________________________________________________________________________________ Jungle World Nr.34 - 18. August 1999 Schon die Herkunft der "Arbeit" läßt Böses ahnen. Das deutsche Wort leitet sich von dem germanischen Verb für "verwaist sein, ein zu schwerer körperlicher Tätigkeit verdingtes Kind sein" her, die romanische Entsprechung kommt vom lateinischen "tripalium" - die altertümliche Bezeichnung für das Joch der Sklaven. "Arbeit" war noch nie ein Synonym für selbstbestimmte menschliche Tätigkeit, wie die Arbeitsfetischisten jeder Couleur propagieren, sondern verweist auf ein unglückliches soziales Schicksal. Das "Manifest gegen die Arbeit" wurde von der Nürnberger Gruppe Krisis verfaßt. Die ersten beiden Teile finden sich in Jungle World, Nr. 32 und 33/99. Manifest gegen die Arbeit (III) Von der Gruppe 'Krisis' 14. Arbeit läßt sich nicht umdefinieren Nach Jahrhunderten der Zurichtung kann sich der moderne Mensch ein Leben jenseits der Arbeit schlechterdings nicht mehr vorstellen. Als imperiales Prinzip beherrscht die Arbeit nicht nur die Sphäre der Ökonomie im engeren Sinne, sondern durchdringt das gesamte soziale Dasein bis in die Poren des Alltags und der privaten Existenz. Die "Freizeit", schon dem Wortsinne nach ein Gefängnisbegriff, dient längst selber dazu, Waren "aufzuarbeiten", um so für den nötigen Absatz zu sorgen. Aber sogar jenseits der verinnerlichten Pflicht zum Warenkonsum als Selbstzweck legt sich der Schatten der Arbeit auch außerhalb von Büro und Fabrik auf das moderne Individuum. Sobald es sich aus dem Fernsehsessel erhebt und aktiv wird, verwandelt sich jedes Tun sofort in ein arbeitsähnliches. Der Jogger ersetzt die Stechuhr durch die Stoppuhr, im chromblanken Fitneßstudio erlebt die Tretmühle ihre postmoderne Wiedergeburt, und die Urlauber schrubben in ihrem Auto Kilometer herunter, als müßten sie die Jahresleistung eines Fernfahrers erbringen. Selbst noch das Vögeln orientiert sich an Din-Normen der Sexualforschung und an Konkurrenzmaßstäben der Talk-Show-Prahlereien. Erlebte König Midas es immerhin noch als Fluch, daß alles, was er berührte, sich in Gold verwandelte, so ist sein moderner Leidensgenosse über dieses Stadium bereits hinaus. Der Arbeitsmensch merkt nicht einmal mehr, daß durch die Angleichung an das Muster der Arbeit jedes Tun seine besondere sinnliche Qualität verliert und gleichgültig wird. Im Gegenteil: Nur durch diese Angleichung an die Gleichgültigkeit der Warenwelt mißt er einer Tätigkeit überhaupt erst Sinn, Berechtigung und soziale Bedeutung zu. Mit einem Gefühl wie Trauer etwa kann das Arbeitssubjekt nicht viel anfangen; die Verwandlung von Trauer in "Trauerarbeit" indes macht diesen emotionalen Fremdkörper zu einer bekannten Größe, über die man sich mit seinesgleichen austauschen kann. Selbst noch das Träumen wird so zur "Traumarbeit", die Auseinandersetzung mit einem geliebten Menschen zur "Beziehungsarbeit" und der Umgang mit Kindern zur "Erziehungsarbeit" entwirklicht und vergleichgültigt. Wo immer der moderne Mensch auf der Ernsthaftigkeit seines Tuns beharren will, hat er auch schon das Wort "Arbeit" auf den Lippen. Der Imperialismus der Arbeit schlägt sich also im alltäglichen Sprachgebrauch nieder. Wir sind nicht nur gewohnt, das Wort "Arbeit" inflationär zu verwenden, sondern auch auf zwei ganz verschiedenen Bedeutungsebenen. "Arbeit" bezeichnet längst nicht mehr nur (wie es zutreffend wäre) die kapitalistische Tätigkeitsform in der Selbstzweck-Mühle, sondern dieser Begriff ist zum Synonym für jede zielgerichtete Anstrengung überhaupt geworden und hat damit seine Spuren verwischt. Diese begriffliche Unschärfe bereitet den Boden für eine ebenso halbseidene wie gängige Kritik der Arbeitsgesellschaft, die genau verkehrt herum operiert, nämlich vom positiv gedeuteten Imperialismus der Arbeit aus. Der Arbeitsgesellschaft wird ausgerechnet vorgeworfen, daß sie das Leben noch nicht genug mit ihrer Tätigkeitsform beherrscht, weil sie den Begriff der Arbeit angeblich "zu eng" faßt, nämlich "Eigenarbeit" oder "unbezahlte Selbsthilfe" (Hausarbeit, Nachbarschaftshilfe usw.) daraus moralisch exkommuniziert und nur marktgängige Erwerbsarbeit als "wirkliche" Arbeit gelten läßt. Eine Neubewertung und Erweiterung des Arbeitsbegriffs soll diese einseitige Fixierung und die damit verbundenen Hierarchisierungen beseitigen. Es geht diesem Denken also gar nicht um die Emanzipation von den herrschenden Zwängen, sondern lediglich um eine semantische Reparatur. Die unübersehbare Krise der Arbeitsgesellschaft soll