________________________________________________________________________________ /* just in case you don't want to recieve any german messages, mailto:majordomo@rolux.org, subject:"", body:"filter german" of course, you may as well try something like "filter >100K" ... */ ================================================================================ Ein Tag im Cinemaxx Diese Texte sind transkribierte und redigierte Fassungen von Gesprächen über Filme. Interviews mit uns selbst. Was haben wir in einem Film entdeckt, wie setzen wir es mit der Ambition und mit der Erzählung des Films in Beziehung, was erzählt uns das alles über uns und die Welt. Die Texte sollen Spannung und Widerspruch behalten und dem Leser Lust machen wie ein vierter Mitstreiter eine eigene Position einzunehmen. Oder ihn darauf neugierig machen, den Film zu besichtigen. Es geht nicht darum wie ein Filmkritiker den Standpunkt eines idealtypischen Zuschauers einzunehmen und von diesem Podium herab ein Urteil zu sprechen. Es werden Auseinandersetzungen und Dialoge stattfinden wie in dem Film, dessen analytisches Gegenüber diese Texte sein wollen. Michael Baute / M Stefan Pethke / S Ludger Blanke / L Die Filme: True Crime von Clint Eastwood, Rush Hour von Brett Ratner und The Faculty von Robert Rodriguez. Go von Doug Liman. Und 2 deutsche Filme: Long Hello and Short Good-Bye von Rainer Kaufmann und Die Blume der Hausfrau von Herbert Wessely. ================================================================================ Clint Eastwood: TRUE CRIME. USA 1998 L Was fandest du denn so schrecklich an dem Film? S Ich finde den irre plump. Das ist so ein mittelmäßiger Hollywoodfilm mit einem Plot, der mich absolut nicht zufriedenstellt. Da gibt es doch irgendwann diesen Punkt in dem Film, wo der die Sache mit dem Medaillon auflöst. Die finde ich total schlapp. Und da gibt es noch so eine 'Hint'-Geschichte, so ein 'Ach so war das!'-Ding... L Ja, der Name... S Genau, der Name des dritten Zeugen. Der wird ja so skrupellos aus dem Zylinder, oder eigentlich eher Ärmel gezogen. Da ist Null erzählerisches oder dramaturgie-kompositiorisches Feingefühl dabei. Keine Eleganz, nicht mal in Spurenelementen. L Aber das hat mich alles überhaupt nicht gestört: Dieser wahre Täter, der da am Ende plötzlich aus den Kulissen tritt, und sich dann auch noch erstens als Opfer und dann zudem erledigter Fall präsentiert: ich habe selten einen Film gesehen, der sich so kaltschnäuzig über die herkömmlichen Dramaturgien hinwegsetzt und sowas dann einfach behauptet. Und als es später bei der alten Dame diesen Schwenk auf das Medallion gab und sie es auch noch anfasst und man diesen Blick sieht: Nun, dann war es halt dieses Requisit, das ihn auf die Spur bringt. Fast wie ein nachgereichter McGuffin. Ich fand das ziemlich lässig, wie der Film da sein Desinteresse bekundet. Das andere will doch sowieso keiner mehr sehen. M Aber interessant war diese Figur, die der EASTWOOD spielt. Und das macht der Film relativ deutlich klar, daß es ihm um diese Figur geht und nicht um einen clever erzählten Plot. Fast so wie der EASTWOOD in dem Film sagt: 'So eine Human-Interest-Story interessiert mich nicht, ich mach das auf meine Weise' sagt der Film das auch: 'Plot? I dont care.' Auf diese knarzige EASTWOOD-Art: Instinkt: Nase! Auch wenn ihr glaubt, daß es das nicht bringt! L Aber der geht ja auch mit diesem Charakter nicht besonders behutsam um. Der Everett ist ja schon ein ziemlich sexistisches Individuum, der als Held nur sehr bedingt klassische Maßstäbe erfüllt. M Aber macht der Film das explizit? Hat der irgendein Schuldbewußtsein? S Am ehesten der Tochter gegenüber. M Die Tochter die verletzt wird, weil er zu schnell ist. L Aber diese vorweggenommene Scheidungsszene wo er den Ehering einsteckt, die ist schon ziemlich großartig, oder? Die wo seine Frau sagt: 'Wenn das eine Kugel wäre, dann wärst du jetzt tot!' und dann den Ring abnimmt. Und der EASTWOOD hat tatsächlich die Weisheit, diesen Ring mitzunehmen und so ein Eingeständnis seiner Schuld zu geben. 'Jawohl, ich bin ein Schwein'. Da fand ich den Film sehr klug, in diesen Gesten. Da gibt es dann noch diesen sexuellen Lingo in der Redaktion, zwischen den Männern. James Woods, sein Chef, der immer nur fragt: 'Wie war sie, wie war sie?' Der so ein Plädoyer für das journalistischen Ethos hält und dem man auch alles glaubt, aber zum Schluß interessiert den doch nur, wie die Frau im Bett war. Beziehungsweise: Das interessiert den auch nicht, so redet man halt. Der Film bildet das sehr gut ab, diesen innerbetrieblichen Sexdiskurs. Der spielt wie so eine Nebenphrasierung zu allem dauernd eine Rolle, indem sich alles auch auf den beziehen muß. M Das Sexuelle das da, gerade weil es ausgeschlossen ist, alles dominiert. Dieser Dialog mit dem Schreibtischnachbarn zum Beispiel: 'Wenn du mir einen bläst, hole ich dir einen Kaffee!' L Es gibt ja auch einmal diese explizite Frage: 'Wo fängt denn sexuelle Belästigung eigentlich an?' Das ist, glaube ich, diese Lifestyleredakteurin, die diese Frage stellt, nachdem sie selber damit angefangen hat... Aber was hat das eigentlich mit dieser Death-Row Geschichte zu tun, diesem Plädoyer gegen die Todesstrafe. Diese Rettung in der letzten Sekunde: damit geht der Film ja schon sehr ironisch um, wenn er das als Weihnachtsmärchen verkauft und Eastwood dann in der letzten Szene so ein Weihnachtsmann ist und dann taucht auch noch die gerettete Familie auf. Das ist schon so ein Eingeständnis an den Zuschauer: Hier, wir mußten das so machen - aber laßt euch nicht für dumm verkaufen. S Aber wer sagt das denn? ... WO STEHT DAS? Wir wissen ja alle, daß es Codes und Drehbuchschulen gibt. Aber ich glaube auch, daß EASTWOOD da jemand wäre, der ein bißchen mehr Mut in die Waagschale werfen könnte - wenn er es gewollt hätte. Das ist schon so wie ein 'falsches Ende'. Aber es ist ja nicht diese Art von Ende, was einem erzählt: 'Eigentlich sehe ich die Geschichte so und so, aber die mächtigen Produzenten' -er ist übrigens sein eigener Produzent- 'haben mich dazu gezwungen'. Das verkümmert da für mich zum -bestenfalls- Augenzwinkern zwischen zwei Leuten die in so einem Club sitzen, so einem englischen, und sich so 'plüsch-zynisch' einverstanden erklären über irgendwelche Mißstände. Aber trotzdem kräftig weiter an denen mitmachen. L Also bis dahin, bis zu der letzten Szene, erzählt der Film ja eigentlich: es war zu spät. Der Schwarze in der Todeszelle hat es nicht mehr geschafft. Der hat jetzt schon eineinhalb Spritzen im Körper und das kann der nicht überleben. EVERETTs ganze Arbeit war umsonst, er hat, wieder, versagt. Da könnte der Film dann auch zuende sein und würde dann bedeuten: 'So was kommt vor. Manchmal sterben Unschuldige.' Aber das macht der nicht. EASTWOOD will nicht, daß der Zuschauer schlechtgelaunt aus dem Kino kommt, und klebt dann noch so ein dazukonstruiertes Happy-End dran. S Für mich ist das dann aber ein moralisches Problem des Erzählens, daß der Film diese gerettete Zuckerbäckerfamilie nur noch einfach einmal präsentiert. Und auch noch mit solchen Gesten. Dieser Mischung zwischen militärischem Gruß und Ghettonigger-coolness. 'Mehr müssen Männer nicht sagen'. Ich finde dessen Charakterarbeit ehrlich gesagt nicht so beeindruckend wie ihr. Das wird alles verschenkt durch einen völlig unangebrachten Megastress, daß alles unbedingt noch an einem Tag passieren muß... L Aber das ist doch kein Megastress. Das hat mich bei diesem Film auch gewundert, daß der nicht macht, was sonst bei dieser Art Film, die sich in quasi Realzeierzählen wollen, passiert - also: '..ein Tag! Die Zeit läuft ab! Die Sanduhr!' Da gibts bei TRUE CRIME mal einen Schwenk auf Uhren, so ganz schüchtern, aber spätestens im Schnitt haben sie sich entschieden, diesen ganzen Kram rauszulassen. Diese 'Die Zeit läuft'-Sache spielt kaum 'ne Rolle. Der geht mit seinem Kind in den Zoo.. M Aber hey: 'Tempo-Zoo'. Das organisiert sich doch schon sehr stark über Zeit... S Das Mädchen zieht an der Jacke, er telefoniert mit dem Journalisten, er bricht in Wohnungen ein, hat aber nur noch drei Stunden, und da will ihm dann dieser Vater der gerade seine Tochter verloren hat, will ihn schon wieder mit Nebensächlichkeiten vollquatschen: das sind alles so... L .. na gut. Doch man kann dem Film doch nicht nachsagen, daß er sich als 'Rennen gegen die Zeit' inszeniert habe. So war zwar die Geschichte, aber der Film ist doch fast gegen diese Geschichte inszeniert. M Ja. Aber erstmal muß man schon sagen, daß das deren Rahmen ist. Immer wieder tauchen diese Uhren auf und immer wieder gibt es den Parallelschnitt zu der Todeskammer. Das Radio ist immer da. Das Fernsehen ist da... L Aber doch nicht als: 'Die Zeit läuft ab.' M Ich denke schon, daß der das aufruft. Die haben sich gesagt: Wir organisieren den Film über Realzeit: ein Tag - und es spitzt sich zu. Dann aber, und das macht den Film so seltsam, dann wird der Film trotzdem so digressiv. Eigentlich schweift der nur noch ab und schneidet nicht mehr hektisch auf ablaufenden Uhren rum. S Aber ist das nicht etwas, was sozusagen normale Drehbuchpolitik ist. Daß man sich denkt: Mein Gott, alle haben es jetzt so gemacht, laßt uns mal gucken, was das Gegenteil hergibt. Daß man sich sagt: 'Okay, wir machen die Uhren und lassen sie hängen.' Und: 'Okay, wir bringen Verlangsamer rein und benutzen zusätzlich 'Tempo-Zoo' zum Zuspitzen.' 'Tempo-Zoo' ist dabei einfach das markanteste Beispiel dieser Technik. Das andere findet ja auch statt. Daß er Stationen abklappert, daß er seine eigenen Untersuchungen durchführt. Justizapparat, schwarze Unterschicht, Redaktionsalltag, trauernder Vater der toten Journalistin, der Buchhalter (weiße Mittelschicht), und so weiter . Und: 'Das Private gibt's L Ich glaube ja auch, daß da 'Werkstatt' zu sehen war. Also: es gibt diese eine Geschichte und es gibt diese andere Geschichte. Und die wechseln sich regelmäßig ab. S Aber wieso ist das komplex? Ich hab' da einen alternden Journalisten, der sich auf seine super-authentische Arbeitsweise verläßt. Die ist sogar das einzige, M Naja: 'Komplexität'. Wir haben das jetzt so wie einen ästhetischen Kampfbegriff eingeführt. Das ist ja oft so ein Hilfsbegriff, um zu sagen: Naja, ich weiß auch nicht ganz genau, was ich mit damit anfangen soll.. S .. das ist so'n Wahrheitsbegriff, so ein psychologischer.. M .. jaja, eigentlich ist das eine Umschreibung für einen Begriff geworden, von dem man meint, ihn nicht mehr verwenden zu dürfen, nämlich 'Authentizität' - den Du jetzt als Gegenkampfbegriff verwendest. Wir sagen: 'Komplexität'. Du sagst: Ihr meint aber 'Authentizität'. L Das ist im Grunde ein Hilfsbegriff, der dazu dient, zu sagen, daß man eine Figur interessant findet. Ich finde, so sehr EASTWOOD diesen Topos verwendet, diesen Topos des Einzelnen, der sich gegen so eine Gesellschaft durchsetzt, dieses Mißtrauen gegenüber Institutionen, so sehr muß man ja auch feststellen, daß er dabei eine Familie kaputt macht, seine eigene. Auch wenn er zum Schluß dann noch mal -lachend- eine neuerliche mißratene Anmache an die chinesische Spielzeugverkäuferin zeigt: so ganz ungeschoren kommt der nicht davon. S Aber das gehört doch zum Lone Ranger dazu, oder? Das ist jetzt nichts Neues. Neu ist möglicherweise, daß man ihn jetzt auch mal zeigt als jemanden, der da drin verstrickt ist. Was man sich natürlich bei diversen Westernvorbildern immer geschenkt hat. L Wenn vorher diese Figur lich nicht mehr klar, wer die Fäden in der Hand hat bei so einer Geschichte. Der Film zeigt da eine Menge Aspekte dieser sich widersprechenden Figur und nicht ganz schlicht à la..., also ich versuche jetzt, diesen Begriff 'komplexe Figur' zu vermeiden, kann es aber nicht richtig, weil ich finde, daß der EASTWOOD viele Aspekte und Facetten dieses Machismo zeigt in diesem Film; und das der Film ihm dafür auch Platz läßt... Kann es denn sein, wenn diese Figur wirklich das Hauptthema des Films ist, daß er diese Death Row Geschichte nur baut, um ein Gegengewicht zu der Figur zu bauen? Um da so eine moralische Balance zu konstruieren. Es gibt diese gesellschaftliche Problematik, dieser sexuellen Lingos, dieses Mobbings am Arbeitsplatz, dieser ganzen Geschichten, die über Sex laufen; aber es gibt neben dem vielleicht auch noch Sachen, die wichtiger sind als die. Das kann man doch sagen, daß das so eine Art Kommentar dazu sein will. Gerade wenn man weiß, wie in Amerika in den letzten Jahren solche Geschichten in der Öffentlichkeit behandelt worden sind. Daher kommt dann vielleicht auch dieses Unbefriedigtsein mit dieser Death Row Geschichte, die fast eher mitgeschleppt wird als das andere. Ich würde behaupten, wenn man den Film ausstoppen würde, könnte man mehr Szenen oder mehr Zeit finden, in denen der Film sich damit beschäftigt, als mit dieser Death