________________________________________________________________________________ King Liar Kay Sokolowsky Rudolf Scharping hat im Krieg ein Tagebuch geführt, das nun gedruckt vorliegt. Zu besichtigen ist ein Amoklauf gegen Sprache, Logik und Wahrheit Wir dürfen nicht wegsehen, plärrt der gefährlichste Mann des Landes, um zu begründen, warum er und andere Helden 78 Tage lang Krankenhäuser, Schulbusse und Studentenwohnheime zertrümmern ließen. Und damit wir auch was sehen, wenn wir schon nicht wegsehen dürfen, illuminierten die Jagdbomber der Nato den Himmel über Belgrad mit Laserblitzen, den Boden mit Explosionen. Wir dürfen nicht wegsehen heißt, das Credo eines chronisch Myopischen resümierend, die soeben veröffentlichte Luftkriegsapologie Rudolf Scharpings. Sie enthält die, angeblich, ›authentischen‹ Notizen des größten Verteidigungsministers aller Zeiten aus den Tagen des Überfalls auf Jugoslawien und die Reflexionen, die den Gemeinen Rat post Schlachtfest überfielen. Jene setzt der Ullstein-Verlag kursiv, diese, weil sie geraderücken sollen, was krumm war und ist wie ein Fleischerhaken, lotrecht. Es lohnt nicht, diesem Text politisch beikommen zu wollen. Wo fortwährend verkündet und bekannt, Zeugnis abgelegt (wiewohl keine gerichtstaugliche Bezeugung) und dauernd die Herzensprobe (freilich nicht die Verstandesprüfung) bestanden wird, da gibt's nichts zu diskutieren. Wer dennoch z. B. einwendet, die Pulverisierung von serbischen Automobilfabriken sei zugleich eine der UN-Charta, der Nato-Präambeln und des BRD-Grundgesetzes gewesen und also ein mehrfach krimineller Akt, der kommt bei Scharping bloß so vor: »Gregor Gysi (wie ein Winkeladvokat)«. Allein in Klammern darf der Affe erscheinen und rabulieren, nicht wert, daß man ihm differenziert widerspreche, lästig halt und infantil - danach aber »erläuterte ich kurz«, kurz, knapp und bündig wie nur und nur je ein deutscher Minister, das, was nicht zu vermeiden war, weil Scharping und seinesgleichen es gar nicht vermeiden wollten. »Die Sitzung meiner Fraktion verließ ich mit dem guten Gefühl starken und ungeteilten Rückhalts« (S. 78). Es ist nämlich gut fürs »Gefühl« zu wissen, daß die Kumpel Schmiere stehen, wenn man grad plant, Wohnhäuser und Rundfunkstudios anzuzünden. Eine Psychopathologie der Politiker, die die Befriedung des Balkan mit Schrapnellbomben zu befördern trachteten und sich angesichts der Menschenmassen, die ihr Krieg kreuz und quer durchs Kosovo trieb, vorkamen wie mindestens Mutter Teresa - eine solche Introspektion kann nun beginnen, mit Scharpings Journal als Präzedenzfall. Zu konstatieren ist eine maßlose Torheit und Trivialität, gemischt mit einem unermeßlichen Vertrauen in die moralische Überlegenheit, die opake Rationalität des eigenen Handelns: »Endlich«, notiert er einmal feierlich, »treten wir nicht, wie so oft vor 1945, als Aggressor auf, sondern verteidigen die Menschenrechte« (S. 114). Man möchte ihn das einmal auf dem Marktplatz von Nis sagen hören (er hätte vermutlich keine Bedenken). Der Autor von Wir dürfen nicht wegsehen kann nicht denken und darum nicht schreiben; er phraselt wie besessen, er vermeidet keine Plattheit, er eifert und krakeelt, er lügt wie gedruckt. Offen manisch die Obsession Rudolf Scharpings für die Paarstellung von Worten: »Machtgewinn und Machterhalt ... ökonomische und demokratische Reformen ... isolierte und ruinierte« - drei Belege aus nur einem Absatz (S. 