dadurch gelöst werden, daß das gesellschaftliche Bewußtsein bislang inferiore Tätigkeitsformen neben der kapitalistischen Produktionssphäre "wirklich" in den Adelsstand der Arbeit erhebt. Aber die Inferiorität dieser Tätigkeiten ist eben nicht bloß das Ergebnis einer bestimmten ideologischen Betrachtungsweise, sondern gehört zur Grundstruktur des warenproduzierenden Systems und ist durch nette moralische Umdefinitionen nicht aufzuheben. In einer Gesellschaft, die von der Warenproduktion als Selbstzweck beherrscht wird, kann als eigentlicher Reichtum nur gelten, was in monetarisierter Gestalt darstellbar ist. Der davon bestimmte Arbeitsbegriff strahlt zwar imperial auf alle anderen Sphären aus, aber nur negativ, indem er diese als von sich abhängig kenntlich macht. Die Sphären außerhalb der Warenproduktion bleiben so notwendigerweise im Schatten der kapitalistischen Produktionssphäre, weil sie in der abstrakten betriebswirtschaftlichen Zeitsparlogik nicht aufgehen - auch und gerade dann, wenn sie lebensnotwendig sind wie der abgespaltene, als "weiblich" definierte Tätigkeitsbereich des privaten Haushalts, der persönlichen Zuwendung usw. Eine moralisierende Erweiterung des Arbeitsbegriffs statt seiner radikalen Kritik verschleiert nicht nur den realen gesellschaftlichen Imperialismus der warenproduzierenden Ökonomie, sondern fügt sich auch bestens in die autoritären Strategien der staatlichen Krisenverwaltung ein. Die seit den siebziger Jahren erhobene Forderung, auch die "Hausarbeit" und die Tätigkeiten im "Dritten Sektor" als vollgültige Arbeit gesellschaftlich "anzuerkennen", spekulierte zunächst auf finanzielle staatliche Transferleistungen. Der Krisenstaat allerdings dreht den Spieß um und mobilisiert den moralischen Impetus dieser Forderung im Sinne des berüchtigten "Subsidiaritätsprinzips" gerade gegen ihre materiellen Hoffnungen. Das Hohelied auf "Ehrenamt" und "Bürgerarbeit" handelt nicht von der Erlaubnis, in den ziemlich leeren staatlichen Finanztöpfen stochern zu dürfen, sondern wird zum Alibi für den sozialen Rückzug des Staates, für die anlaufenden Zwangsarbeitsprogramme und für den schäbigen Versuch, die Krisenlast hauptsächlich auf die Frauen abzuwälzen. Die offiziellen gesellschaftlichen Institutionen geben ihre soziale Verpflichtung preis mit dem ebenso freundlichen wie kostenlosen Appell an "uns alle", doch gefälligst fortan mit privater Eigeninitiative eigenes wie fremdes Elend zu bekämpfen und keine materiellen Forderungen mehr zu stellen. So öffnet die als Emanzipationsprogramm mißverstandene Definitions-Akrobatik am weiterhin geheiligten Arbeitsbegriff dem staatlichen Versuch Tür und Tor, die Lohnarbeit aufzuheben, indem der Lohn beseitigt wird, aber Arbeit und Markt beibehalten werden. Unfreiwillig wird damit bewiesen, daß soziale Emanzipation heute nicht die Umwertung der Arbeit, sondern nur die bewußte Entwertung der Arbeit zum Inhalt haben kann. 15. Die Krise des Interessenkampfes So sehr die fundamentale Krise der Arbeit auch verdrängt und tabuisiert wird, sie prägt dennoch alle aktuellen sozialen Konflikte. Der Übergang von einer Gesellschaft der Massenintegration zu einer Selektions- und Apartheids-Ordnung hat nicht etwa zu einer neuen Runde des alten Klassenkampfs zwischen Kapital und Arbeit geführt, sondern zu einer kategorialen Krise des systemimmanenten Interessenkampfes selbst. Schon in der Epoche der Prosperität nach dem Zweiten Weltkrieg war die alte Emphase des Klassenkampfes verblaßt. Aber nicht etwa deswegen, weil das "an sich" revolutionäre Subjekt durch manipulative Machenschaften und Bestechung mit fragwürdigem Wohlstand "integriert" worden wäre, sondern weil sich umgekehrt auf dem fordistischen Entwicklungsstand die logische Identität von Kapital und Arbeit als soziale Funktions-Kategorien einer gemeinsamen gesellschaftlichen Fetischform herausschälte. Der systemimmanente Wunsch, die Ware Arbeitskraft zu möglichst guten Konditionen zu verkaufen, verlor jedes transzendierende Moment. Ging es dabei bis in die siebziger Jahre hinein immerhin noch darum, eine Beteiligung möglichst breiter Schichten der Bevölkerung an den giftigen arbeitsgesellschaftlichen Früchten zu erstreiten, so ist selbst dieser Impuls unter den neuen Krisenbedingungen der dritten industriellen Revolution erloschen. Nur solange die Arbeitsgesellschaft expandierte, war es möglich, den Interessenkampf ihrer sozialen Funktions-Kategorien im großen Maßstab zu führen. In demselben Maße jedoch, wie die gemeinsame Basis verfällt, können die systemimmanenten