Row Geschichte. Und das kann man schon als Schwäche bezeichnen. S Bei ein paar dieser Death Row Geschichten wundert es mich schon, warum die drin sind. Zum Beispiel das Essen, da gab es dann so Parallelmontagetricks, wenn in der anderen Szenerie vom Essen zumindest die Rede war und schwupps geht man rüber und dann packen die ihr Essen aus. Also: die Verbindungen haben die schon gewoben. Aber das wirkte auf mich immer so wie nachträglich eingewoben. L Auf mich wirkte das wie nachträglich rausgenommen. S Du meinst, daß das noch längere Sequenzen gewesen sind? L Es gab ganz oft so abgeschnittene Schwenks. Auf das Bild, das die Tochter des Todeskandidaten malt, zum Beispiel. Dann gab es auch am Anfang einen abgeschnittenen Schwenk, schüchtern noch dringelassen, weil man vielleicht keinen anderen Weg für den Schnitt gefunden hat von dem Bild in den Redaktionsraum auf JAMES WOODS. Das gab es so zwei- oder dreimal. Ich meine, mich erinnern zu können, daß es viele Reste von einer viel engeren Verwebung dieser Ebenen über so etwas wie eine Bildidee gab. Die im Grunde ja auch blödsinnig ist. Also das Gemälde, das die Tochter in der Todeszelle macht, hat nichts zu tun mit der Landschaft, die wir bei JAMES WOODS im Büro sehen. Das ist einfach blöd gewesen, das so verbinden zu wollen. Ein Schnitt ist viel schöner, wenn etwas klar nebeneinander gestellt wird. Das ist viel besser als wenn man so tut, als würde man das über Requisiten organisieren, auf die die Kamera dann zum Schluß zu fährt. Sowas kann man einfach nicht mehr machen, finde ich. Das ist einfach blöd. Das ist immer blöd. M Warum ist das blöd? L Weil es allzu selten Sinn ergibt. Weil ja gerade ein Gegenstand alleine einen unheimlich großen Reichtum haben kann. Wenn es nicht plump einfach so eingesetzt und funktionalisiert wird. Und weil man ja viel besser von Etwas auf etwas Fremdes schneidet, als von Etwas auf etwas Gleiches. S Das sind bloß formale Verbindungen. Sowas gibt es relativ häufig in... L .. Studentenfilmen.. S .. Dokumentarfilmen. Daß man sagt: jemand spricht in einer Szenerie etwas an, also Du bekommst da: Begriff. Und dann kommst Du mit Hilfe von 'Begriff' in die andere Szene. L Braucht man doch gar nicht. S Braucht man überhaupt nicht. Das sind reine Fluß-Geschichten... L Für mich ist sowas 'ne Bremse. Ich mag sowas nicht sehen. Ganz am Anfang gibt es diesen Schnitt, da bestellt er sein Essen. Er wird gefragt: 'Ja, was willst Du denn?' Und er sagt: 'Ja, ich möchte einfach nur ein Brötchen und 'nen Kaffee.' Und dann gibts einen Schnitt. Und da kommt diese Frau mit Kaffee in einer Großaufnahme in den Redaktionsraum rein. Doof! M Diese Geschichte mit der Grünen Wiese: 'Wo ist das Grün?' Grün ist da richtig plump kontextualisiert, als 'Farbe der Hoffnung'. Und dann suchen die Bullen noch die Farbstifte. Und man weiß nicht ganz genau, was die da gerade machen. Und dann haben die das Grün unterm Auto gefunden, und in dem Moment kommt dann EVERETT auch in die Zelle. Und das Grün ist da und es ist Hoffnung. Das waren so Sachen, die ich eher als Drehbuchwerkstatts-Probleme angesehen habe. Das ist ja eines dieser Problem beim Drehbuchschreiben: Wie 'schreibt' man die Schnitte ins Buch?... S Ich würde gerne noch mal über den Anfang reden, über die Todeszelle. Wenn man in den Film reingeht und hat null Ahnung, dann hat man doch fast das Gefühl, der Schwarze ist so ein Staatsgast. Wenn da nicht diese Gitterstäbe wären, undsoweiter. Es wird da so notiert: '6 Uhr Null Sieben: wacht auf.' Da denkste doch: Hoppla, was ist denn das? Deshalb fand ich das garnicht behäbig als Anfang, sondern extrem irritierend. L Der wollte halt erzählen, wie gut Todeskandidaten am letzten Tag behandelt werden. S Das sowieso. Aber das ist ja sprichwörtlich: mit der Henkersmahlzeit und so weiter. Das kennt man ja. Das meinte ich auch mit diesem Nettsein zu amerikanischen Institutionen. Alle sind wahnsinnig beflissen und irre vorsichtig. Sehr viel Zähneknirschen dabei, bei zum Beispiel dieser Figur des Gefängnisdirektors. Diese fast beängstigend korrekte Behandlung, das Minimum an Grausamkeit, was die dem da zumuten. L Was der Film auf jeden Fall vermeidet, ist, irgendeine Institution anzugreifen. Dieser Staatsanwältin, der man ja durchaus vorwerfen kann, die Ermittlungen äußerst schlampig geführt zu haben: die ist kein Thema. Oder auch diese Anwältin, die noch nicht einmal den Namen des Zeugen in ihren Unterlagen hat. Die dann auch ein-, zweimal so weinerlich am Telefon gezeigt wird, wo sie sagt: 'Es tut uns leid. Wir haben alles versucht. Du weißt es..' Die taucht dann überhaupt nicht mehr auf. Die sieht man zum Schluß noch einmal als Zeugin der Hinrichtung in 'nem Schwenk. Das interessiert den Film anscheinend nicht. M Was ich an dieser Frau interessant fand war, daß sie nur zweimal gezeigt wird.., daß die eigentlich nur durch Requisiten gezeigt wird. Im Hintergrund sieht man da diese stilisierte amerikanische Flagge mit gezeichneten Schwarzen, die Handschellen an den Händen tragen und die hochheben. Für mich wird die so bezeichnet als 'Bürgerrechtlerin'. Aber der legt jetzt keinen großen Wert darauf, die Geschichte des Prozesses nachzuvollziehen. Aber ihn interessiert die doch irgendwie, weil sie nur zweimal mit genau der gleichen Einstellung gezeigt wird. Ich hab' da die Assoziation gehabt: Naja, die Bürgerrechtler sitzen da so mit einer moralischen Motivation. Während EASTWOOD sich auf 'Nase' verläßt und dadurch auf Details aufmerksam wird. Während die anderen die großen Gesten fahren. Da macht der Film schon 'nen Unterschied zu den Gefängnisleuten und deren korrektem Zähneknirschen. L In einer der Einstellungen sieht man den Todeskandidaten auch mit 'ner Pistole da rum stehen, oder? S Ja. Das ist die 'Version', die der Buchhalter erzählt. Sozusagen wird da die 'Lüge' ins Bild gesetzt. Alles Sachen, die ich ziemlich furchtbar finde, weil das so ein unlauteres, manipulatives Kino ist. Also diese Einstellung meint ja: 'Ich zeig' Dir jetzt die Lüge genauso wie ich die Wahrheit zeige. Und alles nur, um Dich -obwohl Du eigentlich weißt, daß dieser Mann unschuldig ist- irgendwie zu erschüttern und um Dir Deine Sicherheit zu nehmen.' Irgendwo steht der EASTWOOD da für mich so als ein Puppenspieler, der die Fäden in der Hand hält. M Das ist ein Argument, daß Du häufig gebrauchst, daß dabei so etwas wie eine Moral zu sehen sei. Beziehungsweise eben nicht zu sehen sei. Was meinste denn damit genau? S Mir geht das halt auf den Keks, wenn jemand sein Geld damit verdient, Geschichten zu erzählen, die das Menschliche-Allzumenschliche seiner Mitmenschen darstellen wollen und währenddessen mit seinen Figuren so verfährt, als wäre er ein General, der seine Armeen durch die Gegend schiebt. Der interessiert sich nur dafür, wo er das Bataillon X am gewinnbringendsten für seine Schlacht einsetzen kann. So funktioniert dieser Film hier, finde ich. Ich sehe da kein wirkliches Forschungsinteresse am Thema 'Mensch'. Mir ist das jetzt auch ein bißchen peinlich, das so zu formulieren. Aber das ist mir halt schon ein Anliegen. L Ich finde aber, daß das ein guter Begriff ist. Wenn der Film aber irgendwo ein Forschungsinteresse hat, dann auf jeden Fall nicht in einer Kritik des Justizsystems der U.S.A, vielleicht noch nicht einmal in einer Kritik der Institution Todesstrafe. Sondern in der Erforschung eines wahrscheinlich garnicht mal so unüblichen Charakters wie desjenigen, den CLINT EASTWOOD hier darstellt. M Versucht der Film nicht über was anderes zu argumentieren? Es kann doch nicht darum gehen, daß zum Schluß immer so eine Abrechnung gemacht werden muß, die alles moralisch aufrechnet und zurückmotiviert. Also: der hat das und das und das gemacht und dann guckt man, was das und das und das unterm Strich ergibt und dann guckt man, ob der Held geopfert werden muß oder nicht. Das wäre das klassische Verfahren. Das macht der Film ja nicht. Dieses Gespräch in diesem Büro mit den Dreien, mit JAMES WOODS und BOB, wo diese pseudodramatische Szene erzählt wird: das ist ja eigentlich ein Drama was da passiert. Die haben alle Voraussetzungen dafür und wissen, was man jetzt machen muß. So in dem Sinne: 'Ich werde alles machen, was zum Drama dazugehört.' Aber es läuft nicht. Dafür sind die alle schon zu..., es wird eigentlich die ganze Zeit verhindert, daß das so, als Drama, zum Ausbruch kommt. Aber ist das denn Stefans Argument? Stefans Argument bezieht sich ja weniger auf das Resultat und die Ergebnisse des Plots als auf dessen Verfahren. Also wie sich Plot knotet oder webt - oder nicht webt. Das sind doch unterschiedliche Argumentationen um die Moral der Geschichte. IN TRUE CRIME geht es um Umgang mit Sex, der benannt wird, oder eben nicht. EVERETT steht da ja nicht voller Reue im Büro. Der steht da und sieht, daß sein nicht okayer Umgang mit Sex zum Thema gemacht werden soll. Der wird ausgenutzt und das will der nicht. L Insofern hast Du schon auch Recht, wenn Du sagst, daß das eine Facette vom EASTWOOD ist, die einen durch die gesamte Filmografie von dem begleitet. Dieser Machismo. Dieser Typus von amerikanischer, knarziger... S .. Individualität. Das ist ein Typus von Individualität.Der bedient sich in so 'nem Fundus von schon zur Verfügung stehenden Typologien und hat daraus in so einem funktionalistischen Sinne eine Geschichte gebastelt. L Aber die dekliniert der Film auch durch. Ganz zum Schluß macht der sich im Grunde lächerlich, wenn er es nicht lassen kann, dieser Chinesin beim Kauf eines Nilpferdes, eine Avance S Ihr habt natürlich völlig Recht, daß dieser Spruch sowas heißen soll. Aber ich hab' das so verstanden, daß er jenseits jeglicher Höflichkeitsformeln als Partner in Frage kommen würde, aber: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Ich hab aber die ganze Zeit auf eine andere Reaktion auf EASTWOOD gewartet. Eine Reaktion in dem Sinne von: 'Das kommt überhaupt nicht in die Tüte! Selbst wenn ich 30 Jahre keinen Mann im Bett gehabt hätte. Du nicht!' L So ein Spott war schon auch drin. Der EASTWOOD ist zum Schluß einfach wie ein Weihnachtsmann. Der hat zwar keinen Bart umgeklebt aber... Man weiß wirklich nicht so genau, ob das jetzt alles echt ist, oder eine Illusion, inklusive Pulitzerpreis. Das fällt mir jetzt übrigens auf: diese Geschichte mit dem sexual harrassement. Da gibt es doch ganz am Anfang diesen schwarzen Penner. Und ich dachte noch: was soll denn das? Warum wird denn drei Minuten lang gezeigt, wie der da auf der Straße Frauen anmacht? Und der taucht dann ganz zum Schluß wieder auf. M Der will 'Pussy' und meint Geld. Der wiederholt dieses frivole Wort immer wieder und entwertet das dadurch vollkommen. S Das ist doch sozusagen anthropologisch abgesichert, oder? Also die Assoziation zwischen weiblichem Geschlechtsmerkmal und so Sachen wie Muschelgeld? M ...und EVERETT, der meint Schwanz, wenn er von seiner Nase redet? S Klar, das ist aber auch dieses Authentizitätszertifikat. M Und Autorenzertifikat. ================================================================================ RUSH HOUR von Brett Ratner USA 1999 M: Bist du eingeschlafen? L: Nee, aber ich hab echt damit gekämpft. Ich fand den Film so unglaublich müde, der hat so ganz wenig daraus gemacht, aus seinem Versprechen, aus diesem Kulturzusammenstoß. Ich fand, der hatte überhaupt keinen Überschuß, so gar nichts Phantastisches. Also ich weiß gar nicht ob ich so viele Hongkongfilme gesehen habe, ich seh die manchmal nachts beim Zappen, da bleibe ich dann eine Viertelstunde bei Kabel 1 hängen und so bruchstückhaft, wie die sich einem dann offenbaren, finde ich sie absolut phantastisch. Da fliegt alles durcheinander, da ist jede Erzähllogik auch ausser Kraft gesetzt und hier fand ich das alles nachvollziehbar, von der Handlung, mich hat das...ja einfach gelangweilt, daß es das hier nicht gab: so was burleskes, phantastisches, akrobatisches, was die sonst auch in der Erzählung haben. S: Aber ist das nicht ne Phantastik, die daraus resultiert, daß die sich früher nen Scheißdreck darum gekümmert haben, was Erzählstrukturen sind, und wir nehmen das als phantastische Art des links-liegenassens wahr und erklären das dann zu so einem Überschuß, wo´s für die sowieso nur um nen Vorwand ging, Farben durcheinanderwirbeln zu lassen. L: Genau das ist ja das tolle an diesen Filmen: die Farben, die Bewegung, die Abstraktheit. S: Aber mich konnte die manchmal auch ganz schön nerven. Gerade Jackie Chan. Die drei, vier Filme, die ich von ihm gesehen habe, haben mich irgendwie so konditioniert, daß ich weiß, ich hab auf so vier, fünf tolle Szenen zu warten. Dazwischen wird das alles etwas mühsam. Mir hat dieses Konventionelle nur dabei geholfen darauf zu warten - ich finds in der Tat arschkonventionell, aber schon mal so ein bischen besser geschrieben, man hat sogar über ein paar verbale Witze