________________________________________________________________________________ Spätsommer der Subkultur Vor 30 Jahren platzten die Träume / Von Diedrich Diederichsen Im Sommer 1969 wurden die Karten neu gemischt. Das allgemein als legendär geltende Woodstock-Festival verbreitete das nicht ganz neue Konzept Gegenkultur bis in den letzten Winkel des Planeten. Das lag zwar auch daran, dass die Ereignisse zwischen dem 13. und dem 15. August von cleveren Hip-Kapitalisten zum ersten gleichzeitig vermarkteten Film-Schallplatte-Medienverbund im großen Stil zusammengeschweißt und von einem Weltkonzern vertrieben wurden, aber Ähnliches hatte man auch schon zuvor unternommen. Zwei Jahre vor Woodstock, auf dem Höhepunkt der weltweiten Hippie-Begeisterung und mit einer musikalisch wesentlich interessanteren Besetzung hatte man versucht, das Festival von Monterey zum definitiven Moment einer neuen Kultur zu erklären. Doch erst Joni Mitchells Kommentar zum Woodstock-Festival mit seinen regressiv-utopischen Verheißungen zu deutsch: Wir sind Sternenstaub, wir sind golden und wir müssen es schaffen, zurück in den Garten erhielt den seitdem inflationär vergebenen Ehrentitel Hymne einer Generation. Ja, Generation, auf was sonst sollte man sich berufen? Na, ich denke, es geht schon etwas präziser. Das Konzept Gegenkultur, das in jenem August kurz nach der Mondlandung und kurz vor dem ersten Regierungswechsel in Bonn, dem eigentlichen Ende der Nachkriegszeit also als Massenprodukt in die Welt gesetzt wurde, war mehr als nur eine Generationenbestimmung. Um ihm näher zu kommen, werden uns zwei andere Prominente helfen, für die in diesem August das Schicksal seinen Lauf nahm, Theodor W. Adorno und Charles Manson. Der eine starb, viel zu früh und bis heute unersetzt, ausgezehrt und genervt von genau Subkultur und Studentenrevolte am 6. August 1969 im Urlaub in der Schweiz, wo er sich nämlich gegen ausdrücklichen ärztlichen Rat gleich am zweiten Urlaubstag wieder beim Wandern übernehmen musste. Der andere, der wesentlich im Gefängnis sozialisierte Dauer-Outlaw Manson stiftete seine Gang heruntergekommener, von den falschen Drogen (Stechapfel: bis zu 30 IQ-Punkte gehen pro Einnahme verloren) gezeichneter und von seiner Guru-Autorität geistig abhängiger Hippie-Jünger zu ihren spektakulärsten Untaten an, den sogenannten Tate-LaBianca-Morden. Maxima Amoralia Einen Tag vor Adornos Tod nahm die Polizei in Los Angeles den Musiker Bobby Beausoleil wegen des wahrscheinlich ebenfalls von Manson angestifteten Foltermordes an Gary Hinman fest. Beausoleil sollte später vom Gefängnis aus den Soundtrack für den letzten großen Film des schwarzen Magiers und verdienstvollen Underground-Film-Erfinders Kenneth Anger einspielen, Lucifer Rising. Ein in jeder Hinsicht bedrohliches und einschüchterndes Progressive-Rock-Georgel eigentlich sollte Beausoleil auch den Luzifer darstellen. Dazu kam es nicht; er schloss sich statt dessen im Knast, wo er heute noch sitzt, der berüchtigten rassistischen Aryan Brotherhood an, deren zentrales Ziel es war, weiße Gefangene vor schwarzen Vergewaltigern zu schützen, die auf weißes Fleisch scharf seien eine Phantasie, die Beausoleil mit seinen Freund Charles Manson und dem inzwischen verstorbenen Beach-Boys-Schlagzeuger Dennis Wilson teilte. Der 1983 als Venice-Beach-Bum ertrunkene Wilson träumte angeblich oft nachts von schwarzen Vergewaltigern und sprach mit Manson darüber, dessen spirituelle Präsenz er mit dem Maharishi verglich, den die Beach Boys kurz nach ihren Erzkonkurrenten, den Beatles, entdeckten. Dennis Wilson sorgte auch dafür, dass die Beach Boys im November 1968 zwei der düsteren Kompositionen des Folk-Rockers Manson aufnahmen: aus Mansons Cease To Exist wurde unter den makellosen Vokalharmonien der Wilsons Never Learn Not To Love, als Komponist auf dem Album 20/20 wurde Dennis Wilson ausgegeben. Zwei Tage nach Adornos Tod, fünf Tage vor Woodstock, rückte ein Manson-Kommando aus, um in der von Roman Polanski gemieteten Villa, Nummer 10500 Cielo Drive fünf Menschen, darunter die hochschwangere Sharon Tate, Polanskis Ehefrau und gefeierte Darstellerin in dessen Tanz der Vampire, bestialisch zu ermorden, wie es immer