Interessen nicht mehr auf gesamtgesellschaftlichem Niveau zusammengefaßt werden. Eine allgemeine Entsolidarisierung setzt ein. Die Lohnarbeiter desertieren aus den Gewerkschaften, die Managerinnen aus den Unternehmensverbänden. Jeder für sich und der kapitalistische System-Gott gegen alle: Die vielbeschworene Individualisierung ist nichts als ein weiteres Krisensymptom der Arbeitsgesellschaft. Soweit überhaupt noch Interessen aggregiert werden können, geschieht dies nur im mikro-ökonomischen Maßstab. Denn in demselben Maße, wie es sich als Hohn auf die soziale Befreiung geradezu zum Privileg entwickelt hat, das eigene Leben betriebswirtschaftlich verwursten zu lassen, degeneriert die Interessenvertretung der Ware Arbeitskraft zur knallharten Lobby-Politik immer kleinerer sozialer Segmente. Wer die Logik der Arbeit akzeptiert, muß jetzt auch die Logik der Apartheid akzeptieren. Es geht nur noch darum, der eigenen eng umrissenen Klientel auf Kosten aller anderen die Verkäuflichkeit ihrer Haut zu sichern. Belegschaften und Betriebsräte finden ihren wahren Gegner längst nicht mehr im Management ihres Unternehmens, sondern in den Lohnabhängigen konkurrierender Betriebe und "Standorte", egal ob in der nächsten Ortschaft oder im Fernen Osten. Und wenn sich die Frage stellt, wer beim nächsten Schub betriebswirtschaftlicher Rationalisierung über die Klinge springen muß, werden auch die Nachbarabteilung und der unmittelbare Kollege zum Feind. Die radikale Entsolidarisierung betrifft keineswegs nur die betriebliche und gewerkschaftliche Auseinandersetzung. Da gerade in der Krise der Arbeitsgesellschaft alle Funktionskategorien um so fanatischer auf deren inhärenter Logik beharren, daß jedes menschliche Wohlergehen bloßes Abfallprodukt rentabler Verwertung sein kann, beherrscht das Sankt-Florians-Prinzip alle Interessenkonflikte. Sämtliche Lobbys kennen die Spielregeln und handeln danach. Jede Mark, die eine andere Klientel erhält, ist für die eigene verloren. Jeder Einschnitt am anderen Ende des sozialen Netzes erhöht die Chance, selber noch eine Galgenfrist herauszuschinden. Der Rentner wird zum natürlichen Gegner aller Beitragszahler, der Kranke zum Feind aller Versicherten und der Immigrant zum Haßobjekt aller wildgewordenen Inländer. Irreversibel erschöpft sich so das Unterfangen, den systemimmanenten Interessenkampf als Hebel sozialer Emanzipation einsetzen zu wollen. Damit ist die klassische Linke am Ende. Eine Wiedergeburt radikaler Kapitalismuskritik setzt den kategorialen Bruch mit der Arbeit voraus. Erst wenn ein neues Ziel der sozialen Emanzipation jenseits der Arbeit und ihrer abgeleiteten Fetisch-Kategorien (Wert, Ware, Geld, Staat, Rechtsform, Nation, Demokratie usw.) gesetzt wird, ist eine Re-Solidarisierung auf hohem Niveau und im gesamtgesellschaftlichen Maßstab möglich. Und erst in dieser Perspektive können auch systemimmanente Abwehrkämpfe gegen die Logik der Lobbyisierung und Individualisierung re-aggregiert werden; jetzt allerdings nicht mehr im positiven, sondern im negatorischen strategischen Bezug auf die herrschenden Kategorien. Bis jetzt drückt sich die Linke vor dem kategorialen Bruch mit der Arbeitsgesellschaft. Sie verharmlost die Systemzwänge zur bloßen Ideologie und die Logik der Krise zum bloßen politischen Projekt der "Herrschenden". An die Stelle des kategorialen Bruchs tritt die sozialdemokratische und keynesianische Nostalgie. Nicht eine neue konkrete Allgemeinheit sozialer Formierung jenseits von abstrakter Arbeit und Geldform wird angestrebt, sondern die Linke versucht, die alte abstrakte Allgemeinheit des systemimmanenten Interesses krampfhaft festzuhalten. Aber diese Versuche bleiben selber abstrakt und können keine soziale Massenbewegung mehr integrieren, weil sie sich an den realen Krisenverhältnissen vorbeimogeln. Das gilt besonders für die Forderung nach einem garantierten Existenzgeld oder Mindesteinkommen. Statt konkrete soziale Abwehrkämpfe gegen bestimmte Maßnahmen des Apartheid-Regimes mit einem allgemeinen Programm gegen die Arbeit zu verbinden, will diese Forderung eine falsche Allgemeinheit der sozialen Kritik herstellen, die in jeder Hinsicht abstrakt, systemimmanent und hilflos bleibt. Die soziale Krisenkonkurrenz kann damit nicht überwunden werden. Ignorant wird das ewige Weiterfunktionieren der globalen Arbeitsgesellschaft vorausgesetzt, denn woher sonst sollte das Geld kommen, um dieses staatlich garantierte Grundeinkommen zu finanzieren, wenn nicht aus gelingenden Verwertungsprozessen? Wer auf eine