lachen können. L: Mir wurde da zu viel geschossen. Also am Anfang dacht ich noch: Boh, Klasse. Der Anfang in Hongkong, auf dem Schiff, dieses schon fast Fred-Astaire-hafte Schwerkraft-ausser-Kraft-setzen, daß man nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Und dann war man in Amerika und auf dem Parkplatz, wo die Pistolen eine Rolle spielten, und das Schießen und das Explodieren... und ich dachte, daß der Film da nachher einen Witz daraus zieht. S: Das war das Programm, genau. L: War eigentlich das Programm, das hat der aber nicht mehr erfüllt. Es hätte doch doch einen Wettbewerb geben sollen, zwischen dem Schießen und dieser Bewegung. Wenn es den gab, dann hat zum Schluß schon ziemlich schnell dieses Schießen gewonnen. Da hat nicht Intelligenz und die Beherrschung des Körpers gewonnen, sondern diese blöde Ballerei. Ich glaube ich schlaf schon ein, wenn nur jemand die Knarre zieht... S: Ist es nicht so, daß die Ballerei das Übliche ist, sozusagen das amerikanische Heimspiel, und daß dann die Kletterei im Finale doch der Sieg der Körperchoreographie a la Hongkong sein soll: da gehts ja um Partnerschaft in dem Film, daß es ne wirkliche Partnerbeziehung gibt, also müssen die Genres auch ne partnerschaftliche Beziehung eingehen, also die beiden Varianten, Actionszenen zu machen. L: Dir hat der Film gefallen, oder? M: Ich war amüsierwillig und sobald mir n´Film sagt: ich mach das jetzt um dich zum Lachen zu bringen, hab ich ne relativ niedrige Reizschwelle und mach das mit und bin nicht so schnell enttäuscht, will nicht so schnell enttäuscht sein, ich kann danach aber trotzdem sagen: Das war eigentlich schlapp! S: Ich finde ja, manchmal lebt es davon, daß mir der Humor streckenweise peinlich ist, so als wär das ein Freund von mir, der sich gerade... M: ...n' bißchen lächerlich macht. S: ...Genau! Was könnte denn der Tarrantino an dem Chan so mögen, weil der hat ja diesen Hype auf Chan in USA mitverantwortet? L: Das kann man sich schon vorstellen, daß das einerseits die Bewegung ist, dieses Physische, die bei Chan ja eigentlich auch noch drin ist, und dann aber auch diese Ironie, im Gegensatz zu dem Auratischen bei den anderen Kung-Fu-Kämpfern. Vielleicht war das auch einfach nur ein ... S: ...missratener Jackie Chan Film. Also du fragtest danach, was denn da interessant ist: n´Attraktor sind diese Stunts ja schon: du siehst daß die das wirklich machen, das ist auch was, was den von Woo unterscheidet. Hier geht es schon ganz zentral darum: I did it! Also ich bin wirklich diese zwei Stockwerke runtergesprungen und wir haben zusammen wirklich da diese Bewegung gemacht, nach den Waffen undsoweiter.Klar kann man das nochmal durch nen rhythmischen Schnitt unterstreichen, aber das was man sieht, machen die auch wirklich, darum geht es schon ziemlich stark. Und da sind dann auch einfach schöne Sachen dabei, wie der so von dem Bus über son Auto über das Taxidach und dann in der gleichen Bewegung so in das Seitenfenster reinfließt, einfach irre hübsch, finde ich schon, aber passiert sehr selten, es passiert lange nichts und dann plötzlich son Superkuddelmuddel. L: Ich bin da nie in son Taumel reingeraten, in den ich absolut bereit war hineinzugeraten. Dafür hätte ich diesen Realismus gerne geopfert. M: Im Grunde hätte man den von Zucker-Abrahams-Zucker inszeniert sehen müssen. L: Ja auf jeden Fall! Worum gings denn in dem Film eigentlich: also es gibt ja einmal diese Geschichte, dieses kleine Mädchen, das entführt wird und von diesen beiden Aussenseiterbullen wieder gerettet wird. Und dann geht es als Hintergrundfolie um diesen Zusammenstoss zweier Kulturen, die sich eigentlich nicht verstehen können, wie die chinesische und eine spezielle Nebenkultur dieser amerikanischen, diese schwarze Kultur. Und im Hintergrund gibts dann schon noch Weiße, das ist das FBI und die weiße Freundin oder besser Kollegin von Tucker... S: ...die 'K.C. and the Sunshineband' hört, also weißen Funk, ha! Ich finde, um eine Sache noch hinzuzufügen: 5000 Jahre Kulturerzeugnisse gehen da am Ende zu Bruch, ja, das finde ich auch nicht ganz Ohne. L: Nee find' ich auch, aber das ist auch etwas, was mir eigentlich nicht besonders gut gefällt. S: Mir auch nicht. Sind wir jetzt Kulturspießer? M: Wir mögen es eben nicht, wenn schöne Dinge zu Bruch gehen. L: Also was mir dabei gefallen hat, ist, daß Tucker dieses rote Tuch findet, diese lange Fahne, und dann sozusagen... S: ...Kultur doch noch zu was Nutze ist, ha, ha! L: ...sich der Chan da reinplumpsen läßt und die sich unten treffen. In dem Film gab es übrigens keine Frauen, außer dem kleinen Mädchen und eben dieser Bombenentschärferin. Die war aber asexuell. S: Die war auf jeden Fall nicht der Typ Frau, den man jetzt Chris Tucker zumuten würde. Auch daß die mit Chris Tucker was anfangen könnte. L: Das ist sogar eine Frau, der Chan auf den Busen fassen kann, ohne daß das ne sexuelle Bedeutung hätte. S: Das lag aber am Panzer. L: Na klar! Ist aber auch ne Aussage. S: Das ist natürlich ein ziemlich ungenauer Film für all solche Sachen. Die soll ja nur so einen Tough-Guy in Frauengestalt andeuten: arbeitet bei den Jungs, entschärft Bomben, da hätte man was rausholen können. L: Nee, aber wenn da ne schöne Frau aufgetaucht wäre, also eine, die Gegenstand eines Begehrens hätte sein können, dann hätte das diese Kumpelstruktur, die man so unbedingt blöde hat aufrechterhalten wollen, empfindlich gestört. Dann wäre es ein anderer Film geworden, dann wäre es ein Kampf um die Frau geworden. Das durfte es gar nicht geben. S: Es durfte kein Dreieck geben. M: Nicht mal in Bezug auf das kleine Mädchen. Die unterbrechen die Rettung ja eigentlich immer, das heißt, der Konsul hat sich entschlossen die 50 Millionen Lösegeld zu zahlen: immer wird gesagt, es wird das Mädchen gerettet, aber in Wirklichkeit werden die 50 Millionen gerettet, die dann später auf 70 Millionen aufgestockt werden. Ist wirklich eigenartig, da wird überhaupt nicht drüber geredet: Das Mädchen wäre immer wieder freigekommen, aber stattdessen platzen Chan und Tucker dazwischen und letztendlich gehts um die Asche, die Rettung der 70 Millionen. S: Also es gab jedenfalls nicht, was es sonst immer gibt, diesen Hinweis, daß selbst bei einer gelungenen Übergabe die Entführer das Mädchen sowieso nicht hätten leben lassen, was dann die Legitimation geschaffen hätte für das Dazwischenplatzen. M: Was ich mich frage: Das sind Filme die sind für 15- bis 25jährige gemacht und n´paar Leute, die dieses Genre interessiert, die sich da auch historisch, so...diese Sammler, die sich halt jeden Jackie Chan ankucken. Und ist das nicht so, daß wenn wir uns heute... also für mich sind Bud Spencer-Terrence Hill-Filme erste Kinoerfahrungen, und danach hat man sich irgendwie sattgesehen davon, aber ich denke, es gibt immer genügend 12- bis 20jährige, die sich das immer wieder ankucken, und dafür produziert der, also... was Jackie Chan wahrscheinlich auch unterschreiben würde ist: Na, ja, ich mach eben keine Kunst, ich mach Unterhaltung. L: Es gibt aber trotzdem da von den Nicht-Kunst-Filmen oder den nicht ambitionierten Filmen Filme die da auch... auch Buster Keaton und Chaplin, na Chaplin vielleicht nicht, der hat ja immer schon auch den Kulturanspruch gehabt, aber dieser Slapstick, diese Leute von Lloyd bis Keaton, die waren damals natürlich auch noch fast Jahrmarktsattraktionen, da war das Kino noch vor allen Dingen für Ladenmädchen, die sich am Wochenende amüsieren wollten. Aber was ich jetzt eigentlich sagen will ist, daß dies hier einfach schlechtes und ideenloses und vielleicht sogar blöde reaktionäres Kino ist. Sogar bei diesen Spencer-Hill-Filmen gibt es sehr gelungene, gute, 'Vier Fäuste für ein Halleluja' von dem E.B.Clucher zum Beispiel. Vielleicht dauert es einfach noch eine Zeit, bis man die wiederentdeckt, bis die ein Revival erleben, die sind auf jeden Fall so was wie Vorläufer für dieses postmoderne Tarrantino-Kino... M: Nee, also, man sieht die ja oft genug im Fernsehen, ich schalt da manchmal rein in Bud Spencer und Terrence Hill und finde, ich entdecke mich da tatsächlich bei diesem Wort: Jugendsünden, also ich hab das erlebt, wenn man so´n Tagebuch wiederliest, das man vor 10 Jahren geschrieben hat, dann denkt man: Oh Gott, sowas hab ich gedacht, so hab ich geschrieben, sowas hab ich gemocht und so ähnlich kommt mir das vor, wenn ich bei RTL nachmittags zufällig da reinzappe, also das ist das gleiche...so ne Scham, hat man. L: Pulp Fiction findest du ja vielleicht auch irgendwann peinlich, daß du den mochtest. Aber ich behaupte, daß du diesen Film, den wir jetzt gerade gesehen haben, auch als 16jähriger nicht geliebt hättest. M: Doch, ganz sicher, daß ich da mit so meinem Amüsierwillen... L: ...na gut, aber das wäre nicht der Film, an den du dich jetzt noch erinnern würdest, das wäre ein anderer. Also das ist natürlich jetzt schlecht nachzuweisen, aber ich behaupte, was ich vorher schon behauptet hab, daß so 2 oder 3 dieser Buddyfilme, dieser ersten, die wir damals gesehen haben, die ja auch immer Variationen von Laurel und Hardy oder wem auch immer waren, einen sehr viel größeren Reichtum an Ideen, an technischer Umsetzung, an Liebe und Wissen, an wirklich allem hatten, also diese Filme, die ich damals gesehen hatte, die haben ihr Genre so vollständig und respektlos auseinandergenommen, das meine ich auch mit Vorläufer von... S: Aber man muß sagen, daß diese Filme ja auch ne Antwort sind auf ein anderes postmodernes Kino, den Italowestern. Also es gibt eine Drehung der Spirale mehr. M: Das kann man natürlich bei dem auch sagen: Das ist jetzt ne Antwort auf John-Woo-Filme, die auch seit 10 Jahren so... S: Das glaub ich nicht, weil es bei dem John Woo wirklich um Geballer geht, also da... L: ...aber die sind ja schon wieder so abstrakt, die haben ja schon wieder, was wir ganz am Anfang mal gesagt haben, diese unglaubliche Bewegung. Es gibt ja auf MTV diese Reklame, wo man einen Taubstummen sieht, der übers Kino redet und der erzählt mit seinen Händen, daß er mit Filmen, in denen viel geredet wird,nicht so viel anfangen kann aber mit Filmen, in denen es knallt und explodiert und in denen Bewegung stattfindet... und das verbildlicht der auch, das sieht man, dann spielt der körperlich die Erregung nach, die er da verspürt. Das ist etwas, was bei John-Woo-Filmen und bei dem, was ich für das Hongkongkino halte, ein ganz wesentliches Element ist. Diese Sinnentleerung von Geschichte, also die ist ja wirklich nur noch so ein ganz loser Faden...keiner würde auf die Idee kommen zu sagen: die Geschichte ist das, worum es dem Film geht, dem Film geht es um was anderes, ganz deutlich und immer wieder. Und 'Rush Hour' hatte für mich das Problem, daß der einerseits Optionen anbot, wie also zum Beispiel Culture-Clash und dann die Behauptung aufstellte, daraus werde ich jetzt meinen Witz beziehen. Und das hat ja am Anfang auch mal ganz gut funktioniert, fürn paar Minuten jedenfalls, als er den Entwurf ausgebreitet hat, aber danach nicht mehr, da wurde der immer müder und hat auch immer weniger Lust gehabt. Also ganz enttäuschend war dann einfach der Schluß, der wirklich so angelegt war: Ausstellung mit chinesischer Kunst in Amerika, große Eröffnung, die Bösen und die Guten sind da, sogar das FBI mischt noch mit, großes Klettergerüst für Chan, Explosionen, eine gefährliche Bombe, ein kleines Mädchen. Alle Bestandteile waren vorhanden, um daraus ein furioses Finale zu machen ...und son müdes Ende hab ich einfach selten gesehen: da gibts diese riesige Vase, die dann nachher auch noch ganz blöde kaputt geht, die wird so drei mal von Chan aufgefangen... Diese Vase war doch wie so ein Gegenentwurf für die Bombe, als zentrales Requisit: China, der Orient, die hätte als Waffe gebraucht werden müssen, durch die Luft fliegen, ich weiß nicht was: da hätte jemand sich verstecken drin können, irgendwelche Wunder raus gezogen: ein Feuerwerk - die Chinesen machen doch auch Feuerwerk - alles mögliche hätte diese Vase anbieten können und nichts davon wird gemacht... M: ...die fällt nur immer wieder um. ================================================================================ THE FACULTY (Robert Rodriguez, USA 1998) L: Ich kann verstehen, daß man keine Lust hat, über den Film zu reden, weil er so vollgestopft ist mit cleveren oder auch nicht so cleveren Verweisen und fast darum bettelt, interpretiert zu werden. S: Ja, aber vielleicht ist der ja für Leute gemacht, die 'Bodysnatchers' gar nicht kennen. L: Nee, die haben das alle schon mit 8 heimlich, als die Eltern weg waren, im Kabelfernsehen gesehen. M: Nein, der sagt: 'Ich beziehe mich nicht nur auf die Filme, von denen ich weiß, daß ihr die im letzten Sommer gesehen habt, das geht noch viel weiter, das Genre.' Worauf er sich wieder bezieht. Er sagt: 'Jaja, ich habe auch ganz viele offensichtliche Carpenter- und Raimi- und Freddy Krüger-Verweise.' und was auch immer. L: 'Alien' haben wir mindestens dreimal gesehen und 'Bodysnatchers' -wer hat den gemacht? M: Siegel. L: Genau, den ersten hat Don Siegel gemacht. Und den zweiten Philipp Kaufman. S: Aber trotzdem: mit Nerd- Kinomagazin-Abonnenten kannst du doch so einen Film nicht finanzieren, also wenn du glaubst, daß nur die kommen. Also muß das auch über so ein 'Scream'-Publikum gehen. Was da ja auch drin steckt: Campus, High-School. Du mußt ja immer auch beide Publikumsarten kriegen. L: Tut der auch. Das funktionniert ja auch problemlos. S: Ja, das war Rodriguez' bester Film! L: Find' ich auch! Also, der war jedenfalls am geschlossensten. M: Ich bin auch sehr erstaunt, weil ich habe so ein paar von den Reviews gelesen: 'Rodriguez geht jetzt richtig in den Trash rein'. Und ich denke, zum ersten Mal probiert der, eine Geschichte so richtig durchzuziehen, ohne nur ironisches Augenzwinkern und ironisches Zitieren. Und die Besprechungen des Films waren alle so, im Grunde: Das ist so richtig was für B-Film-Fans und mehr nicht. Und da ist schon mehr drin, finde ich. L: Es ist so merkwürdig, weil mit dem Film müßte man sich eigentlich richtig identifizieren können. Also, das geht ja. Jeder von uns. Ich habe mich wirklich so an ganz viele Dinge aus dem Schulunterricht erinnert gefühlt, an diese Grausamkeiten des Sportunterrichts. Das hat mir gut gefallen, auch wenn ich in einem ganz anderen Kontext zur Schule gegangen bin. Also Jungs-Internat war was völlig anderes. Und mir ging das auch am Anfang zu Krawall-mäßig los. Ich dachte schon: 'Hoppla, das wird jetzt so ein Rock'n'Roll-Film, der nur noch auf High-Energy macht.' S: Aber das fand ich dann sogar ziemlich lustig: 'Wo bin ich denn hier? In so einem Slasher-Film?'