20); die fixe Idee des Ministers aber lautet: »Mord und Vertreibung«, »Vertreibung und Mord«, »Mord- und Vertreibungsaktionen« resp. »Vertreibungen und Mordaktionen«. Die Vertriebenen sind die Gemordeten sind die Vertriebenen - dies meint das automatisch repetierte Begriffspaar, so kam Scharping zu der Behauptung, die er während des Krieges unermüdlich herumschnarrte und wider das bessere Wissen, das mittlerweile zu haben ihm freilich egal ist, unverdrossen weiter verbreitet: »Im Kosovo wird Völkermord nicht nur vorbereitet, sondern ist eigentlich schon im Gange« (S. 84). Es kann diesem Mann, der sich nichts vorstellen kann, was jenseits seiner Aktensprache liegt, also fast alles, schon geglaubt werden, wenn er immer noch meint, die serbische Polizei habe die SS imitiert. Er weiß eben nicht, was diese war, doch weiß er ohne die Spur eines Beweises, was jene getan hat, weil seine kümmerliche Phantasie um nichts anderes kreist als um die Gerüchte, mit denen seine neuen Freunde von der »Taz« und auf der Hardthöhe ihn füttern. Die Unterscheidung der "authentischen" von den nachgetragenen Notizen durch Kursivierung nimmt Scharping die einzige Ausrede, die er evtl. hätte (wäre er nicht Herr eines Nachrichtendienstes und wären die Führungsstäbe der Nato ihm nicht rapportpflichtig), um die vielfachen, freundlich gesagt, Fehlinformationen seines Buchs zu rechtfertigen. Was er in Schräglage ramentert, wird im Normaldruck durchaus nicht korrigiert, gelegentlich sogar überboten. Er lügt, aber mit dem besten Gewissen eines Autisten. Die Propaganda, die er, um seinen Krieg zu bekommen, wohl brauchte, braucht er bis heute: In ihr, durch sie hat ein geborener Verlierer sich zum ersten Mal als Gewinner erfahren. »Der Krieg war die beste Zeit in seinem beruflichen Leben«, bemerkte Willi Winkler, »wie sollte er ihn etwa für die Wahrheit drangeben« (»Süddeutsche Zeitung«, 13.9.99). Ihn einen Lügner zu nennen, wird er beleidigend finden; ihn zum Mörder zu erklären, weil er, anders als der schlichte Totschläger, ein Motiv hatte, das freilich keinen Grund besaß, als er seinen Piloten serbische Radartechniker umzubringen befahl, dürfte ihn empören. Ein Kerl, der es gewagt hat, deutsche Soldaten in vollem Wichs durch die Baracken von Auschwitz zu führen und dem hernach nichts anderes einfällt denn: »Was mögen die Soldaten gedacht haben?« (vermutlich den gleichen klischierten Dreck wie er: »eine schwere Last, bedrückend«) - ein solcher Ausbund an Schamlosigkeit und Selbstgerechtigkeit, dem die Denunziation des Feindes (Milosevic heißt durchgehend »Mörder«, die jugoslawischen Truppen sind »Mörderbanden«) wie automatisch aus dem Maule fällt, solch ein Mudjahedin der Menschenrechte fühlt sich schnell auf den Schlips getreten, mit dem er, besäße er bloß einen Rest von Einsicht, ein Quentchen der Moral, die er pausenlos reklamiert, spätestens nach dem ersten Massaker, das die UCK unter Kfor-Aufsicht an Serben verübte, das nächstbeste Fensterkreuz aufgesucht hätte. Nun wäre es ziemlich gleichgültig, ob ein Politiker die Wahrheit spricht oder fälscht, ginge es nicht gerade um einen, der im Namen der, seiner, Wahrheit einige tausend Menschen in Stücke sprengen ließ und den, seinen, Wahn, für den er mobilmachte, weiterhin als unwiderlegliche Realität behauptet. Weil Rudolf Scharping Unsinn nicht nur redet und schreibt, sondern mit dem vollen Eifer eines Predigers glaubt, mußte Blut fließen; und weil