solche "Sozialdividende" baut (schon der Name spricht Bände), muß gleichzeitig klammheimlich auf eine privilegierte Position des "eigenen" Landes in der globalen Konkurrenz setzen. Denn nur der Sieg im Weltkrieg der Märkte würde es vorübergehend erlauben, einige Millionen kapitalistisch "überflüssiger" Mitesser zu Hause durchzufüttern - unter Ausschluß aller Menschen ohne inländischen Paß, versteht sich. Die Reform-Heimwerker der Existenzgeldforderung ignorieren die kapitalistische Verfaßtheit der Geldform in jeder Hinsicht. Letztlich geht es ihnen nur darum, vom kapitalistischen Arbeits- und Warenkonsum-Subjekt das letztere zu retten. Statt die kapitalistische Lebensweise überhaupt in Frage zu stellen, soll die Welt trotz Krise der Arbeit weiterhin unter Lawinen stinkender Blechhaufen, häßlicher Betonklötze und minderwertigen Warenschrotts begraben werden, damit den Menschen die einzige klägliche Freiheit erhalten bleibt, die sie sich noch vorstellen können: die Wahlfreiheit vor den Regalen des Supermarkts. Aber selbst diese traurige und beschränkte Perspektive ist völlig illusionär. Ihre linken Protagonisten und theoretischen Analphabeten haben vergessen, daß der kapitalistische Warenkonsum niemals schlicht der Befriedigung von Bedürfnissen dient, sondern immer nur eine Funktion der Verwertungsbewegung sein kann. Wenn die Arbeitskraft nicht mehr zu verkaufen ist, gelten selbst elementare Bedürfnisse als unverschämte luxuriöse Ansprüche, die auf ein Minimum herabgedrückt werden müssen. Und genau dafür wird das Existenzgeld-Programm ein Vehikel sein, nämlich als Instrument staatlicher Kostenreduktion und als Elendsversion der Sozialtransfers, die an die Stelle der kollabierenden Sozialversicherungen tritt. In diesem Sinne hat der Vordenker des Neoliberalismus, Milton Friedman, das Konzept des Grundeinkommens ursprünglich entworfen, bevor eine abgerüstete Linke es als vermeintlichen Rettungsanker entdeckte. Und mit diesem Inhalt wird es auch Wirklichkeit werden - oder gar nicht. 16. Die Aufhebung der Arbeit Der kategoriale Bruch mit der Arbeit findet keine fertigen und objektiv bestimmten gesellschaftlichen Lager vor wie der systemimmanent beschränkte Interessenkampf. Er ist ein Bruch mit der falschen Sachgesetzlichkeit einer "zweiten Natur", also nicht selber wieder ein quasi-automatischer Vollzug, sondern negatorische Bewußtheit - Verweigerung und Rebellion ohne irgendein "Gesetz der Geschichte" im Rücken. Ausgangspunkt kann kein neues abstrakt-allgemeines Prinzip sein, sondern nur der Ekel vor dem eigenen Dasein als Arbeits- und Konkurrenzsubjekt und die kategorische Weigerung, auf immer elenderem Niveau weiter so funktionieren zu müssen. Trotz ihrer absoluten Vorherrschaft ist es der Arbeit nie gelungen, den Widerwillen gegen die von ihr gesetzten Zwänge ganz auszulöschen. Neben allen regressiven Fundamentalismen und allem Konkurrenzwahn der sozialen Selektion gibt es auch ein Protest- und Widerstandspotential. Das Unbehagen im Kapitalismus ist massenhaft vorhanden, aber in den soziopsychischen Untergrund abgedrängt. Es wird nicht abgerufen. Deshalb bedarf es eines neuen geistigen Freiraums, damit das Undenkbare denkbar gemacht werden kann. Das Weltdeutungsmonopol des Arbeits-Lagers ist aufzubrechen. Der theoretischen Kritik der Arbeit kommt dabei die Rolle eines Katalysators zu. Sie hat die Pflicht, die herrschenden Denkverbote frontal anzugreifen und ebenso offen wie klar auszusprechen, was sich niemand zu wissen traut und viele doch spüren: Die Arbeitsgesellschaft ist definitiv am Ende. Und es gibt nicht den geringsten Grund, ihr Hinscheiden zu bedauern. Erst die ausdrücklich formulierte Kritik der Arbeit und eine entsprechende theoretische Debatte können jene neue Gegenöffentlichkeit schaffen, die unabdingbare Voraussetzung dafür ist, daß sich eine praktische soziale Bewegung gegen die Arbeit konstituiert. Die Binnenstreitereien innerhalb des Arbeits-Lagers haben sich erschöpft und werden immer absurder. Um so dringender ist es, die gesellschaftlichen Konfliktlinien neu zu bestimmen, entlang deren sich ein Bündnis gegen die Arbeit formieren kann. Es gilt also in groben Zügen zu skizzieren, welche Zielsetzungen für eine Welt jenseits der Arbeit möglich sind. Das Programm gegen die Arbeit speist sich nicht aus einem Kanon positiver Prinzipien, sondern aus der Kraft der Negation. Ging die Durchsetzung der Arbeit mit der umfassenden Enteignung der Menschen von den Bedingungen ihres eigenen Lebens einher, so kann die Negation der Arbeitsgesellschaft nur