. Und vorher diese absurde Einführung: zwei Frauen fahren sich über den Haufen, Prügeleien und dieses An-den-Mast-Hauen und alles stößt miteinander zusammen: als wäre die ganze Schule der Körper eines Teenagers, der nicht weiß, wohin. L: Ich dachte auch: 'In was für einer Zeit soll denn der spielen?'. Ich weiß nicht, ob da Spinnweben überall waren, aber es sah fast so aus. Da saßen dann alte Frauen mit Dutt, ganz merkwürdig, oder? M: Die Schule war wirklich so, als ob die das letzte Mal in den fünfziger Jahren renoviert worden wäre. Wie ein Museum, jetzt noch mal aufgemacht, gefunden für den Film und dann wird der Film da reingepflanzt. L: Stimmt. Schulen in amerikanischen Filmen sehen heute irgendwie anders aus. Das war aber auch diese 60er-Jahre-Sache. Diese Idee sollte man haben, daß das noch so ist wie damals. Sagt mal, dieses Massaker, das da irgendwie vor 3 Wochen oder so stattgefunden hat, diese Trenchcoat-Mafia, die haben ja auch in ihren Tagebuchaufzeichnungen als Grund für dieses Massaker, das sie schon lange geplant haben, diese Hänseleien im Sportunterricht angegeben. Das war dann in den USA gleich am nächsten Tag Thema-ich war da in Amerika- : Was passiert da eigentlich an den Schulen? Weil das steckt einfach in diesem Film auch ganz offensichtlich drin, dieser Terror, der da anscheinend von diesen Sportunterrichten ausgeht. Weil der Film geht ja auch eben über diese körperliche Schönheit, die plötzlich zutage tritt, sobald da jemand infiziert worden ist. Also neben dem ganzen Vergnügen, das der daran hat, sämtliche Science fiction-weird-Invasionsfilme zu zitieren, von 'Startrekk' bis 'Bodysnatchers' und 'Alien', scheint ihm das ein unglaubliches Anliegen zu sein. M: Ich glaube, der koppelt das ganz interessant. Weil es wird ja gerne gesagt, daß Pubertät, in der die Geschichte spielt, auch mit sowas zu tun hat, mit körperlichen Veränderungen, aber auch mit Invasionen von anderen Gefühlen. L: Da hat der Film eine ganz tolle übersetzung gehabt: diese dünnen Dinger, die da plötzlich aus diesen Aliens heraussprossen. Also wenn ich mich erinnere, bei uns früher im Sportunterricht, wie man sich plötzlich die veränderten Unterschenkel ansah und dachte: 'Oh scheiße, bei mir ist noch nichts!'. Und der andere hatte dann schon eine behaarte Brust gehabt. Diese Tentakeln, die dabei rauskamen, das war toll, wirklich große Kunst schon fast. Das versteht man sofort, oder? S: Bildhaft waren diese Hautkanäle doch noch die stärkste Pubertätsmetapher, also Aknezerfurchungen. M: Es gibt dieses Zerfallen bei dieser alten Frau. Das fand ich auch ein bißchen unangenehm, wie die so zerfällt. S: Aber das paßt natürlich ganz toll, daß das zusammengebracht wird: der pubertierende Quarterback nackt unter der Dusche und die Alte, der zerfallende Körper, der Tod und dann noch so ein kryptischer Satz: 'Ihr wißt nicht, was hier gespielt wird!'. Das kann man ja auch auf das Leben übertragen. M: Das soll man glaube ich auch. S: Das ist auch Teil des Genres. Also das passiert ja unheimlich oft, daß das Horrorgenre auch in dem Lebensabschnitt angesiedelt ist. Das ist vielleicht auch ein guter Abschnitt im Leben, wo man Ängste verankern kann, wo man Horror verankern kann. Also worauf ich hinaus will, ist zu sagen: Rodriguez macht sowas wie Mit-der-Erzählweise-Spielen. Da macht er etwas genau, was er bei anderen guten Vorbildern gesehen hat. M: Man kann vielleicht sagen, daß Rodriguez nicht nur zitiert, sondern er kennt auch die Diskursanalysen darüber. Während andere vielleicht nur zitieren, verflicht er das dann doch so geschickt, daß man merkt: Naja, es ist schon ein sehr genauer Versuch, Pubertät abzubilden; nicht nur irgendwie hervorzurufen, sondern auch wirklich daran zu arbeiten, auch mit diesem Wechselspiel von Identität-Finden und Aus-sich-Herausgehen. Bei dem Film ist es nämlich nicht wie bei 'From dusk till dawn', daß man händeklatschend so den Connaisseur raushängen lassen kann und über noch mehr Metamorphosen sich freuen kann, die irgendwann wirklich nichts mehr bedeuten. Bei dem Film ist das ja anders. L: Ja, der bleibt richtig dicht an den Schauplätzen und an den Figuren dran. Also auch hier in diesem Film fand ich übrigens wieder so etwas altmodisches. Also ich habe keinen Computer gesehen... doch, einmal, ganz kurz. Als er zuhause sitzt, da wird ihm das Modem geklaut, aber ansonsten spielt sowas keine Rolle. Es gibt alte Autos in dem Film, die Schulbusse, das spielt alles in irgend so einer Zeit zwischen den 90ern und irgendwie den 60ern. In Ohio. M: 'Wo würdest du hingehen, wenn du die Welt erobern willst? Würdest du das Weiße Haus angreifen, wie in 'Independance Day'? Nein! Du würdest auch in die Provinz gehen.' Das fand ich auch eine sehr gute Antwort auf die Frage, die dem Zuschauer schon vorher klar war. Aber manchmal fand ich das auch nicht so richtig überzeugend, wie er mit Zitaten dann doch irgendwie schlau sein will. S: Ja, das waren so Punkte, wo ich gedacht habe, das ist 'Scream'-Trittbrettfahrerei. Es war ja konstituierend für 'Scream', daß man Analysen betreibt über die Horrorfilme, um den im Film passierenden Horror vorauszusehen. Da passieren die Morde nach bekannten Filmen. L: Und werden auch verursacht von so Horrorfilm-Nerds, die die nachspielen. Alle kennen die Filme. Also, die wissen im Grunde alle, bevor sie eine Treppe hochgehen: wenn sie diese Treppe hochgehen, wird ihnen oben was passieren. Das sagen die vorher, gehen dann trotzdem hoch und dann passiert es auch. Der Film benennt das dauernd. Irgendwie so ein Taschenspielertrick-Film, der diese Tricks zeigt und sie dann trotzdem macht. M: Aber bei 'The Faculty' ist diese Unsicherheit noch da. Also die wissen zwar: das ist jetzt so ähnlich wie bei 'Invasion of the Bodysnatchers' und das ist so ähnlich wie bei 'Alien'. Aber sie sind dann doch nicht so... S: ...clever. Die sind halt aus Ohio. Das ist natürlich in der Erzählung drin, diese Erzählung kann zu clevere Leute nicht gebrauchen. Die ist ja auch nicht wirklich ausgeklügelt. L: Das fand ich aber irgendwie einen klasse Moment, als einer sagt: 'Hör mal zu, glaubst du an diese ganzen Geschichten? Das ist doch Erfindung!', und als dann plötzlich so die Idee auftaucht, daß diese Erfindung nicht einfach so aus dem Nichts ausgedacht gewesen ist, sondern tatsächlich was erzählen wollte. Diese Passage fand ich wirklich aufregend, als im Grunde das gesamte Genre so runterzitiert wird in drei, vier Sätzen -also auch 'Alien' wird da zitiert- und dann wird plötzlich die Frage gestellt: Eigentlich kann man schon deswegen nicht glauben, daß sowas passiert, weil es da schon Filme gegeben hat, die natürlich ausgedacht worden sind. Und plötzlich sind wir in einer Situation, daß uns sowas passiert wie in diesen s/w-Filmen, die wir irgendwie als Kind vielleicht gesehen haben. Das fand ich so einen überraschenden Gedanken. Das ist so eine Hyper-Realität, die da plötzlich benannt wird. Nur deshalb, weil sie eine erfundene Geschichte ist, braucht sie nicht unwahr zu sein. Die Tatsache, daß sie so häufig schon vorher erfunden worden ist, kann man auch als Beleg dafür nehmen, daß die Geschichte auf eine gewisse Art und Weise doch wahr ist. Da ist der Film eigentlich fast cleverer als 'Scream'. M: Dieses Spiel mit der Möglichkeit, daß die Fiktion doch wahr ist, wird dann ja auf dieser thematischen Ebene 'Pubertät' nochmal aufgenommen. Der Film sagt: 'Naja, es ist vielleicht wirklich nicht so, wie wir das gezeigt haben, aber es ist auch ein Bild für Pubertät.' L: Das ist ein ganz bewußter Umgang mit Geschichte. Also jetzt im doppelten Sinne, also auch mit Geschichten. Anders als diese studentenhafte Behandlung bei 'Scream'. Der zieht natürlich seine Cleverness und seinen Witz draus, aber ich finde das hier viel interessanter und tiefer eigentlich, daß der Film bereit ist, diese Geschichten dann doch noch zu glauben. Also der geht darüber hinaus, finde ich. Der läßt das hinter sich. S: Ich bin nicht ganz sicher. In 'Scream' gibt es über den Fundus des Gesehenen ein Wissen über die Struktur solcher Filme und die geben dann dem ganzen Film eine Struktur, die aber sehr hermetisch ist. Und hier, finde ich, gibt es nicht so ein Strukturwissen. Sonst würden die sich nicht so permanent trennen lassen. Da ist 'Scream' viel genauer, weil er sagt, warum die Leute getrennt werden. Der hier ist viel Comic-hafter, Alptraum-hafter in so einer Setzung: Jetzt geht der in die Richtung und damit können wir dann das und das machen. Aber er ist nicht so mit einer Art Realitätslogik behaftet. Das meine ich mit hermetisch. Die Gruppe sucht nicht unbedingt konsequent in ihrem Wissen über das Genre die Auswegsmöglichkeiten aus ihrem Dilemma... L: ...Handlungsanweisungen... S: Worauf ich hinaus will: es gibt ja viele Filme -eben 'Scream' ist ein ganz gutes Beispiel dafür-, die eine inhärente Handlungslogik aufbauen und daran so alles runterdeklinieren und das macht der Film nicht. Ich finde, die handeln sehr oft unlogisch, sprunghaft. Also, man springt plötzlich in eine Situation. In dem Sinne ist das vielleicht auch ein altmodischerer Film, gleichzeitig aber auch näher am Affekt. L: Aber im Gegensatz zu 'Scream' hat mich dieser Film eigentlich wesentlich mehr berührt, weil er so bildhaft Themen zum Ausdruck brachte, an die man sich einfach erinnert, wenn man sich an die eigene Pubertät oder Schulzeit erinnert. M: Der 'Faculty' ist eigentlich auch sehr prüde. Ich hätte gedacht, daß bei Teenager-Filmen irgendwie eine andere Art von didaktischer Nacktheit gezeigt wird. L: Wenn das Monster zum Schluß in dem Augenblick sich offenbart, als eine weibliche Nebengestalt zu der absoluten Horror-Trickgestalt wird und als nacktes Mädchen wieder erscheint, dann spricht der Film eine deutliche Sprache. S: Und das Programm, das sie vertritt, ist natürlich auch eine Utopie: also Angstfreiheit, es gibt auf der Welt keine Feiglinge. Also es ist ja nicht so, daß das unattraktiv wäre, jenseits des Körpers. L: Habe ich das verpaßt oder wird da irgendwann mal gesagt, wo diese Aliens herkommen? M: Doch, das wird erzählt, es gibt diesen Planeten, der ausgetrocknet ist und dann sind die halt los und haben die Erde gefunden. S: 'Und dann habe ich euch getroffen': das ist sogar in Ich-Form. Also das ist gar nicht so ein Mega-Organismus und draußen schwebt irgendso ein Raumschiff. Also in dem Sinne findet keine Erklärung statt. Es ist klar, daß einem das vor Angst-vor-der-Weiblichkeit-Symbolen nur so strotzend vorkommen kann. Es gibt ja auch die Literaturlehrerin. Die wird ja auch so ein tentakuläres Wesen, was auch nicht tot zu kriegen ist, komischerweise. Die ja selbst die Mega-Austrocknung, nämlich das Feuer, überlebt. Es sind nun mal zwei Jungs, die überleben... deren Ängste... Also es geht am Anfang mit dem Coach die Angst von einem Mann aus. Aber der Coach steht ja auch nicht am Anfang dieser Kette. L: Die erste dezidierte Geste in diesem Film, daß da irgendwie Wasser aus dem Rasen raussprengt und daß der Coach versucht, dieses