________________________________________________________________________________ Die Gruppe "Die glücklichen Arbeitslosen" und die niederländische Agentur Bilwet haben zwei weitere Beiträge für die Reihe _Dialoge mit der Macht_ erarbeitet. Um "Integration durch Arbeit" geht es im Hörstück _Die Legende von SAM und IdA_. Die Niederländer widmen ihre Arbeit 1000 Fehler der elektronischen Einsamkeit, die Raum für selbstgestylte Identitäten gibt und die Lust für revolutionäre Situationen nimmt. DeutschlandRadio Berlin Hörspiel und Feature Werkstatt: 25.10.99 * 0.05 ArbeitsTitel FreiSpiel - Dialoge mit der Macht von den Glücklichen Arbeitslosen und Agentur Bilwet Autoren/Darsteller: die Glücklichen Arbeitslosen/ Agentur Bilwet Realisation: die Glücklichen Arbeitslosen und Thomas Doktor/ Agentur Bilwet Produktion: DeutschlandRadio Berlin/ Klaus Sander und Thomas Wolfertz 1999 Länge: 2 Hörstücke à 25' "ArbeitsTitel" mit den Berliner Glücklichen Arbeitslosen und der niederländischen Gruppe Agentur Bilwet. Die Glücklichen Arbeitslosen beschreiben ihre "Hörmaßnahme": "Die glückliche Arbeitslosigkeit, in der wir uns ungehindert auf die Suche nach unklaren Ressourcen begeben können, wird unterbrochen durch Zwangsmaßnahmen: 'Integration durch Arbeit'. Das Kurztagebuch einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ist Grundlage dieser Sendung." Agentur Bilwet besteht seit 1983 und entwickelt "Unbekannte Theorie Konzepte" unter dem Stichwort elektronische Einsamkeit. Ihr Theorie-sound-remix "Out of context" beschreibt unter anderem Telearbeit als mentale Konstitution und prophezeit: "Das Netz als ideale Tretmühle für selbst-gestylte Identitäten wird keine revolutionären Situationen schaffen." FreiSpiel Dialoge mit der Macht Im September 1998 wurde in der Bundesrepublik Deutschland eine neue Regierung gewählt. Im Bundestagswahlkampf hatte Michael Naumann kritisiert, die Sprachlosigkeit vieler deutscher Intellektueller manifestiere sich in permanenten Rückzugsgefechten: "Politik - ohne mich". Wenn er sich auch nicht als "Aufbruchsbeauftragter" sah, so forderten er und auch Gerhard Schröder doch wiederholt die Intellektuellen Deutschlands auf, sich an politischen Debatten zu beteiligen. Doch wie führt man einen Dialog mit der Macht, wer führt ihn, und mit wem? Kann man mit der Macht überhaupt einen Dialog führen? Wir haben eine Reihe von Hörspielen zusammengestellt, die den Umgang von Individuen und Gruppen mit Macht zeigen. Dabei wird es nicht nur um die Staatsmacht und Behörden gehen, sondern es werden auch Familie, Arbeitswelt und Internet unter dem Aspekt "Dialoge mit der Macht" untersucht. Wir eröffnen die Reihe mit einem "FreiSpiel Spezial". Christoph Schlingensief setzte im April 1999 geplante Vorstellungen seines Stückes "Berliner Republik" an der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz ab. Angesichts des Krieges im Kosovo fand er es richtiger, Flüchtlingslager in Mazedonien zu besuchen, als weiterhin "Lappen - Rauf - Lappen - Runter - Theater" zu machen. Er versuchte zu erreichen, daß die Volksbühne Flüchtlinge aufnimmt und zitierte Anfang Mai in einem offenen Brief an die Fraktion der Grünen im Bundestag Peter Nadas: "Die Frage ist, warum führende Denker in Europa nicht endlich aufschreien, warum sie es weiterhin versäumen, einen Menschen verständlichen, der Realität angemessenen Satz schön laut auszusprechen. Der Satz lautet: Ich kann dir nicht helfen, weil mich die Funktionsprinzipien meines eigenen Systems daran hindern. Aber ich werde seine funktionellen Mängel untersuchen." Parallel zu diesen Versuchen des Dialogs versammelte Schlingensief zahlreiche prominente Persönlichkeiten zu seiner Hörspielshow Lager ohne Grenzen und veranstaltete mit ihnen eine Europäische Benefizveranstaltung gegen den Krieg. Margit Carstensen moderiert, und neben Bazon Brock, Johannes Stüttgen, Irm Hermann, Justus Franz, Peter Handke, den Bee Gees, der Hamburger Bahnhofsmission und vielen anderen Helfern aus Kunst und Kultur stehen auch zahlreiche Mitarbeiter der Hilfsorganisationen Rede und Antwort. Vor allem aber sind 200 Telefone freigeschaltet. Wir werden diese Hörspielshow in Abänderung unseres ursprünglichen Programms am 12. Juli ursenden. Am 13. September stellen wir in einer weiteren Ursendung Susanne Amatoseros Stück Asylanten vor. Die Autorin hat ein aktuelles und brisantes Thema als A - capella - Oper inszeniert. Die Protagonisten heißen Moses, Ici, Mr. White und Special Guest und haben keinen oder mehrere Pässe. Im Land "Jamanin" treffen sie auf den Chor der Eingeborenen. Die Eingeborenen katalogisieren alles, was über die Landesgrenzen kommt, und tragen es in die "Be