darin bestehen, daß sich die Menschen ihren gesellschaftlichen Zusammenhang auf höherem historischen Niveau wieder aneignen. Die Gegner der Arbeit werden deshalb die Bildung weltweiter Verbünde frei assoziierter Individuen anstreben, die der leerlaufenden Arbeits- und Verwertungsmaschine die Produktions- und Existenzmittel entreißen und sie in die eigene Hand nehmen. Nur im Kampf gegen die Monopolisierung aller gesellschaftlichen Ressourcen und Reichtumspotentiale durch die Entfremdungsmächte von Markt und Staat lassen sich soziale Räume der Emanzipation erobern. Dabei ist auch das Privateigentum auf eine neue und andere Weise anzugreifen. Für die bisherige Linke war das Privateigentum nicht die juristische Form des warenproduzierenden Systems, sondern lediglich eine ominöse subjektive "Verfügungsgewalt" der Kapitalisten über die Ressourcen. So konnte der absurde Gedanke entstehen, das Privateigentum auf dem Boden der Warenproduktion überwinden zu wollen. Als Gegensatz zum Privateigentum erschien daher in der Regel das Staatseigentum ("Verstaatlichung"). Der Staat aber ist nichts als die äußerliche Zwangsgemeinschaft oder abstrakte Allgemeinheit der sozial atomisierten Warenproduzenten, das Staatseigentum somit nur eine abgeleitete Form des Privateigentums - egal, ob es mit dem Adjektiv "sozialistisch" versehen wird oder nicht. In der Krise der Arbeitsgesellschaft wird das Privateigentum ebenso wie das Staatseigentum obsolet, weil beide Eigentumsformen gleichermaßen den Verwertungsprozeß voraussetzen. Eben deshalb liegen die entsprechenden sachlichen Mittel zunehmend brach und bleiben verschlossen. Und eifersüchtig wachen die staatlichen, betrieblichen und juristischen Funktionäre darüber, daß dies so bleibt und die Produktionsmittel eher verrotten als für einen anderen Zweck eingesetzt zu werden. Die Eroberung der Produktionsmittel durch freie Assoziationen gegen die staatliche und juristische Zwangsverwaltung kann daher nur bedeuten, daß diese Produktionsmittel nicht mehr in der Form der Warenproduktion für anonyme Märkte mobilisiert werden. An die Stelle der Warenproduktion tritt die direkte Diskussion, Absprache und gemeinsame Entscheidung der Gesellschaftsmitglieder über den sinnvollen Einsatz der Ressourcen. Die unter dem Diktat des kapitalistischen Selbstzwecks undenkbare gesellschaftlich-institutionelle Identität von Produzenten und Konsumenten wird hergestellt. Die entfremdeten Institutionen von Markt und Staat werden abgelöst durch ein gestaffeltes System von Räten, in denen vom Stadtteil bis zur Weltebene die freien Assoziationen nach Gesichtspunkten sinnlicher, sozialer und ökologischer Vernunft über den Fluß der Ressourcen bestimmen. Nicht mehr der Selbstzweck von Arbeit und "Beschäftigung" bestimmt das Leben, sondern die Organisation des sinnvollen Einsatzes von gemeinsamen Möglichkeiten, die durch keine automatische "unsichtbare Hand" gesteuert werden, sondern durch bewußtes gesellschaftliches Handeln. Der produzierte Reichtum wird direkt nach Bedürfnissen angeeignet, nicht nach "Zahlungsfähigkeit". Zusammen mit der Arbeit verschwindet die abstrakte Allgemeinheit des Geldes ebenso wie diejenige des Staates. An die Stelle der getrennten Nationen tritt eine Weltgesellschaft, die keine Grenzen mehr benötigt, in der sich jeder Mensch frei bewegen und an jedem beliebigen Ort das universelle Gastrecht beanspruchen kann. Die Kritik der Arbeit ist eine Kriegserklärung an die herrschende Ordnung, keine friedliche Nischen-Koexistenz mit deren Zwängen. Die Parole der sozialen Emanzipation kann nur lauten: Nehmen wir uns, was wir brauchen! Kriechen wir nicht länger auf Knien unter das Joch der Arbeitsmärkte und der demokratischen Krisenverwaltung! Die Voraussetzung dafür ist die Kontrolle neuer sozialer Organisationsformen (freier Assoziationen, Räte) über die gesamtgesellschaftlichen Bedingungen der Reproduktion. Dieser Anspruch unterscheidet die Gegner der Arbeit grundsätzlich von allen Nischenpolitikern und Kleingeistern eines Schrebergarten-Sozialismus. Die Herrschaft der Arbeit spaltet das menschliche Individuum. Sie trennt das Wirtschaftssubjekt vom Staatsbürger, das Arbeitstier vom Freizeitmenschen, das abstrakt Öffentliche vom abstrakt Privaten, die produzierte Männlichkeit von der produzierten Weiblichkeit und sie stellt den vereinzelten einzelnen ihren eigenen gesellschaftlichen Zusammenhang als eine fremde, sie beherrschende Macht gegenüber. Die Gegner der Arbeit streben die Aufhebung dieser Schizophrenie in der konkreten Aneignung des