er immer noch im Amt steckt, an Beliebtheit nur von seinem Freund »Joschka« übertroffen, die Welt hektisch nach neuen Objekten für seine missionarische Energie absucht (und soeben in Osttimor eines gefunden hat), muß er als der gefährlichste Mann des Landes gefürchtet werden. Wir dürfen nicht wegsehen bedeutet auch: Seht die Dinge gefälligst wie ich - andernfalls garantier ich für nix! So aber schaut sie aus, the world according to Scharp: »Schon früher hatte Außenminister Joschka Fischer von den zynischen Sprüchen berichtet, die er sich hatte anhören müssen ... "Der entscheidende Unterschied ist: Ich (Milosevic) kann über Leichen gehen, ihr (die westlichen Staaten) könnt das nicht"« (S. 13). Freilich, das hatte Fischer (s. KONKRET 7/99) am 12.5.99 in der »Zeit« noch ganz anders erzählt (»Milosevic sei ihm vorgekommen wie einer, der ... schweigend mitteilt: "Ich gehe über Leichen, und das kannst du nicht"«), aber nachdem der Schriftsteller Peter Schneider - am 26.5. für die »FAZ« - die Mär einmal gedichtet hatte, adoptierte Scharping sie sofort und gibt sie nimmer her. Um so vehementer reagiert er, wenn »Fernsehmeldungen« statt immer nur den deutschen und albanischen, wie er, der Abwechslung halber auch mal serbischen Flunkerern aufsitzen: »Verdammt, wie kann man sich ausschließlich auf jugoslawische Quellen stützen?« Denn wer sich auf Wasser stützt, der, das weiß man, fällt rein; da baut ein ausgewogener Charakter wie Scharping doch lieber auf Sand. Am 27. Dezember 98 will er, ein echter Prophet, dies eingetragen haben: »... Vorgeschmack auf das, was an Propaganda auf die Nato und die internationale Staatengemeinschaft zukommen wird: Behauptungen über Umweltzerstörung, die angebliche Verwendung atomarer Munition usw.« (S. 44). Die angeblichen Treibstoffe, die einige Monate später aus angeblichen Raffinerien, zerstört von angeblichen Geschossen mit angeblichen Uranmänteln, in die angebliche Donau fließen werden, wollte er schon nicht wahrhaben, als der Luftkrieg noch sein Traum war und die jugoslawische Regierung nicht mal ahnte, daß weniger ihre Armee als Belgrader Benzinfabriken Ziel der Nato sein würden. Daß selbst Anrainerstaaten Jugoslawiens über Ruß und Gift aus den zerbombten Chemieanlagen klagten, daß die radioaktiven Minen keine Erfindung der Propaganda, sondern der US-Waffenindustrie sind, könnte man dem Minister hundert Mal beweisen, er tät's bestreiten und einen General aus seinem Stab, der's zugäbe, mit einem Disziplinarverfahren überziehen. Der Bube, der seine Notizen nachträglich aufmotzt, ohne es kenntlich zu machen, ist auf dieser Buchseite unter vollem Dampf: »Schreckliche Nachrichten. In Racak hat vorgestern ein Massaker stattgefunden, bei dem 45 Albaner ermordet wurden.« Diese »Nachricht«, die den Überfall auf Jugoslawien legitimieren sollte, doch schon zuvor täglich zweifelhafter wurde und lange vor Erscheinen der Scharpingkladde bereits so suspekt war, daß man sich nicht mal in Den Haag noch daran erinnern mag, will der Kriegsherr auf keinen Fall aus seinem mythologischen Fundus räumen. Das »Massaker«, das die Pathologin Helena Ranta, von der EU mit der Untersuchung des Vorfalls beauftragt, so nicht nennen mochte (»Jungle World«, 18.8.99), »hat stattgefunden«, basta. Kein Gerücht, kein Hörensagen, das Scharping nicht aufbewahrte und, wiewohl er die Chance dazu hatte, mit einer Korrektur versähe. In die Hermetik seines Wahns dringt jeder Scheiß