Wasser zu unterdrücken, das kommt einem ja nachträglich fast wie so eine symbolische Handlung vor. M: Ja, Ejakulationsverbot. * * * M: Wie ist das eigentlich - diese drei Filme jetzt im Hinterkopf - von dem visuellen Moment? Ich meine, die haben natürlich alle ihre Standards. Was machen die da? Haben die eine visuelle Handschrift? L: Ich fand eigentlich bei allen drei Filmen, daß die ganz unambitioniert waren. Oder ihre Ambitionen eher darin hatten, sich extrem zurückzuhalten. Also bloß kein Bild zu konstruieren, das in irgendeiner Form für sich selbst irgendetwas bedeutet. Wie unterschiedlich auch immer die waren, diese drei Filme, die wir gesehen haben: die Bilder hatten sich diesen Geschichten irgendwie total unterzuordnen. Als ob es inzwischen so eine Klassizität gäbe. Es ist vielleicht auch eine zufällige Auswahl gewesen. Also mich überrascht das. In keinem dieser drei Filme gab es sowas wie eine Totale von oben. Was ich meine: alle drei Filme haben versucht, ihre Geschichte fast wie ein Kammerspiel zu erzählen. Es gab keine Weltverbindung. Alle drei Filme haben eine Geschichte erzählt, die schon fast wie ein Bühnenstück wirkte. M: Es gibt keine allgemeinere Lokalisierung. Bei 'Rush hour' gibt es halt immer eine Lokalisierung, die aber immer nur auf Pointe hinausläuft - also wenn der sich am Hollywood-Schild festhält. Aber man erfährt da nichts über die Städte, eigentlich. L: Von Hongkong gibt es natürlich eine wunderschöne Einstellung von oben, aber im Grunde wurde China nicht anders dargestellt als Amerika. Man hat keine Idee davon gehabt, daß damit wirklich eine andere Kultur verbunden ist, was der Film eigentlich gebraucht hätte. Also da wurde keine Mühe gemacht, den kulturellen Kontext, aus dem Jackie Chan kommt -es wurde immer behauptet, der kommt zum ersten Mal nach Amerika- irgendwie zu etablieren, zum Inhalt zu machen. Dieser 'Faculty' hatte schon eine ziemliche geographische Genauigkeit. Der hatte so eine Beschränkung. Aber auch das sollte irgendwie bedeuten: irgendeine Stadt in Ohio. Also dieser Campus stand für sämtliche 12.000 andere Campi in Amerika. Es gab kaum eine Lokalisierung. Eine Zeit lang gab es doch Filme, die in Seattle spielten. Also Amerika hatte eine Zeit lang die Ambition, nachdem Los Angeles abgedreht war und New York abgedreht war, in die Provinz zu gehen und diese Provinz darzustellen, als einen Schauplatz, an dem man Geschichten noch glauben würde. M: Sowas wie 'Fargo', der sagt: 'Ich interessiere mich auch für die Region.' L: 'Ich will jetzt was darüber erzählen!', das hat es weder in 'Faculty' gegeben, noch im Eastwood. Also da wurde höchstens erzählt, Oakland ist so eine Provinz, die nicht New York ist. Das ist eine Provinz, in die jemand abgeschoben wird. Alle drei Filme setzen sich zu sowas wie Provinz in Beziehung. Also sogar der Jackie Chan-Film. Der macht Hollywood so klein, der macht Los Angeles so klein. S: Ich fürchte, nicht ganz freiwillig. So einen Pomp hätte er glaube ich schon ganz gerne. L: Was mich interessieren würde: Welchen dieser drei Filme könnte man sich als deutschen Film vorstellen? Also 'Faculty': Könnte man sich vorstellen, daß man so eine Geschichte für Bielefeld erzählen könnte? Könnte man sich das vorstellen, so eine übersetzung wie in diesem Film: 'Hier gibt es Aliens.'? Man kann ja einen Film über das Erwachsenwerden und über die komplexen Zusammenstöße, die man mit seinem eigenen Körper hat oder die so eine Gruppe von Teenagern mit ihrem eigenen Körper haben, den kann man ja auch ganz anders erzählen. Da muß man ja nicht so eine Alien-Metapher finden. Wäre das überhaupt möglich, daß das deutsche Kino oder das europäische Kino -in Frankreich kann man sich das auch nicht richtig vorstellen- dazu in der Lage wäre, so ein Kunstprodukt herzustellen wie das? M: Mit so vielen Übersetzungsstufen? L: Ja, und die man dann auch gleich versteht. S: Mit sowas macht das Kino in Europa einfach gar kein Geld. Also es gibt gar keine Tradition dafür. Die haben sich irgendwie nicht mit diesem Markt beschäftigt. Sind die europäischen Filme am Ende nicht doch abonniert auf Realismus? Also selbst Hollywoods Brückenkopf in Europa, die englischen gut gehenden Filme: die haben doch was mit Wirklichkeiten zu tun. L: Aber diese Physis, von der dieser MTV-Mensch redet, dieser Taube, das gibt es doch dann tatsächlich nur im amerikanischen Kino. Vielleicht ist das eine müßige Frage. Mir schoß das so ein paar Mal durch den Kopf, gerade bei 'Faculty', auch weil man sich an die eigene Schulzeit erinnert sieht, ob man sich vorstellen könnte, den Terror, an dem man selber teilgehabt hat, in so eine Metapher zu gießen, als Geschichte. S: Mein Lieblingskontrastprogramm wäre dann ja doch das französische Kino. Es gibt ja eine Körperlichkeit in so einem Film wie 'La vie de Jesus', die ist ja mit den Händen zu greifen. Also, der Körper wird doch hier in Europa irgendwie anders inszeniert, nicht unbedingt weniger körperlich, vielleicht weniger glamourös. Und auch in diesem Metamorphose-Festival von 'The Faculty' steckt ja noch immer so ein Kino-Glamour drin. Der körperlichste Film in Europa dürfte zur Zeit 'Die Idioten' sein. L: Aber auch da gibt es den Körper irgendwie nur in einer ganz entstellten, mißtrauischen Darbietung. Und Drehbuch? M: Also am sympathischsten war mir glaube ich schon das Drehbuch von Eastwood, weil der irgendwie gesagt hat: 'Ich scheiß eigentlich drauf'. Am elegantesten und am virtuosesten und -offensichtlich ist das auch Konsens- am meisten elaboriert war schon das Drehbuch von 'Faculty'. Was ich erstaunlich finde, weil ich genau das Gegenteil gelesen habe. Am blödesten war das von 'Rush hour'. Das war wirklich ziemlich schlechtes Niveau. Ziemlich schlecht, weil es wirklich dann doch so viel braucht, um dieses Mädchen entführen zu lassen und dem so viel Raum gibt und dann entwickelt er nichts draus. L: Dieses Nur-aus-dem-Charakter-sich-den-Stoff-entwickeln-zu-Lassen beim Eastwood-Film, das kam mir am plausibelsten vor. Bei 'The Faculty' funktioniert das nochmal als klassisch erzähltes Kino. Vielleicht kommt daher auch die Assoziation 'Theater': der ist relativ dicht an so einer Dramaturgie dran, die er bis zum Schluß einhält, mit seinen Figuren. Worum sich der Eastwood-Film eher lästig bemüht: das noch zu Ende zu führen und das auch mit so einer leichten Ironie, die man wahrnehmen kann, die man aber auch irgendwie unterschlagen kann. Man kann das Happy-End auch als ein tatsächliches Happy-End einfach so wahrnehmen, ohne die Ironie, die da mit reingespielt hat. Und bei Jackie Chan sind eigentlich nur noch Ruinen von Erzählung übrig. Also bei dem Film hätte ich mir wirklich gewünscht, daß er über die Stränge schlägt und einfach rythmisch ist und musikalisch ist und choreographisch ist. Vielleicht war Tucker nicht dazu in der Lage und Jackie Chan vielleicht nicht mehr willens, diese Kletter- und Sprunggeschichten zu bringen, diese Dynamik da einzubauen, die diesen tauben MTV-Menschen dazu bringen würde, den Film lieben zu wollen. M: Vielleicht kann man auch sagen, daß 'Faculty' die Leute versteht und auch mag. Eastwood mag die sowieso alle, finde ich, findet die schon interessant, diese Leute und mag die glaube ich auch. Und 'Rush hour', dem ist das egal, das ist schon Comic, allerdings schlechter Comic. L: Ich fand den 'True crime' desinteressiert an einem wirklich zwingenden Drehbuch, an einem zwingenden, funktionierenden Drama. Dieses Drama, das der da irgendwie dauernd behauptet, das hat der keine Lust, zu Ende zu erzählen. Da nötigt der sich dazu, es noch tun zu müssen, weil es irgendwie nicht mal von außen einen Code gibt, weil es keine andere Idee gibt, wie man den Film jetzt zu Ende bringen kann. Das fällt mir in vielen Filmen auf, wie die sich darum drücken und damit kämpfen, diese Normen zu erfüllen, die ja auch wirklich ganz alte, klassische dramatische Notwendigkeiten sind -einen Charakter zu Ende zu entwickeln-, aber früher oder später in vielen Filmen der Verlust an Lust oder an Interesse genau daran zu spüren ist. Da hat sich irgendwas verschoben in den letzten Jahren. Mir ist aufgefallen, daß in sehr, sehr vielen Filmen, die man sieht, eine unglaubliche Phantasie in der Exposition ist und die erste Hälfte des Filmes fast sprüht vor Erfindung, vor Lust zu erzählen und dann fast müde eine Geschichte noch zu Ende erzählt wird und versucht wird, diese Knoten noch so halbwegs zusammenzukriegen. S: Das ist ja grundsätzlich das Schwierige, so Marketing-mäßig die Leute bei der Stange zu halten. Da wird unheimlich viel Mühe aufgewendet, gerade um diesen anfänglichen Sogeffekt zu erzeugen. Haben wir damit nicht schon länger ein Problem, mit dem Hollywood-Finale? L: Ja, komisch, oder? So ein Film wie der Jackie Chan-Film: 20 Minuten lang ist der irgendwie interessant oder schafft es noch, aus dem nicht allzu großen Repertoire an Phantasie, die dem vielleicht überhaupt zur Verfügung steht, doch noch ein paar interessante Situationen zu schaffen. Und zum Schluß geht dem so absolut die Lust aus. M: Also man kennt das doch: wenn der Film eine Party wäre, dann trifft man halt ein paar Leute und dann unterhält man sich mit jemandem 20 Minuten lang und das ist ganz interessant. Dann unterhält man sich länger und nach einer Stunde, dann plötzlich: man kann den Typ nicht mehr sehen. Und wenn man 60 Minuten Jackie Chan sieht: irgendwann kann man den einfach nicht mehr sehen. Wenn dann nicht irgendwie etwas Neues hinzukommt, das die ersten 60 Minuten in eine neue Perspektive bringt, dann geht man halt woanders hin, normalerweise, auf einer Party. Beim Film macht man das ja leider nicht. Man kann da ja nicht den Gesprächspartner wechseln. Bei Eastwood finde ich dann doch immer wieder noch so überraschende Einzelheiten, über sein Leben z.B. Bei 'Faculty' läuft das wieder anders, da läuft das nicht über Charaktere. Da läuft das über Stereotypen, über Typen, und man guckt, was mit denen passieren kann, was man mit dieser Analogie, mit dieser Idee noch machen kann. L: Die Gruppe dort war so lange nicht so richtig artikuliert, daß man eigentlich wirklich bis zum Schluß Lust hatte. ================================================================================ 'GO' von Doug Liman, USA 1998 Dt.Titel: Um 3.00 Uhr morgens fängt das Leben erst an Der Film spielt in Supermärkten und auf Parkplätzen, in Spielcasinos, Hotelzimmern, Striptease-Bars, der Wohnung eines Dealers und auf den Straßen von Los Angeles und Las Vegas. Er erzählt eine Nacht, in der Ronna sich auf einen obskuren Drogendeal einläßt, Simon mit ein paar Kumpels nach Las Vegas fährt und zwei Soap-Schauspieler sich der Polizei als Lockvögel zur Verfügung stellen. M: Wie alt ist der Regisseur? L: Doug Liman ist dreissig ungefähr. Der hat diese Werbespots gedreht, für Levi's, wo einer an ein paar Homeboys vorbei geht in einen Laden, einen Deli, und dann gibt es ein Erdbeben. Ein anderer Spot, der jetzt auch überall läuft: Ein paar Leute überfallen einen Supermarkt und es geht alles total schief: da fällt erst das Magazin aus der Pistole, dann reißen plötzlich die Strumpfmasken. Ein kleiner Vierzig-Sekunden-Spot für Dockers. Und irgendwie hat der Liman das drauf, finde ich, so ein überraschend unironisches Kurvekratzen. M: Aber ich habe mich trotzdem dabei ertappt, daß ich eigentlich immer unwilliger wurde, über diesen Film nachzudenken, weil ich bei jeder Beobachtung gleich eine Wertung eingebaut habe. Ich fand vor allen Dingen dumm, daß ich keine Szene hatte, von der her ich den Film beschreiben konnte. Ich habe das ganz gerne bei Filmen, wenn ich Beobachtungen machen kann und von dieser Beobachtung -also anhand einer Szene, eines Schnitts, einer Sequenz- ...wenn ich von dieser Beobachtung her den Film organisiere. L: Du suchst ein Bild oder eine Metapher, in der der Film sich abbildet und von der aus er beschreibbar wäre. M: Ich suche den Punkt, wo der Film ein Angebot an eine Organisation für einen Zuschauer macht. L: Ja, aber wenn dem das fehlt, ist das dann ein Problem des Films? M: Nein, das ist mein Problem. L: Es ist wirklich nicht einfach, über den Film sprechen zu wollen. Wenn ich mich frage: Worum geht's eigentlich?, stoße ich jedenfalls auf ziemliche Schwierigkeiten. Ich kann sagen: Natürlich geht's irgendwie um Party und Spaß-haben und irgendwie geht's auch noch um Drogen, aber das ist es dann auch schon fast. Man müßte jetzt eigentlich beschreiben: Was passiert mit den Leuten, was wollen die? Einer dieser Grundsätze beim schulmäßigen Drehbuch-Schreiben ist ja immer, Figuren mit einem eigenen Bedürfnis, mit einem Konflikt auszustatten, mit einem 'need'. Das gibt es in dem Film nicht. Die wollen eigentlich alle nichts, oder? M: Das kann man natürlich machen, zu sagen: Ok, der Film will erzählen, daß eine bestimmte Generation nichts will. Außer halt: Go, weitermachen, vorankommen, in Situationen reingeraten und sie dann irgendwie auf eine knifflige Art und Weise auflösen. Das ist das, was der Film auch macht. Es geht um Situationen, die Bewegung hervorrufen oder sogar diktieren. Die Figuren haben meistens nicht mehr die Wahl, was sie machen. L: Und genau das ist doch interessant, daß die alle weitermachen und überleben. Sogar Ronna, von der man zwischenzeitlich denken soll, sie sei tot, humpelt am nächsten Morgen schon wieder in den Supermarkt und macht ihren Job weiter. Simon, der Engländer, der einem vorkommt wie jemand aus 'Trainspotting' und der durchaus in Gefahr ist, sein Leben zu verlieren, kommt auf eine äußerst direkte und elegante Art und Weise auch wieder aus seinem Konkflikt raus. Irgendwie passiert nix. Das finde ich aber ziemlich überraschend an dem Film, das will der auch erzählen. Der will nicht moralisch sein. Der leistet sich sich dann ja noch -gerade, was Drogen betrifft- diese kleine ironische Anmerkung über die Figur des Mannie, der eine Überdosis nimmt und dann gleich für den Rest der Nacht verschwindet und eigentlich der einzige ist, der überhaupt nichts erlebt. S: Ja, das ist schon die Metapher, die verdichtende Sequenz oder Szene, die der Film zu bieten hat: Ganz am Schluß ist nichts passiert. Alles bleibt folgenlos für die Protagonisten. Darüber muß aber nicht großartig Erleichterung ausbrechen, sondern man weiß, daß das, was weitergehen wird, das wird halt das gleiche mittelmäßige Leben sein. Es ist eine der letzten, wenn nicht die letzte Einstellung: Der Morgen bricht an auf dem Parkplatz vor der Diskothek. Wenn dieser Ort in der Nacht möglicherweise glamourös ausgesehen haben könnte, tut er das garantiert nicht mehr bei Tag. Da sieht alles eher aus wie eine verlassene Kirmesbude, wie ein Karussell, das Kinder eigentlich nicht mehr so richtig gerne benutzen. So eine Anmutung hat das da. L: Aber was man schon sagen muß, ist, daß 'Go' es schafft, diesem Milieu, in dem er spielt, ziemlichen Glamour zu verleihen, finde ich. S: Eine Art Grund-Coolness ist dabei. Coolness ist vielleicht das neue Wort für Glamour, seine aktualisierte Form. Die kommt aber auch nur relativ dezent vor in 'Go', beispielsweise als überraschende Situationscleverness von Ronna. Aber es ist keine Coolness, die aus außerordentlichen Tätigkeiten oder Verrichtungen oder Erfahrungen stammt. L: Ich meine damit auch mehr eine Aufmerksamkeit für das Milieu, das Gut-Ausgeleuchtete. Daß man eben nie das Gefühl hat, es mangelt an irgend etwas. Dieses Milieu, in dem sich die Figuren bewegen, hat eine absolute Selbstverständlichkeit. Es gibt kein Gegenüber. Wenn da jemand mit einem Porsche auftaucht: Das ist halt eine Selbstverständlichkeit. Vielleicht ist der Wagen auch nur ein Imitat, aber das ist egal. Alles ist verfügbar, für alle, von der Pistole bis zum Sex. Es gibt in 'Go' diese Geschwindigkeit, mit der eine Klasse dann gar nicht als Klasse behauptet wird. Im englischen Film wäre das anders. Da gibt es so ein Klassenbewußtsein: die Unterschicht auch als eine Schicht, die sich behauptet gegen eine Schicht, die Geld hätte. Das gibt es in 'Go' nicht. In 'Go' gibt es zwei Orte, die zentral sind: diese Disko und das Casino in Las Vegas. Das sind die zentralen Orte, um die herum alles passiert. M: Der streut doch aber seine zentralen Orte. Er beginnt mit dem Supermarkt, er hat die relativ lange Sequenz in der Wohnung des Drogendealers, in die auch immer wieder zurückgeschnitten wird. Er hat die Hotels von Las Vegas. L: Das sind aber keine zentralen Orte, das sind eher periphere Orte. Disko und Casino sind beides Orte, von denen die Protagonisten behaupten, daß sie dahin wollen. Das Interessante finde ich ja gerade, daß diese Orte leer bleiben, also daß alles Interessante drumherum passiert. So wie sich das gesamte Handeln sämtlicher Leute, die in Los Angeles bleiben, um diese Disko dreht, um dieses Event, dieses Christmas-Event. In der Disko drinnen passiert merkwürdigerweise überhaupt nix. Da hat der Film überhaupt keine Lust bzw. er entscheidet sich ganz bewußt dafür, da nichts handeln zu lassen. Ich versuche, Michaels Problem als eine Qualität des Films zu beschreiben, der ganz bewußt zwei ganz zentrale Orte aufbaut, die als Metapher eigentlich geeignet wären. Beides wären Orte, in denen solche Begriffe wie Spiel, Spaß, Nutzlosigkeit einen Ort hätten. Also Casino: jeder andere Film würde da irgendeine spannende Situation draus machen. Aber 'Go' interessiert das einfach nicht. Der erfindet eine Hochzeit in einem Nebenraum, der Wedding Chapel in diesem Casino, und da beginnt sich die eigentliche Geschichte zu erzählen. S: Ja, vielleicht ist das wirklich ein Film, der von dem Bemühen erzählt: 'Da will ich hin, das will ich machen.', aber die eigentlichen Geschichten passieren dann an der Peripherie dieses Ortes, zu dem man hin will. Oder auf der Reise zu diesem Ort. Wenn man dann da ist, gibt es diese komische Depression desjenigen, der etwas erreicht hat, auf die Zeit der hinter ihm liegenden Anstrengungen blickt und sich fragt: 'Was soll das Ganze?'. Vielleicht ist das in der Tat sowas wie der Grund gewesen, diesen Film zu machen. Und deshalb kann auf so eine post-koitale Depression die Reaktion nur lauten: Was machen wir Sylvester? Was ist die nächste Party? M: Das muß jetzt nicht unbedingt eine Autorenintention sein, aber das wäre möglicherweise eine Idee, von der wir ausgehen könnten: 'Go' sucht halt nicht den zentralen Ort, sondern zeigt, wie auf der Suche nach den zentralen Orten irgendwie Spannung entsteht. Oder Depressionen oder Glücksgefühle entstehen können. Dann frage ich mich allerdings, ob er das wirklich erzählt. Ich finde, das macht er nämlich auch nicht. Er erzählt kaum die Anspannung und er erzählt nie die Depression, die vorkommt. Man ist relativ früh damit bekannt gemacht worden, daß den Helden sowieso nichts passiert. Das sind nämlich Märchenhelden, die sind nicht verwundbar. L: Aber das ist doch eine gute Beschreibung von Jugend, von diesem Gefühl, daß man unsterblich ist, daß einem nichts wirklich etwas anhaben kann. Diese ganzen anderen Slacker-Filme, wie beispielsweise 'Reality bites', die haben doch alle Figuren, die Schauspieler werden wollen, die alle irgendwie Ambitionen haben. In Los Angeles weiß man sowieso: jeder ist ein Schauspieler oder will es werden oder will etwas anderes Besonderes werden. Und hier gibt es Figuren, über die der Film sich weigert zu erzählen, was die eigentlich wollen. Das ist doch komisch, oder? Daß der dieses eherne Gesetz des Drehbuch-Schreibens so absolut ignoriert und sagt: Die wollen nix. Aber das finde ich auch toll und da hat der Film eine Unmoralität, einen Mangel an Irgendeine-Wahrheit-sagen-Wollen. Der hat wirklich eher ein photografisches Interesse in der Darstellung. S: Im Grunde genommen ist der Film für mich ein formales Spielchen, der Versuch eines Action-Films ohne die üblichen Ingredienzien. Es gibt nicht nur keine Toten, sondern auch keine Konflikte, keine Ziele, keine Weltanschauungsproblematiken oder Unvereinbarkeiten, die aufeinanderprallen. Im Gegenteil: am Schluß werden sogar die Gangster menschlich, die noch am ehesten als die superfiesen Antagonisten in Frage gekommen wären. Das formale Spielchen treibt der für mich so auf die Spitze, daß er sagt: Ich mache Tarantino, aber wie Rohmer. L: Aber das ist doch toll! Also wenn das das Modell wäre, das wäre doch großartig, oder? S: Ja, aber daran ist er natürlich gleichzeitig hoffnungslos gescheitert. M: Wenn ich jetzt so einen Satz lesen würde: 'Das ist ein Film, der Tarantino wie Rohmer auffaßt und das irgendwie verwirklicht.' und dann den Film angucken würde, da würde ich denken: 'Was ist das für eine Beschreibung von dem Film?'. S: Der Film steckt voller Tarantino-Verweise, aber auf eine Art, als ob er sich dem gleichzeitig entziehen müßte, wovon er sich absetzen will. Deshalb ist alles in einen Alltag von Twenty-somethings eingebettet. 'Go' rekrutiert seine Helden in einer Mittelstands-Mittelmäßigkeit. Die sind nicht smart. Die haben kein besonderes Interesse, keine Marotte oder irgendetwas, worin sie sich super auskennen. Eben daß sie durch nichts besonderes gekennzeichnet sind, wird den Figuren zum Vorteil. 'Pulp Fiction' ohne Genre-Arbeit. Zurück ins Banale. L: Vieles fand ich einfach wunderbar leicht hingeworfen. Diese Lässigkeit, mit der da Figuren auftauchen mit ein paar Sätzen, so wie der Mann mit dem Tonequipment bei den Drogenfahndern, die war wirklich klasse. Ich finde, das macht der Film dauernd, daß der Details, die eine Nebenbedeutung haben, plötzlich eine Aufmerksamkeit verleiht. M: Aber der ist nicht ökonomisch, sondern sehr verschwenderisch, sogar ein bißchen protzend mit Ideen-Haben. Das kann man nur machen, wenn man wirklich keinen Konflikt hat, wenn man sagt: Ich möchte Banalität wirklich auf die Spitze treiben und trotzdem nicht umkippen lassen in Dramatik, in Tragik. Und auch nicht in Komik. 'Go' stellt ständig seinen Ideen-Fundus aus, als Ablenkung von dieser Banalität. In 'Pulp Fiction' teilen sich noch Leichtigkeit und Virtuosität mit. Hier ist das schon angestrengtes Programm: Ich will es unbedingt packen! S: Schweißarbeit. L: Natürlich versucht 'Go', seinen Geschichten eine überraschende Wendung zu geben. Aber findet ihr nicht, daß es da wirklich beides gibt, daß es da auch sowas wie einen Realismus gibt, also in der Lakonie, in den Figuren, in der Kameraführung, in dem Kostüm, in allem? Der Film war ja wirklich darum bemüht, bloß nichts Besonderes sein zu wollen. Die meisten Situationen entwickeln sich aus ganz banalen, blöden, kleinen Zufällen heraus. Das hatte fast so eine gewollte Biederkeit. Worauf ich hinaus will, ist, daß es da tatsächlich eine seltsame Art von Naturalismus gibt, der vielleicht mit Rohmer ganz gut umschrieben wäre, wo eine gewisse Alltagshaftigkeit von Dialogen -anders als bei Tarantino , wo es wirklich diese extreme Überdrehung gibt- nur relativ wenig in etwas Surreales geschoben wird. Und daß der Film da eine sehr gute Balance findet und, wie ich jedenfalls finde, bis zum Schluß sehr unterhaltsam bleibt. Auch wenn man sich am Ende so fühlt, wie man sich nach einer Nacht gefühlt hat, bei der man Spaß gehabt hat: so richtig was erlebt hat man irgendwie nicht. Und so ist es in dem Film, finde ich, dann auch. Bei Rohmer-Filmen geht es einem doch ähnlich: daß man mit sehr großem Vergnügen zwei Stunden lang zusieht und sich zum Schluß ein bißchen fragt: Worum geht's da jetzt eigentlich? Und um Verdichtung geht es bei Rohmer natürlich auch, also daß diese Geschichten gebastelt sind. Reinen Naturalismus braucht man dem ja auch nicht zu unterstellen. S: Nein nein. Auch nicht bei seinen Dialogen. Bei denen wird immer irgendwas verhandelt, fast im Sinne eines griechischen Argumentenaustauschs. Nein, in der Dialogführung, in der Weise, wie geredet wird und worüber, ist 'Go' wieder mehr an Tarantino interessiert: dieses Schwadronieren, das Detailbesessene, das Über-irgendwas-reden-Können. L: Mir ist da eher Altman in den Sinn gekommen, 'Short Cuts', der auch ein Los Angeles-Film ist, auch eine Gruppe von Menschen erzählt, in Einzelepisoden. S: Der ist noch stärker einem Realismus verpflichtet. 'Go' finde ich dann doch Tarantino-mäßig im Overdrive, mit seiner Art von gefeiertem, aufgetuned-tem Nebensächlichkeitsdiskurs, den Tarantino mit zur Mode erhoben hat. Bei Altman war das mehr ein Reden in Bedeutungslosigkeiten. Aber was 'Go' für mich an dem Projekt, etwas wie Rohmer machen zu wollen, scheitern läßt, ist, daß sich die Figuren zu selten auf eine Weise über Dinge unterhalten, die die Unterhaltung zur Action werden läßt. Das gibt es mal an der Salatbar in der Autobahnraststätte, wo sich die vier Jungs über Tantra-Sex unterhalten. L: Warum bemühen wir uns eigentlich die ganze Zeit, einem Film, an dem wir ein ziemliches Vergnügen gehabt haben, eine Kritik anzumessen? Hat der das verdient? Bei 'Pulp Fiction' akzeptieren wir das, der letztendlich ähnlich leer ist, ähnlich wenig abbildet von Wirklichkeit, sondern ein hochinteressanter Diskurs ist zu verschiedensten Genres und Erzählweisen, die man kennt. Dem könnte man im Grunde auch Bastelei vorwerfen: Eigentlich wird es so gemacht, aber wir machen das jetzt mal ganz anders. Daran hat Tarantino einen Spaß und daran hat man als Zuschauer auch einen Spaß. 