heißt. Zu diesem Anlass erfanden sie das seitdem von zahllosen Horror-Regisseuren übernommene Mit-dem-Blut-der-Opfer-Parolen-an-die-Wand-Schreiben: die schaurigen Graffiti bezogen sich wiederum auf Songs der Beatles, für deren Weißes Album der Fan Manson eine popfantypische hermeneutische Obsession entwickelt hatte. Wenn man vom Cielo Drive in die erste Straße rechts abbiegt, kommt man in den Benedict Canyon Drive, von dort aus geht es schnurgerade bergab, dann wieder rechts ein Stück den Sunset Boulevard herunter, zur Rechten lässt man die hyperreichen und schwerstbewachten Villen der Schönbergs und Manns liegen, um dann irgendwann links in die nicht mehr ganz so üppige South Kenter Ave einzubiegen, wo Adorno in einem Holzbau mit Doppelgarage die mittleren vierziger Jahre verbrachte, gelegentlich Thomas Mann oben auf dem Berg beim Doktor Faustus in Sachen Dodekaphonie beriet und die Dialektik der Aufklärung co-autorte. (Und nun raten Sie mal, wie die Kenter Ave nach dem nächsten Block heißt? Richtig, Bundy Drive! Und wer wohnte da, wohl? Nein, nicht Horkheimer, hier lebte O.J. Simpson, aber das ist eine andere Geschichte). Der Mann, dessen berühmtesten Diktum zufolge es kein richtiges Leben im Falschen gäbe, erst recht nicht in Brentwood, Los Angeles, nahm seinen Satz mit ins Grab und machte den Platz frei für ein Festival, das den ursprünglich nur ein paar eingeweihten Bohemiens und Hipstern bekannten Umstand massenhaft feierte und vermarktete, dass mit den richtigen Glückstechniken (Drogen, Musik, Arbeitsverweigerung, Spiritualität und Sexualität und alles auch käuflich) bewaffnet dieses richtige Leben, und sei es für ein paar Tage, doch möglich sei, mitten in den Vereinigten Staaten des Falschen. Doch diese Feier war von Anfang an von der Tatsache kontaminiert, dass aus all diesen Befreiungen heraus eine bestialische Raserei, Folter und Mord genauso hervorgehen konnten wie die berühmte Liebe und der sattsam bekannte Frieden. Man darf nicht vergessen, dass den Hippie-Utopien als erstes nämlich noch nicht ihre Vermarktbarkeit vorgehalten wurde. Das passierte erst so ab 1971, als überall die Levi‘s-Anzeige (Motiv Pop-Festival) erschien und Konkret und Franz Josef Degenhardt den Konsumismus und Eskapismus der Pop-Kultur gnadenlos zu geißeln begannen (Die Wallfahrt zum Big Zeppelin) wofür das Pop-Festival immer öfter die zentrale Metapher abgab. Nein, zuvor wurde den Hippies vor allem ihr Manson vorgehalten, einer der ihren, klar zu erkennen an den langen Haaren, der genauso brutal und entfesselt in Blut baden würde wie die anderen nackt in den Flüssen und Seen der freien Natur Nordamerikas. Und in gewissem Sinne war das auch stichhaltiger. Nicht die Vermarktung hat das Konzept Gegenkultur zur Strecke gebracht. Es war von Anfang an ein innerkapitalistisches Konzept, das aber gelegentlich antikapitalistische Effekte zeitigte und tatsächlich dazu taugte, die Umwertung von Werten, sofern sie den Kapitalismus nicht in seinen Grundfesten bedrohten, auch erfolgreich massenhaft zu verbreiten. Ganz klar, dass dies nur in Komplizenschaft mit dem Markt geschehen konnte. Dennoch gelang es den sich notorisch und naiv antikommerziell gerierenden Werten der Gegenkultur immer wieder, sich auch gegen den Markt zu erneuern, den Markt als Problem zu thematisieren und darüber hinaus ihre Attraktivität für neue Generationen aufrecht zu erhalten. Gegenkultur brach erst zusammen, als ihre politischen Rahmenbedingungen zusammenbrachen. Ein mehr oder weniger intaktes bürgerliches Wertemilieu, auf das man von außen Druck ausüben konnte, dem man die (wiederum Bürgertum-internen) Klassiker Doppelmoral und Unterdrückung individueller Entwicklung vorhalten konnte und das generell bereit war, Reformen zu dulden, die ohne dass es das wissen konnte auch seiner Ökonomie zugute kamen. Nein, die Dialektik aus antikonsumistischer Befreiung (mit ihrer Schattenseite: bürgerlicher Elitismus) und massenhafter, warenförmiger und effizienter Verbreitung revolutionären Gedankengutes (mit diversen Schattenseiten: Verflachung, Entschärfung, Konsumismus) war solange intakt, wie die westlichen Gesellschaften insgesamt reformierbar waren oder sich reformierbar gaben. Erst