gesellschaftlichen Zusammenhangs durch bewußt und selbstreflexiv handelnde Menschen an. 17. Ein Programm der Abschaffungen gegen die Liebhaber der Arbeit Man wird den Gegnern der Arbeit vorwerfen, sie seien nichts als Phantasten. Die Geschichte habe erwiesen, daß eine Gesellschaft, die nicht auf den Prinzipien der Arbeit, des Leistungszwangs, der marktwirtschaftlichen Konkurrenz und des individuellen Eigennutzes basiere, nicht funktionieren könne. Wollt ihr, Apologeten des herrschenden Zustands, also behaupten, daß die kapitalistische Warenproduktion tatsächlich der Mehrheit der Menschen ein auch nur im entferntesten annehmbares Leben beschert hat? Nennt ihr es "funktionieren", wenn ausgerechnet das sprunghafte Wachstum der Produktivkräfte Milliarden von Menschen aus der Menschheit stößt und sie froh sein dürfen, auf Müllhalden zu überleben? Wenn Milliarden andere das gehetzte Leben unter dem Diktat der Arbeit nur noch ertragen, indem sie sich isolieren und vereinsamen, indem sie ihren Geist genußlos betäuben und physisch wie psychisch erkranken? Wenn die Welt in eine Wüste verwandelt wird, nur um aus Geld mehr Geld zu machen? Nun gut. Das ist in der Tat die Art und Weise, wie euer grandioses System der Arbeit "funktioniert". Solche Leistungen allerdings wollen wir nicht vollbringen! Eure Selbstzufriedenheit beruht auf eurer Ignoranz und auf der Schwäche eures Gedächtnisses. Die einzige Rechtfertigung, die ihr für eure gegenwärtigen und zukünftigen Verbrechen findet, ist der Zustand der Welt, der auf euren vergangenen Verbrechen beruht. Ihr habt vergessen und verdrängt, welcher Staatsmassaker es bedurfte, bis den Menschen euer gelogenes "Naturgesetz" ins Hirn gefoltert war, daß es geradezu ein Glück sei, fremdbestimmt "beschäftigt" zu werden und sich die Lebensenergie für den abstrakten Selbstzweck eures Systemgötzen aussaugen zu lassen. Erst mußten alle Institutionen der Selbstorganisation und der selbstbestimmten Kooperation in den alten Agrargesellschaften ausgerottet werden, bis die Menschheit überhaupt in der Lage war, die Herrschaft von Arbeit und Eigennutz zu verinnerlichen. Vielleicht wurde wirklich ganze Arbeit geleistet. Wir sind keine übertriebenen Optimisten. Wir können nicht wissen, ob die Befreiung aus diesem konditionierten Dasein gelingen wird. Es ist offen, ob der Untergang der Arbeit zur Überwindung des Arbeitswahns führt oder zum Ende der Zivilisation. Ihr werdet einwenden, mit der Aufhebung des Privateigentums und des Zwangs zum Geldverdienen werde alle Tätigkeit aufhören und eine allgemeine Faulheit einreißen. Gebt ihr also zu, daß euer gesamtes "natürliches" System auf purem Zwang beruht? Und daß ihr deshalb die Faulheit als Todsünde wider den Geist des Arbeitsgötzen fürchtet? Die Gegner der Arbeit jedoch haben überhaupt nichts gegen die Faulheit. Eines ihrer vorrangigen Ziele ist es, die Kultur der Muße wiederherzustellen, die einst alle Gesellschaften kannten und die vernichtet wurde, um ein rastloses und sinnvergessenes Produzieren durchzusetzen. Deshalb werden die Gegner der Arbeit zuerst all die vielen Produktionszweige ersatzlos stilllegen, die überhaupt nur dazu dienen, ohne Rücksicht auf Verluste den verrückten Selbstzweck des warenproduzierenden Systems aufrechtzuerhalten. Wir sprechen nicht nur von den offensichtlich gemeingefährlichen Arbeitsbereichen wie der Auto-, der Rüstungs- und der Atomindustrie, sondern auch von der Produktion jener zahlreichen Sinnprothesen und albernen Belustigungsgegenstände, die den Arbeitsmenschen einen Ersatz für ihr vergeudetes Leben vortäuschen sollen. Verschwinden wird auch die ungeheure Menge jener Tätigkeiten, die überhaupt nur deswegen anfallen, weil die Produktmassen durch das Nadelöhr der Geldform und Marktvermittlung hindurchgepreßt werden müssen. Oder meint ihr, daß noch Buchhalter und Kostenrechner, Marketingspezialisten und Verkäufer, Vertreter und Werbetexter vonnöten sind, sobald die Dinge nach Bedarf hergestellt werden und alle einfach nehmen, was sie brauchen? Und wozu sollte es noch Finanzbeamte und Polizisten, Sozialarbeiter und Armutsverwalter geben, wenn kein Privateigentum mehr geschützt, kein soziales Elend verwaltet und niemand für entfremdete Systemzwänge zugerichtet werden muß? Wir hören schon den Aufschrei: Die vielen Arbeitsplätze! Jawohl. Rechnet es ruhig einmal aus, wieviel Lebenszeit sich die Menschheit täglich raubt, nur um "tote Arbeit" aufzuhäufen, Menschen zu verwalten und das herrschende System zu schmieren. Wieviel Zeit wir alle in der Sonne liegen könnten, statt