimmenden westlichen Angaben starben in den zwölf Monaten vor dem Krieg bis zu 2.000 Menschen - mehrheitlich albanischer Herkunft, aber auch Serben und Roma. Während des Krieges starben im Kosovo vielleicht 4.000, im übrigen Serbien weitere 2.000 Menschen. Nach dem Krieg wurden allein in der deutschen Besatzzungszone in knapp vier Wochen 250 Menschen ermordet, allesamt Serben, Roma und andere Nicht-Albaner (so das European Roma Right Center in Budapest unter Berufung auf Gespräche mit Kfor-Offiziellen). Mit anderen Worten: Unter dem "serbischen Faschismus" starben bei ethnischen Auseinandersetzungen auf beiden Seiten pro Woche durchschnittlich 40 Menschen - im gesamten Kosovo. Seit dem neu-deutschen D-Day sterben im Zuge ethnischer Säuberungen pro Woche ungefähr 60 Menschen - in einem Fünftel des Kosovo. So haben die Deutschen ein "neues Auschwitz" verhindert. 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