mühelos ein, kommt jedoch nie wieder raus, außer ins Kriegstagebuch. Der Minister im Blutrausch: »... offenbar sind Menschen im Blutrausch zu fast jeder Bestialität fähig, spielen mit abgeschnittenen Köpfen Fußball ... schneiden getöteten Schwangeren den Fötus aus dem Leib« (S. 126). »... die Fliehenden ziehen buchstäblich an Bergen von Leichen vorbei« (S. 141). »Unsere Befragungsteams hatten erfahren, daß im Dorf Izbica bis zu 200 Personen ermordet ... worden sein sollten ... leider war alles wahr« (S. 182). Zum Glück war alles Quatsch - in der Topographie der nach dem Krieg tatsächlich entdeckten Massengräber taucht Izbica nicht einmal auf (s. KONKRET 8/99). Mit den Zahlen nimmt Scharping es ohnedies nicht allzu genau - und blamiert sich an seinen eigenen Generälen. Zwei Wochen, bevor sein Tagebuch erschien, gab die Nato bekannt, welch ein Fiasko auch militärisch der Luftkrieg gewesen war: 93 serbische Panzer seien zerstört, (allerdings nur 26 Wracks im Kosovo gefunden), außerdem 12 Schützenpanzer und 8 Geschützbatterien bei den insgesamt 37.500 Einsätzen getroffen worden. Der Minister, dem die miserable Bilanz einige Tage früher als der Öffentlichkeit vorgelegen haben muß, hatte die Zeit, seinen Text zu redigieren; aber, ach ja, warum denn? Das klang doch zu schön, einst im Mai: »... Zahlen der Nato: Zerstört oder außer Gefecht gesetzt seien 314 Artilleriegeschütze, 120 Kampfpanzer, 203 Schützenpanzer, 268 größere Fahrzeuge verschiedener Art, 14 Hauptquartiere und Gefechtsstände« (S. 188). »Lügen über Lügen, wen soll das eigentlich noch beeindrucken?« (S. 179). Wahrscheinlich dieselben Preßgauner, die den Schwindler aus Passion schon zum neuen Kanzler pushen. En passant - er merkt wirklich nichts, überhaupt nichts - gesteht Scharping die totale Nichtigkeit, den nutzlosen Terror der Luftangriffe sogar ein: »... verhindern konnten wir die Greueltaten nicht« (S. 217) - aber selber welche begehen, die er, da läuft das Textprogramm mit Makros, als »fatale Irrtümer« resp. »tragische Fehler« abfertigt. Tote Serben stören diesen Kerl zuletzt. Ihm sind ja schon die lebenden zuviel. »Auch dort (in Nis; K. S.) zivile Opfer. Das wird politisch ganz schwierig« (S. 154). Im übrigen solle man sich bitteschön nicht so haben: »Man kann keinen Krieg ohne Schaden für die Zivilbevölkerung führen« (S. 145). Dies aber zu wissen und weiter von einer »humanitären Intervention« zu rhabarbern, läßt auf ein Gemüt schließen, mit dem kein Fleischerhund durchs Leben gehen möchte. Vom Verstand zu schweigen. In eine Schwarte, die der Autor Wir dürfen nicht wegsehen nennt, gelegentlich zu raunen: »Reicht die Kraft der Worte gegen die Macht der Bilder?« (S. 129), ist allerdings ein starkes Stück Idiotie. Sollen wir nun hingucken oder doch lieber der monotonen Parteibeamtenprosa dieses »Schreibtischquäkers« (Rayk Wieland), diesem enervierenden Beschwören von »Wut und Empörung«, »Empörung und Wut« lauschen? Er entscheidet sich, nur drei Seiten später, wieder fürs Gucken: »Beim Anschauen der Fotos: Übelkeit. Ist Entsetzen steigerbar?« Scharping sollte mal sein eigenes Buch lesen. Rudolf Scharping: Wir dürfen nicht wegsehen. Der Kosovo-Krieg und Europa. Ullstein, Berlin 1999, 270 Seiten, 34 Mark http://www.infolinks.de/konkret/1999/11/sokol.htm ________________________________________________________________________________ no copyright 1999 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org