uns für Dinge zu schinden, über deren grotesken, repressiven und zerstörerischen Charakter schon ganze Bibliotheken geschrieben wurden. Doch keine Angst. Keinesfalls wird alle Tätigkeit aufhören, wenn die Zwänge der Arbeit verschwinden. Allerdings verändert alle Tätigkeit ihren Charakter, wenn sie nicht mehr in eine selbstzweckhafte und entsinnlichte Sphäre von abstrakten Fließzeiten gebannt wird, sondern ihrem eigenen, individuell variablen Zeitmaß folgen kann und in persönliche Lebenszusammenhänge integriert ist; wenn auch in großen Organisationsformen der Produktion die Menschen selber den Ablauf bestimmen, statt vom Diktat der betriebswirtschaftlichen Verwertung bestimmt zu werden. Warum sich hetzen lassen von den dreisten Anforderungen einer aufgezwungenen Konkurrenz? Es gilt, die Langsamkeit wiederzuentdecken. Nicht verschwinden werden natürlich auch jene Tätigkeiten der Hauswirtschaft und der Pflege von Menschen, die in der Arbeitsgesellschaft unsichtbar gemacht, abgespalten und als "weiblich" definiert worden sind. Das Kochen ist ebensowenig zu automatisieren wie das Wickeln von Kleinkindern. Wenn zusammen mit der Arbeit die Trennung der sozialen Sphären überwunden wird, können diese notwendigen Tätigkeiten ins Licht bewußter sozialer Organisation jenseits der geschlechtlichen Zuschreibungen treten. Sie verlieren ihren repressiven Charakter, sobald sie nicht mehr Menschen unter sich subsumieren und je nach Umständen und Bedürfnissen von Männern wie Frauen gleichermaßen verrichtet werden. Wir sagen nicht, daß jede Tätigkeit dadurch zum Genuß wird. Einige mehr, andere weniger. Natürlich gibt es immer Notwendiges, das getan werden muß. Aber wen sollte das schrecken, wenn das Leben nicht davon aufgefressen wird? Und es wird immer viel mehr geben, was aus freier Entscheidung heraus getan werden kann. Denn die Tätigkeit ist ja ebenso ein Bedürfnis wie die Muße. Nicht einmal die Arbeit hat dieses Bedürfnis ganz auslöschen können, sondern es für sich instrumentalisiert und vampirisch ausgesaugt. Die Gegner der Arbeit sind weder Fanatiker eines blinden Aktivismus noch eines ebenso blinden Nichtstuns. Muße, notwendige Tätigkeit und freigewählte Aktivitäten müssen in ein sinnvolles Verhältnis gebracht werden, das sich nach Bedürfnissen und Lebenszusammenhängen richtet. Einmal den kapitalistischen Sachzwängen der Arbeit entwunden, können die modernen Produktivkräfte die frei disponible Zeit für alle ungeheuer ausdehnen. Warum Tag für Tag viele Stunden in Fabrikhallen und Büros zubringen, wenn Automaten aller Art uns den größten Teil dieser Tätigkeiten abnehmen können? Warum Hunderte menschlicher Körper schwitzen lassen, wenn einige Mähdrescher genügen? Warum Geist auf eine Routine verschwenden, die auch ein Computer ohne weiteres ausführt? Allerdings kann für diese Zwecke nur der geringste Teil der Technik in seiner kapitalistischen Form übernommen werden. Das Gros der technischen Aggregate ist völlig umzuformen, wurden diese doch nach den bornierten Maßstäben der abstrakten Rentabilität gebaut. Viele technische Möglichkeiten sind andererseits aus demselben Grund gar nicht erst entwickelt worden. Obwohl solare Energie an jeder Ecke gewonnen werden kann, setzt die Arbeitsgesellschaft zentralisierte und lebensgefährliche Kraftwerke in die Welt. Und obwohl schonende Methoden der agrarischen Produktion längst bekannt sind, schüttet das abstrakte Geldkalkül tausenderlei Gifte ins Wasser, zerstört die Böden und verpestet die Luft. Aus rein betriebswirtschaftlichen Gründen werden Bauteile und Lebensmittel dreimal um den Globus gejagt, obwohl die meisten Dinge ohne große Transportwege leicht vor Ort hergestellt werden können. Ein erheblicher Teil der kapitalistischen Technik ist ebenso sinnlos und überflüssig wie der dazugehörige Aufwand menschlicher Energie. Wir sagen euch damit nichts Neues. Und doch werdet ihr niemals Konsequenzen aus dem ziehen, was ihr auch selber sehr gut wißt. Denn ihr verweigert euch jeder bewußten Entscheidung darüber, welche Produktions-, Transport- und Kommunikationsmittel sinnvollerweise einzusetzen und welche schädlich oder schlicht überflüssig sind. Je hektischer ihr euer Mantra der demokratischen Freiheit abnudelt, desto verbissener weist ihr die elementarste soziale Entscheidungsfreiheit zurück, weil ihr weiterhin dem herrschenden Leichnam der Arbeit und seinen Pseudo-"Naturgesetzen" dienen wollt. 