'Go' macht das in Maßen auch, hat aber gleichzeitig, anders als 'Pulp Fiction', dann doch noch einen Anker in dem, was man als Wirklichkeit bezeichnen könnte, also einen Wiedererkennungs-, einen Identifikationswert, der in Tarantinos Film völlig verschwunden ist. Keine von Tarantinos Figuren würde man als realistisch bezeichnen können. Die Frage ist jetzt: Warum sind wir so bemüht um Kritik? Ist uns das wirklich ein Bedürfnis, also spricht daraus ein Unglück mit dem Film, eine Unzufriedenheit, ein Kater oder ein Hangover, den wir da haben? M: Ich hatte wirklich das Gefühl, daß sich in 'Go' alles angleicht, daß alle Figuren wirklich auf einer Ebene sind, auf der gleichen Ebene arbeiten und argumentieren, auf die gleiche Art unverwundbar und gleich unmoralisch wie moralisch sind. Was ihn von Tarantino unterscheidet: es gibt überhaupt keinen Versuch, unterschiedliche Weltzugänge oder Weltbilder von Figuren miteinander in Konflikt geraten zu lassen. Wenn diese Konflikte stattfinden, werden die am Ende immer zurechtgebogen zu einem Taschenspielertrick, einer total überraschenden Plot-Auflösung, einer überraschenden Idee, und mehr war das nicht. Und dann finde ich es halt ein bißchen schade, wenn der soviel Personal hat, wenn der 10, 20 Leute hat, die sich letztendlich nur als Strichmännchen entpuppen, die auf einer zeitlichen Achse hin und her geschoben werden können. Das macht wirklich so eine Öde, also diesen Hangover, diesen Kater. Das ist auch noch keine richtige Antwort auf deine Frage, warum wir denn während des Guckens oft amüsiert waren darüber. S: Um noch einmal den Altman-Vergleich heranzuziehen: 'Go' hat es nicht vermocht, seine Episoden dadurch aufzulösen, daß er sie American Short story-mäßig ambivalent gestaltet, ihr Ende offen und Nicht-Gesagtes durchschimmern läßt. 'Go' hat alles immer sehr sauber zuende geklammert, auf Pointe hin. Dadurch unterbindet er völlig das Schillern der Möglichkeiten. Das meine ich vielleicht mit dem Scheitern gegenüber Rohmer. Aber auch gegenüber Altmann sagt er dann: Naja, war alles nur Stoff. Ich habe gar kein Anliegen, etwas mitzuerzählen über Lebensweisen, Lebensorganisationsformen. Das sind alles nur Erzähl-tools. Letztlich geht es doch nur um Absurdität. M: Vielleicht liegt das Problem daran, daß 'Go' auf dieser rein Zeit-formalen Ebene, wenn er diese drei Geschichten als Parallelgeschichten erzählt, wirklich einen zu hohen Anspruch anmeldet: er versucht, innerhalb von etwas mehr als 90 Minuten, das, was jetzt die großen Parallelerzählvorbilder Altman und Tarantino machen, zu erfüllen und will dem noch was Neues hinzufügen, nämlich Banalität von Jugendlichen, Realismusanspruch. Ich hatte nach 'Go' das Gefühl, daß der Film eigentlich ok wäre, wenn er nicht so viel von sich behaupten würde. Der will einen immer wieder überraschen. Und irgendwann hat das bei mir nicht mehr geklappt. L: Also bei mir hat es geklappt, bis zum Schluß. Ich habe bis zum Schluß ein relativ großes Vergnügen gehabt. S: Das muß sich doch nicht ausschließen. Klar habe ich auch Vergnügen gehabt. Das ist schon ein Film, der brauchbare bis sehr gute Ideen hat, für Teile. Aber ich habe Schwierigkeiten damit, wie er die dann doch irgendwie vorführt. Das wird dann schnell zum Moral-Thema bei mir. Die Erzählhaltung von 'Go' ist eine, die mir dubios vorkommt. L: Ja, aber warum wirft man dann sowas 'Pulp Fiction' nicht vor? S: Ich habe das Gefühl, daß sich bei Tarantino sowas wie Figurenliebe und Konstruiererei nicht nur 50:50 die Waage halten, sondern daß sich bei ihm das eine aus dem anderen ergibt. Obwohl ich weiß, daß das Kunstfiguren sind, kriege ich als Humanismus-Abhängiger immer noch meine befriedigende Dosis ab. L: Hm. M: Bei Tarantino erzeugt diese Meta-Konstruktion -diese Zeitkonstruktion und Vielschichtigkeitskonstruktion- tatsächlich sowas wie Mehrwert, ein Nachkonstruieren, ein Überlegen: Wie hat das hingehauen?. Bei 'Go' ist es halt so, daß man nach der ersten Einblendung -diesem 'Jetzt wieder zurück zum Supermarkt; wir erzählen die Geschichte nochmal neu, aber verfolgen diesmal andere Protagonisten'- relativ schnell begriffen hat, wie das zusammengeführt wird. Und nach dem Film sagt man einfach: Ok, es paßt. Aber man denkt nicht mehr darüber nach, daß diese Meta-Konstruktion so kompliziert war und hat auch nicht das Gefühl, daß diese Kompliziertheit irgendwas Spannendes hat oder irgendwas Interessantes über das Erzählen aussagt. L: Das tut es auch nicht. Das interessiert den Film nicht. M: Aber Tarantino hat das noch gemacht. L: Das hat aber dazu geführt, daß man in 'Pulp Fiction' dauernd auf eine schlauere Art und Weise als in diesem Film überrascht wurde, gerade durch diese Konstruktionsgeschichten. Beim Sehen hat man dann das Vergnügen, das man hat, wenn man ein Zeitmagazin-Kreuzworträtsel löst und um die Ecke denken muß. Das ist für Leute, die diese Genres gut kennen und hat dann natürlich dieses Vergnügen von Dekonstruktion. Aber als Wert oder Mehrwert würde ich das nicht bezeichnen. Es ist einfach eine höhergradige Cleverness als bei 'Go'. Das interessiert 'Go' ja gar nicht, der ist so schlicht in seine drei Teile geteilt, der zieht da überhaupt nix draus. Mir geht es ja ähnlich wie euch, eigentlich. Also irgendwie finde ich den Film leer. Man kommt mit einem Kater raus. Man kann sich die ganzen tollen Szenen des Films nacherzählen und sagen: 'Boh, klasse!'. Und die Schauspielerin war großartig, die Ronna, und eigentlich fast alle Darsteller. Und man kann den Film, so wie auf dem Schulhof früher, nacherzählen und sagen: 'Boh, toll! Und da fällt mir noch das ein!'. Aber man findet keine richtige Haltung zu dem Film. Womit wir ja auch angefangen haben, mit der Metaphernlosigkeit. Keine dieser Figuren ist am Ende des Films irgendwie anders als vorher, hat irgendwas gelernt. Es gibt ja auch gar nicht das Bedürfnis, etwas zu lernen. M: Aber ein Metaphern-Angebot hätte ich doch noch: Also, es gibt viele Surrogate, Substitute in 'Go', so Schein-Sachen. Wie diesen Prostitutionssex -don't touch. Oder die gefake-ten Ecstasies, bei denen diese weißen Mittelstandskids in ihrem Bus denken, die Pillen wären echt und so tun, als würden sie voll abfahren. Wahrscheinlich fahren sie auch voll ab. Auch dieses scheinbare 'Wir wollen Rache!' vom Puffbesitzer und seinem Sohn: so richtig wissen selbst die Gangster nicht, was sie wollen. ================================================================================ THE LONG HELLO AND SHORT GOODBYE Rainer Kaufmann, D 1998 M: Das soll doch Hamburg sein in dem Film, oder? S: Aber einen richtigen Ort hat der Film nicht. Damit meine ich, daß das Außen keine Rolle spielt, jenseits von Kulisse und Ausstattung für dieses symbolische Binnendrama. L: Aber Architektur spielt schon eine Rolle: Hohe Häuser mit Dächern, von denen man sich runterstürzen kann und gerettet werden... S: Psychologische Kulisse würde ich das nennen, seelische Landschaften. L: Aber das kann auch eine reale Stadt sein. Und dafür ist dieses Nachkriegs-Hamburg mit den vielen leergelassenen Plätzen gar keine schlechte Wahl und paßt in die Geschichte, die der Film erzählen will. Das könnte man in München nicht ohne weiteres so machen. M: Das ist ein Antonioni-Hamburg. L: Ja, mit dieser 70er-Jahre-Anmutung. M: Ich kenne ein, zwei Hamburg-Filme, die auch auf diese Randstadt-Ästhetik setzen, auf eine Neubewertung von 70er-Jahre-Hochhausschick. Da ist der Film auf jeden Fall auch interessiert dran, an so einem Glamour von klassischer Linienführung in Le Corbusier-Nachfolge. L: Das ist eine erklärte Absicht des Films und damit machte der auch Reklame. In der ZEIT gab es eine ganze Seite über die tolle Ästhetik des Films. Da wurde nur über die Ausstattung und den Style des Films geredet, die tollen Möbel der klassischen Moderne und wie die Interieurs fast direkt aus den Seiten der englischen 'Wallpaper' nachgebaut worden sind, einer Zeitschrift für Innenarchitektur, die dieses skandinavische oder auch deutsche Design der späten 60er und 70er Jahre feiert. Die Restaurantszene z.B. wurde in der berühmten Kantine des SPIEGEL-Hauses gedreht. M: Ich hatte dabei gedacht, daß Kaufmann, der vorher nur Seichtes produziert hat, mal zeigen wollte, daß auch er Geschmack haben kann, daß auch er einmal seine Innenausstattungsvorstellungen, seine Privatästhetiken in einem Film verwirklicht sehen wollte. Auch wenn man sich die Schauspieler anschaut: die Riemann sieht ja aus wie eine Mischung aus Flickenschild und Uschi Glas. S: Aber gekleidet war sie wie englisches Fernsehen, wie Diana Rigg in 'Mit Schirm, Charme und Melone'. L: Und dann gab es diese Perücke von Nicolette Krebitz: wie Monica Vitti als Modesty Blaise. Eigentlich sahen alle aus, als hätten sie Perücken auf, auch Marc Hosemann mit diesen kunstvoll verwuschelten Haaren und sogar der Mann mit der Glatze, der böse Polizist, wie hieß der noch gleich? M: Hollinderbäumer. Ein unheimlich schöner Name. L: Man hat doch bisher immer gesagt, daß dieses ganze Münchener und Hamburger Komödienkino ein Versuch ist, das vom Oberhausener Manifest als Opas Kino bezeichnete Vergnügungskino der Kriegs- und Nachkriegszeit zu revitalisieren. Man findet ja die Stoffe wieder und in fast jedem dieser neuen deutschen Kinostars eine Figur aus diesem Nachkriegskino: Katja Riemann als wieder auferstandene Marika Rökk, Til Schweiger als ein Horst Buchholz, Joachim Krol als Heinz Rühmann. Das war ja auch offensives Programm. Ich erinnere mich an ein Interview mit Sönke Wortmann, der ganz direkt gesagt hat: der Neue Deutsche Film war Scheiße, wir erinnern uns jetzt an die Zeit, als das Kino noch für das Publikum war und machen da jetzt weiter: Unterhaltung. S: Was dann in der German-Classics-Reihe von dem Eichinger auf SAT 1 gipfelte. L: Wenn man dann diesen Film hier sieht mit seinen spröden Ambitionen, könnte man sagen: Jetzt sind die bei ihrer Zeitreise doch beim Neuen Deutschen Film angegkommen, zumindest bei Leuten wie Roland Klick oder dem frühen Thomé oder Klaus Lemke. Jedenfalls hat der Kaufmann diese blödsinnige Feindschaft anscheinend überwunden, auch wenn der selbst noch garnichts davon weiß. Der Versuch dazu ist zumindest zu erkennen. Mir ging die ganze Zeit der Film 'Deadlock' von Klick im Kopf herum. S: Wegen der Szene am Baggersee. L: Klar, aber auch grundsätzlich wegen der Methode, jeden so pathetisch nach innen sprechen zu lassen, fast nur für sich selbst, auch bei Dialogen. Und auch wegen der Art, Figuren nicht realistisch zu machen, sondern jeder Figur eine Metaphysik zu verleihen, einen Begriff, wie für eine Spielfigur, die man dann hin- und herschiebt. Hosemann hätte dann einen Begriff wie 'Verzweiflung' oder 'Tod' darzustellen, Krebitz etwas wie 'unendliche Einsamkeit', bei der Riemann könnte man von 'Verrat' sprechen und beim Hollinderbäumer von 'Macht' oder 'Rache'. Und dann haben die Figuren wie in einem mittelalterlichen Kirchenspiel ihre Auftritte und Szenen. Und repräsentieren mit Pathos diese Begriffe, aber auch nicht viel mehr. Ich finde es schon ziemlich bemerkenswert, daß man diesen Figuren eigentlich nichts glaubt, daß diese Rollen als Behauptung daherkommen. Weder glaubt man Nicolette Krebitz die Undercover-Agentin, die war wie ein großes Kind, das mit zu großen Pistolen spielt. Noch glaubt man dem Hosemann den Geldschrankspezialisten. Nicolette Krebitz habe ich zuerst sogar für eine grandioS falsche Besetzung gehalten, mit ihrer Klosterschülerinnen-Naivität. Erst als ich auf diese Begriffe kam wie 'Verlorenheit' und 'Einsamkeit', war das dann doch eine glückliche Wahl, für diese Abstrakheit, als ich mich davon gelöst hatte, dieser Figur etwas glauben zu wollen. Das gibt man spätestens nach 10 Minuten auf, weil man merkt, daß der Film da kein Vermögen oder kein Interesse hat. M: Wenn man das Kriterium vom Unterschied zwischen Trivialität und Nicht-Trivialität einsetzt, dann ist der Film insofern natürlich erstmal das Gegenteil von 'trivialem', Bekanntes nur noch bestätigendem Kino. Kaufmanns Film ist erstmal verstörend. L: Man hat in diesem Film eben eine Menge Zeit, sich unnütze Gedanken zu machen, weil man nicht identifiziert ist und weil man diesem ganzen Spektakel ein wenig unberührt wie den Fischen im Aquarium zusieht, das ja auch immer wieder ins Bild gerückt wird. Und da sieht man dann den schönen Eames-Chair und bei der Sequenz am Baggerloch denkt man: Aha! 