Horde". Susanne Amatosero: "Ich zeige eine Gruppe von Seßhaften, die versucht, mit einer Gruppe von Nomaden klarzukommen. In den seßhaften Systemen geht es darum, Regeln zu finden, Ordnungen zu errichten und sich abzugrenzen. Von Europa aus werden viele Ikonen und Identitäten diktiert, um uns berechenbar zu machen. In anderen Teilen der Welt beginnen die Menschen mit diesen Ikonen zu spielen, und das halten die Europäer nicht aus." Dialoge zwischen Parteien, die einander nicht verstehen können und - so sehr die Verteilung der Macht in einzelnen Szenen auch wechseln mag, bleibt sie letztlich fest in der Hand der Eingeborenen. Am 27. September präsentiert Hermann Bohlen Live - Mitschnitte aus den Wohnzimmern der sechziger Jahre. In Sag doch auch mal was! werden wir Zeugen erschreckender Szenen, denn die Verbreitung des Tonbands strebt ihrem Höhepunkt zu. Hermann Bohlen hat die Flohmärkte seiner Umgebung nach alten Tonbändern abgesucht, die Fundstücke montiert und gibt uns die Möglichkeit, der Grundsteinlegung späterer Medienkarrieren beizuwohnen. Lange bevor sich der Satz "das Mikrophon ist dein Partner" durchsetzte, wurde im tönenden Familienalbum der 60er Jahre in privater Atmosphäre vor allem Gehorsam eingeübt "Jetzt erzähl' mal was. Wie heißt du denn? Sag mal: Bürgermeisterei!" Als Journalistin suchte Ulrike Meinhof den Dialog mit der Macht. Als sie begriff, "daß Freiheit in diesem Staat die Freiheit für den Polizeiknüppel ist und Pressefreiheit im Schatten des Springer - Konzerns die Freiheit, den Knüppel zu rechtfertigen", entschied sie, "Polizei- und Presseterror" mit Waffen zu bekämpfen. In Ulrike Meinhof Paradise vollziehen Andreas Ammer und FM Einheit am 11. Oktober diesen Werdegang nach und erzählen dabei auch Mediengeschichte: Bevor sie die Nation terrorisierte, war Ulrike Meinhof gern gesehener Gast im Öffentlich - Rechtlichen. Später nutzten beide Seiten die Medien: "6 gegen 60 Millionen". Heinrich Böll versuchte mit dieser Gleichung den Weg für einen Dialog freizumachen, aber die (nicht zuletzt von bestimmten Medien und Politikern geschürte) Hysterie vor dem staatsgefährdenden Terrorismus blieb lange bestimmende Haltung. Wie werden Dialoge mit der Macht im Internet geführt? Die Amsterdamer Agentur Bilwet beschäftigt sich seit 1983 mit Medientheorie. Mit dem Satz "der kurze Sommer des Internet ist vorbei" beschreiben sie den Übergang des Internet vom offenen Raum in einen Raum, in dem die Gesetze des Marktes regieren. Und die Wiederkehr von Hackern. Die sind schon da: So versucht die chinesische Regierung mit einer "Cyberspace - Polizei" das Internet zu zensieren und gegen "Hei ke" - "schwarze Besucher" vorzugehen. Die Legion of the Underground (LoU) hat zum Cyberwar gegen die Regierungen von China und Irak aufgerufen, derzeit findet ein "Hackerkrieg" gegen Web - Sites der amerikanischen Regierung statt. Auch im Kosovo Krieg war das Internet ein wichtiges Medium: Als der unabhängige Radiosender B 92 sein Programm nicht mehr ausstrahlen durfte, fand er dort Unterstützung. Die serbische Regierung verbreitete Propaganda und Informationen via Internet, und auch die Gegenseite nutzte das Netz. Haben die Theoretiker von Agentur Bilwet also Recht, wenn sie prophezeien: "Das Netz als ideale Tretmühle für selbstgestylte Identitäten wird keine revolutionären Situationen schaffen"? Zudem haben wir die Berliner Glücklichen Arbeitslosen eingeladen. Sie beschreiben den Ausgangspunkt ihrer 'Hörmaßnahme': "Ziel des Dialoges seitens einer Macht ist die Identifikation mit ihr. Ein gleichberechtigtes Gespräch kann auf diesem Weg nicht stattfinden. Die glückliche Arbeitslosigkeit, in der wir uns ungehindert auf die Suche nach unklaren Ressourcen begeben können, wird unterbrochen durch Zwangsmaßnahmen: 'Integration durch Arbeit (IdA)'. Das Kurztagebuch einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ist Grundlage dieser Sendung." ArbeitsTitel: Zwei Sendungen á 25 Minuten, am 25. Oktober. Am 8. November senden wir Heiner Goebbels Version des Heiner Müller Textes Der Mann im Fahrstuhl. In der Produktion von 1989 findet ein als Termin angesetzter Dialog mit der Macht nicht statt. Vielmehr läßt sich der Text deuten als Angst - und Befreiungstraum des Protagonisten. Ein Angestellter oder Arbeiter ist im Fahrstuhl unterwegs zu seinem Chef, den er in Gedanken Nummer Eins nennt. Die Fahrt von unten nach oben entwickelt sich zu einem Horrortrip, da der Angestellte, trotz seiner Sorge, unpünktlich zu sein, die genaue Etagennummer nicht kennt. ________________________________________________________________________________ no copyright 1999 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org