18. Der Kampf gegen die Arbeit ist antipolitisch Die Überwindung der Arbeit ist alles andere als eine wolkige Utopie. Die Weltgesellschaft kann in der bestehenden Form keine 50 oder 100 Jahre mehr weitermachen. Daß die Gegner der Arbeit es mit dem bereits klinisch toten Arbeitsgötzen zu tun haben, macht ihre Aufgabe freilich nicht unbedingt leichter. Denn je mehr die Krise der Arbeitsgesellschaft sich zuspitzt und alle Reparaturversuche als Fehlschläge enden, desto mehr wächst auch die Kluft zwischen der Vereinzelung der hilflosen sozialen Monaden und den Anforderungen einer gesamtgesellschaftlichen Aneignungsbewegung. Die zunehmende Verwilderung der sozialen Verhältnisse in großen Teilen der Welt zeigt, daß sich das alte Arbeits- und Konkurrenzbewußtsein auf immer niedrigerem Niveau fortsetzt. Die schubweise Entzivilisierung scheint trotz aller Impulse eines Unbehagens im Kapitalismus die naturwüchsige Verlaufsform der Krise zu sein. Gerade bei derart negativen Aussichten wäre es fatal, die praktische Kritik der Arbeit als umfassendes gesamtgesellschaftliches Programm hintanzustellen und sich darauf zu beschränken, eine prekäre Überlebenswirtschaft in den Ruinen der Arbeitsgesellschaft zu errichten. Die Kritik der Arbeit hat nur eine Chance, wenn sie gegen den Strom der Entgesellschaftung ankämpft, statt sich davon mitreißen zu lassen. Aber zivilisatorische Standards sind nicht mehr mit der demokratischen Politik zu verteidigen, sondern nur noch gegen sie. Wer die emanzipatorische Aneignung und Transformation des kompletten gesellschaftlichen Zusammenhangs anstrebt, kann schwerlich die Instanz ignorieren, die bislang dessen Rahmenbedingungen organisiert. Es ist unmöglich, gegen die Enteignung der eigenen gesellschaftlichen Potenzen zu rebellieren, ohne sich mit dem Staat zu konfrontieren. Denn der Staat verwaltet nicht nur ungefähr die Hälfte des gesellschaftlichen Reichtums, er sichert auch die zwanghafte Unterordnung aller gesellschaftlichen Potentiale unter das Gebot der Verwertung. Sowenig die Gegner der Arbeit Staat und Politik ignorieren können, ebensowenig ist mit ihnen Staat und Politik zu machen. Wenn das Ende der Arbeit auch das Ende der Politik ist, dann wäre eine politische Bewegung für die Aufhebung der Arbeit ein Widerspruch in sich. Die Gegner der Arbeit richten Forderungen an den Staat, aber sie bilden keine politische Partei und sie werden auch keine bilden. Der Zweck der Politik kann es nur sein, den Staatsapparat zu erobern, um mit der Arbeitsgesellschaft weiterzumachen. Die Gegner der Arbeit wollen daher nicht die Schaltzentralen der Macht besetzen, sondern sie ausschalten. Ihr Kampf ist nicht politisch, sondern antipolitisch. Untrennbar sind Staat und Politik der Moderne mit dem Zwangssystem der Arbeit verquickt und deshalb müssen sie zusammen mit diesem verschwinden. Das Gerede von einer Renaissance der Politik ist nur der Versuch, die Kritik des ökonomischen Terrors auf ein positiv staatsbezogenes Handeln zurückzuzerren. Selbstorganisation und Selbstbestimmung aber sind das genaue Gegenteil von Staat und Politik. Die Eroberung sozial-ökonomischer und kultureller Freiräume vollzieht sich nicht auf dem politischen Umweg, Dienstweg und Irrweg, sondern als Konstitution einer Gegengesellschaft. Freiheit heißt, sich weder vom Markt verwursten noch vom Staat verwalten zu lassen, sondern den gesellschaftlichen Zusammenhang in eigener Regie zu organisieren - ohne Dazwischenkunft entfremdeter Apparate. In diesem Sinne geht es für die Gegner der Arbeit darum, neue Formen sozialer Bewegung zu finden und Brückenköpfe einzunehmen für eine Reproduktion des Lebens jenseits der Arbeit. Es gilt, die Formen einer gegengesellschaftlichen Praxis mit der offensiven Verweigerung der Arbeit zu verbinden. Mögen die herrschenden Mächte uns für verrückt erklären, weil wir den Bruch mit ihrem irrationalen Zwangssystem riskieren. Wir haben nichts zu verlieren als die Aussicht auf die Katastrophe, in die sie uns hineinsteuern. Wir haben eine Welt jenseits der Arbeit zu gewinnen. Proletarier aller Länder, macht Schluß! Das vollständige Manifest ist zu bestellen bei: Krisis-Kreis Köln, Düsseldorfer Str. 74, 51063 Köln. Bezug gegen Vorkasse (Briefmarken oder Geldschein): 1 Ex.: DM 6,60; 2 Ex.: DM 10,-; 10 Ex.: DM 30,- (inkl. Porto). http://www.jungle-world.com/_99/34/15a.htm Manifest gegen die Arbeit (II) http://www.nettime.org/~rolux/archive/00000216.txt Manifest gegen die Arbeit (I) http://www.nettime.org/~rolux/archive/00000210.txt ________________________________________________________________________________ no copyright 1999 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org