seit die individuelle Entwicklung ganz in eine fitmachende Freizeit einerseits und gnadenlos individualisierte Konkurrenz von flexiblen Karrieristen andererseits aufgeteilt worden ist und das politisch-ökonomische Ganze von einer Politik der Kultur nicht mehr adressierbar ist, ist das Konzept Gegenkultur gebrochen. Der Markt alleine, solange er nicht totalitär war und andere Institutionen noch etwas zu melden hatten, konnte zumindest in Grenzen noch als Instrument verstanden werden. Das Böse war dagegen von Anfang an ein zentrales Element des Konzepts Gegenkultur. Dies war die eigentliche Rache von Adornos Diktum. Denn wer Überschreitung predigte, wer die individuelle Entwicklung und Verwirklichung als einen Weg aus den Entfremdungen predigte, durfte, solange er im Falschen lebte, nicht vergessen, dass diese Schritte sich immer auch gegen die Moral der Gemeinschaft, auch der neuen Gemeinschaft richten mussten, um nicht beim bloßen wirkungslosen und leblosen Predigen des Guten stehen zu bleiben. Die Tat um ihrer selbst willen, der Übertritt um seiner selbst Willen ein entscheidendes Element des Konzepts Gegenkultur: jetzt hier anders zu leben und dies ohne Geduld zu realisieren lappte immer auch ins Böse und Bestialische. Gleichwohl war dieses Risiko unabdingbar für die Idee der Gegenkultur: die Aktualisierung der Ideen, der Primat des Erlebens machte ihre Erotik aus, unterschied sie von der trockenen politischen Idee, um die herum sich brav überzeugte, protestantische Gewissenstiere sammeln dürfen. Riskant und politisch korrekt, lebendig und fortschrittlich zugleich waren Gegenkulturen immer nur dann, wenn sie intakte, die Paradoxe ausbalancierende communities bildeten, die aber an Gesellschaft als Ganzes noch angeschlossen waren und sei es in pointierter, gerichteter Negation. Doch was für Gemeinschaften brachten die Vorläufer der Gegenkultur in diese neue massenhafte Gegenkultur des Spätsommers 69 ein? Der Journalist Ed Sanders reagierte im August 69, als die Dämonisierung der Hippies durch die Manson-Morde und die Festnahme Beausoleils die amerikanische Mainstream-Kultur zu dominieren begann, indem er eine aufwendige Recherche rund um die Manson-Familie aufnahm. Er wollte die Fakten aufdecken und die Ideologie derer, die Hippies und Manson in einen Topf warfen, attackieren. Was er fand, war ein weitverzweigtes Netz von Sekten, Satanisten und schwarzen Magiern, die die kalifornische Subkultur von L.Ron Hubbard bis zu dem Byrds-Produzenten und Doris-Day-Sohn Terry Melcher, von Obersatanist Charles LaVey bis zu Kenneth Anger, von Rassisten und Rechtsradikalen bis zu revolutionär gesonnenen Rockern durchzogen und seine Befürchtungen noch übertraf. Die neue Gegenkultur erbte diese südkalifornischen Strukturen ebenso wie die literarischen Zirkel, Proto-Ökologen und Anti-Rassisten der nordkalifornischen Beatniks und vieles mehr. Seit das Konzept Gegenkultur verschwunden ist, sind seine Bestandteile wieder frei geworden und irren oft geschichtslos und ungebunden durch die unübersichtlichen kulturellen Konstellationen. Darunter auch der seit den Achtzigern so oft wiederbelebte Charlie Manson und seine arischen Brüder. Erst als gegen etablierte Hippies gerichtete Punk-Provokation, dann auf T-Shirts und in Songs von Mainstream-Bands wie Gun&Roses und heute nicht zuletzt als Nachname einer wenigstens noch zuweilen ganz hübsch ambivalenten Figur wie Marylin Manson. Zum Teil können nachwachsende Generationen mit dem Material wohl immer noch ganz effektvoll irgendwelche resistent bigotten Blödmänner schrecken, zum anderen Teil machen sie aus den freien, radikalen Mason-Molekülen munter ein nunmehr rechtes Konzept Gegenkultur. Dies muss dann nicht mehr mit der Dialektik oder Dissonanz leben, an einem richtigen Leben im falschen wider alle Weisheit zu arbeiten, sondern kann ganz gemütlich und ohne Reibungsverlust mit einem widerspruchsfrei falschen Leben im falschen anfangen. Man kann das überall beobachten. Helter Skelter, ihr Deppen! http://www.sueddeutsche.de/aktuell/feuill_a.htm ________________________________________________________________________________ no copyright 1999 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org