'Deadlock' von Roland Klick! In dem Film erinnert einen ja andauernd alles an alles mögliche andere, das will der auch und das ist ja manchmal auch ganz schön, sich in einem Film so spazierend herumzubewegen. Ich fand den Film auf eine interessante Art und Weise langweilig, weil der mich als Zuschauer relativ ernst genommen hat. Weil er nicht wie die anderen Filme dieser Leute versucht hat, sich so extrem anzubiedern oder mich in einen hysterischen Schwung zu versetzen, mit dem ich dann noch über die blödesten Kleiderschrankwitze lachen soll. Ich war immer neugierig, welche pathetischen Kulissen und Gesten mir der Film als nächstes bieten würde. Ich bin mir aber nicht sicher, ob man einem Film dieses vitrinenhafte Ausstellen zugestehen darf. Ich konnte wunderbar assoziieren in den 90 Minuten, aber berührt hat mich das alles nicht. S: Aber ich bin da nie sehr weit gekommen mit dem Assoziieren: Wohin? Wozu? Wenn ich da am Baggersee saß und mir fiel 'Deadlock' ein, dann wußte ich trotzdem nicht, was ich damit machen sollte. Mir hat sich nie der Film zusammengesetzt, der diese ganze Mühe rechtfertigen würde. Bei mir hat das auch nicht nach 10 Minuten mit der Loslösung von der Sinnsuche geklappt und so stand ich am Ende mit einem ernüchterten Fazit da: Wieder nur Beziehungssymbolik! Ich habe am Schluß ein Paar gesehen, das völlig fertig, wahrscheinlich sterbend in der Einsamkeit der Großstadt sitzt und mir bedeuten soll: So sieht das Ergebnis zwischenmenschlicher Kommunikation aus. Ein zahmeres Ende von 'Duel in the sun', wo sich Gregory Peck und Jennifer Jones 20 Minuten lang zu Tode ballern und dabei gleichzeitig einander in die Arme treiben. L: Der Begriff 'Oper' fällt ja mal und der wird auch spätestens dann präzise und eingeholt, wenn Sunnyi Melles und ihr grotesker Baronfreund Axel Milberg sich statt der Oper den Einbruch ansehen und sagen, das sei spannender als 'La Traviata' - was er dann leider nicht ist. Da ist man dann bei dem angelangt, was der Film tatsächlich sein will. M: Was ist 'La Traviata' eigentlich für eine Oper? Kennt ihr die? L: Das ist eine unglückliche Liebesgeschichte. La Traviata heißt: Die vom Wege Abgekommene, spielt auch im Halbweltmilieu und ist ein Remake von der Kameliendame, hat sonst aber wenig mit dieser Geschichte zu tun. M: Ich hatte auch das Gefühl, daß man nach 10 Minuten aufgibt, eine Identifikatorik einzubauen in das Gucken und eine Geschichte zu suchen, der man glauben würde. Man guckt sich das als Tableaus an, wie vorgeführte Allegorien, in denen man hin- und herkreuzen kann, aber in denen es nicht unbedingt symbolischen Sinn gibt. Nach etwa 40 Minuten empfand ich gähnende Langeweile, als ich dachte, ich hätte das gesamte Bilderrepertoire gesehen: Super-8 gleich Erinnerungsbild, dann die Soundeffekte, die den Zuschauer wieder aufwecken und sagen: Jetzt passiert wieder etwas wichtiges. Obwohl das Aufwachen für mich nicht wichtig war. Nach 60-70 Minuten dachte ich auch plötzlich: Jetzt erzählt der mir doch wieder nur ein Beziehungsdrama, ist die ganze Rätselhaftigkeit, die der am Anfang aufbaut, darauf reduziert. S: Ein wichtiges Thema ist natürlich die Lüge, die die Wahrheit sagt und sich hinter der Gewißheit versteckt, daß die Wahrheit nur als cooler Scherz wahrgenommen wird. So weit ist es gekommen: man kann ungestraft die Wahrheit sagen, es wird einem sowieso nicht geglaubt. L: Das waren doch magische Momente, oder? S: Das ging aber als vor sich hergetragene Haltung sehr schnell auf den Keks, genauso wie dieses Spiel mit den Prophezeiungen: Und dann wirst du das-und-das sagen und ich darauf das-und-das und so weiter. L: Aber in dem Bemühen, jeder Figur in der Wahrheit, die sie dann auch sein würde, Pathos zu verleihen, eine Eindrücklichkeit und Überhöhung von sich selbst, bekam das dann doch eine Glaubwürdigkeit. Denn es gab den Begriff von Wahrheit nicht mehr, auch nicht von wahrer Person, der gegenüber man die Behauptung von falscher Person aufstellen könnte. Das war dann wirklich nur noch eine Ebene, auf der die Figuren gespielt haben, und die war nicht höher- oder niedriger-gradig als das Gefühl, das sie in ihrem wirklichen So-sein vor sich hergetragen haben. Ein Taumel. S: Ich hätte es trotzdem lieber unsymbolischer: Warum Knastausbrecher, Panzerknacker, Undercover-Frau, Polizeikommissar? Das sind Fragen von jemandem, der diese Übersetzungen nicht mitgedacht hat und in die Plot-Fallen gelaufen ist. Denen fällt der Film am Schluß selbst zum Opfer, mit seiner postmodernen Genre-Arbeit. L: Das ist am Ende eine Schwäche des Film, wenn der versucht, alles aufzulösen. Es ist wirklich sehr ärgerlich, daß er zum Schluß seinen Plot noch so wichtig nimmt, noch alles erklären will und auch noch zu einem martialischen Ende führen möchte. Am Schluß jedenfalls versucht Kaufmann dann doch wieder, seinen Figuren alles Rätselhafte wegzunehmen, indem er sie einfach umbringt. Plausibel ist das schon, was da passiert, aber eben zu plausibel. Der Schluß läßt nichts offen. Wir haben ja schon öfter beklagt, daß viele Filme das Schillernde aus ihren Figuren rausnehmen, etwas, das einen Doppelblick, einen Gedanken ermöglichen würde. Das passiert dem Kaufmann eben auch, wenn alles in einer Megaintrige aufgeklärt wird. Der Reichtum, der in diesem Rätselhaften liegen könnte, wird auf eine blöde Intrige reduziert. M: Der Film zeigt ja bereits ganz am Anfang den Ort des Verbrechens und nach den Titeln hört man Hosemann röcheln: 'Das soll dein Plan gewesen sein?'. Man sieht mehr oder weniger abstrakte Ausschnitte von Körpern, die offensichtlich tot sind, Blut läuft der Sunnyi Melles die Brust herunter. Dann sieht man immer wieder aus verschiedenen Perspektiven und in Spiralbewegungen der Kamera mehrere Wummen. Der Vorspann endet mit dem Blick auf das Aquarium. Mir ist sofort die Idee gekommen: Was der da zeigt, sind total überdeterminierte Dinge, Körper wie Wummen. Und danach verspricht der Film, das Rätsel aufzulösen, was sich hinter diesen Dingen, hinter diesen Körpern verbirgt. L: Das ist ja ein klassisches melodramatisches Verfahren, etwas als schon passiert und damit schicksalhaft darzustellen und dann eine Herleitung zu bauen, die aber nicht analytisch und deduktionistisch ist, sondern pathetisch; die die Unausweichlichlichkeit dieses Schicksals und eben auch jeder Handlung in dem Film zeigt, die das vorweggenommene Ende dramatisch aufgeladen hat. Psychologisch einsichtig ist das alles nicht, was da passiert. Das sind ja alles Behauptungen, komplett, auch erstmal die Liebesbeziehung zwischen Hosemanns Ben und Krebitz' Melody. Es gibt natürlich diese Undercover-Intrige, aber trotzdem hat man eigentlich nie begriffen, warum die eigentlich zusammen sind. Für mich gab es eine Idee davon, daß man eben nicht allein sein kann, vor allem bei Ben. Für den gab es doch gar keinen Grund, mit Melody rumzuziehen, außer eben: Was soll er denn sonst machen? S: Man muß schon betonen, daß es hier um Lüge, Verrat und Verstellen geht. Da kommt einer aus dem Knast und muß noch klarstellen, warum er da überhaupt gelandet ist, Rache usw. . Melody will sich nicht verlieben, die will ihren Arsch retten. Die wird erpreßt. Also: in den Anlässen, die der Plot stiftet, geht es nie um Liebe. Die ist etwas, das sich in diesem Klima der Lügen herstellt, an ihnen entzündet. L: Das meine ich ja mit schicksalhaft: 'Was soll ich denn machen?' im Sinne von Fatalismus und Aussichtslosigkeit, die es in dem Film gibt. Der hat ja eine kammerspielartige Situation, absolut reduziert, fast ohne Statisten, ohne die Anderen, ohne Welt. S: Ja eben. Kaufmann ist artifiziell und distanziert. Wobei: Da werden Stilmittel eingesetzt, die diese Distanziertheit immer wieder unterlaufen. Ich finde, dieses leise Sprechen ist sowas. Das ist ein rethorischer Trick, weil damit das Auditorium seine Aufmerksamkeit erhöhen soll. Das hat etwas mit Nähe-Erzeugen zu tun. Also akustisch passiert in dem Film das Gegenteil zu dem Rest-Programm. M: Die Artifizialität des Films verhindert, daß man ihn so einfach nehmen kann, wie er vom Plot daherkommt. Der will etwas anderes erzählen. L: Der Kaufmann hatte sicherlich ein relativ geringes Interesse daran, Deutschland im Jahre 98 zu zeigen. Das war nicht sein primärer Ehrgeiz. Vielleicht ist grundsätzlich dieses Interesse an Realismus im deutschen Kino nicht mehr richtig vorhanden, auch nicht beim Publikum. Das holt sich das woanders her, aus dem Fernsehen. Es will irgendwohin entfliehen und geht dann ins Kino oder fährt nach Mallorca. Es gibt auch keinen Diskurs über Realismus im deutschen Kino. Den Amerikanern gelingt es noch manchmal, ein aktuelles politisches oder soziales Thema aufzugreifen, auch wenn die Produktionszeit so lang ist -zwei, drei Jahre für die großen Filme, was besonders prekär ist für ein abseitiges Thema. 'Bulworth' ist ein Beispiel dafür, daß da trotzdem noch gesellschaftliche Relevanz erzeugt werden kann, etwas, worüber man sich Gedanken machen kann -wenn man will. Das scheint mir bei Kaufmann nicht möglich zu sein. Wir hatten eben nochmal als Umschreibung für Trivialität, daß etwas, das bekannt ist, bestätigt wird. Das könnte auch ein dokumentarisches Interesse eines Films begründen und auch das Vergnügen eines Film-Publikums evozieren. Dagegen hat der Kaufmann sich offensichtlich zum ersten Mal dazu entschlossen, nachdem er jahrelang ein Protagonist des trivialen Verfahrens war, plötzlich einen ambitionierten Film hinzulegen. Der in ganz vielen Hinsichten scheitert. Weil er verglichen mit den radikaleren amerikanischen oder französischen Versuchen, sowas wie eine Kunstwelt hinzustellen und zu behaupten, so viel ungenauer ist. Weil er dann doch wieder trivial wird. Weil man bestätigend erkennt: Aha, Wallpaper, Klick usw. . Und weil man die Absicht und die Koketterie erkennt. Aber immerhin: Kaufmann unternimmt einen ernsten Versuch. Im größten Saal des Kinos verlieren trotzdem nur eine handvoll Zuschauer. Ich frage ich mich aber: Warum ist das Publikum nicht neugieriger auf ein wenigstens interessant gescheitertes Kino? S: Distanziertheit als ästhetische Haltung, als Erzählhaltung, ist schwerer durchsetzbar am Markt. Das ist ein weiteres Indiz für eine sehr konservative Stimmung, die an diesem Markt installiert ist seit geraumer Zeit. M: Obwohl: ich habe ja das Gefühl, daß der Kaufmann diese Distanz nur so vor sich her trägt. Im Grunde tut er nur so, als könne er einen Film konstruieren, der sich selber mit Distanzverfahren aufstellt. Der kann das eigentlich nicht. Der benutzt hier Verfahren, die er eigentlich nicht versteht. L: Die Verfahren versteht der vielleicht, aber er hat die Ambition nicht wirklich. Der will dann doch möglicherweise nur das machen, was andere tun. Der macht was nach, was andere aus einem ursprünglicheren Impuls möglicherweise mit einer stärkeren künstlerischen Kraft hinkriegen, David Lynch beispielsweise oder sogar Resnais, der einfach einen viel spielerischeren Zugang hat. Aber das Vergnügen, das die Darsteller bei Resnais haben, das konnte man diesen Figuren nicht anmerken, das war schwere Arbeit. Der Kaufmann ist wirklich nicht radikal genug. S: Mir kommt es so vor als würde Kaufmann ein sehr fremdes Verhältnis zu seinem Buch haben. Die Distanz-Ästhetik könnte auch Ausdruck einer wirklichen Entfernung sein zwischen Vorlage und Regisseurintention. Wohlwollend ausgedrückt kann ich jemanden an der Arbeit erkennen, der sich mit der hundertsten Variation eines Standard-Plots nicht abfinden will und deshalb davon losgelöst am ästhetischen Konzept bastelt. Kaufmann hätte ja brav seinen Millenium-Film Noir runterreißen können und den Plot in dem Sinne ernster nehmen und durchinszenieren, daß man an der richtigen Stelle Sorge hat um die Figuren, statt ihnen von Anfang an kein einziges Wort zu glauben. M: Der Film stattet die Ästhetik, das Artifizielle mit Relevanz aus: Es gibt die Verweise auf Schwarze Serie, 70er Jahre-Kino usw., aber in seiner referentiellen Illusion soll der Versuch wieder zeitgemäß sein. L: Die Baggerlochszene ist schon mehr als eine kleine Hommage an Klick, sie ist eine zentrale Szene des Films: 'Tun wir doch mal so, als ob wir ineinander verliebt seien!'. Das ist schon so etwas wie die Parole des gesamten Films: 'Tun wir doch mal so als ob!, eingepackt in deutsches 70er Jahre-Kino, Noir, Oper. Und alles als Kinderspiel mit Perücken und großen Pistolen in den Kulissen unserer Eltern. Dort soll dann plötzlich dieses Schein-Dasein interessanterweise über Mimikry von Wahrheit geknackt werden.Eine Referenz auf etwas wirklich Authentisches, auf irgendein wirkliches Leben kommt mir da auf mehreren Ebenen gebrochen vor. Da beginnt der Film dann doch zu schillern. M: Mir war das zu Tableau-haft. Die einzelnen Sequenzen hatten etwas eigenartig Autonomes, die sind zu stark unabhängig voneinander. Das hat irgendwann diesen Sättigungs- und Langeweileeffekt bei mir hervorgerufen. Zu sagen, da kommt eine Art Mimikry vor, finde ich ja auch eine ziemlich gute Beschreibung und diesem Mimikryverdacht versuchen Krebitz und Hosemann eben dadurch zu entgehen, indem sie immer wieder indirekte Rede und prophetische Rede benutzen. L: Wenn der Film wenigstens gesungen worden wäre wie bei 'On connait la chanson' von Resnais oder besser: wie bei Jacques Demy, nur nicht so leicht, sondern eben mit großem Operngetöse! Ich finde wirklich, Kaufmann hätte den Figuren noch Melodien geben müssen! Aber das traut er sich dann doch nicht. ================================================================================ DIE BLUME DER HAUSFRAU Dominik Wessely, D '98 S: Der Film hatte eine Ausgangsidee: Staubsaugervertreter müssen permanent Show machen. Also stellt er das auch mit den Mitteln des Show-Mediums Film aus: ein Anfang wie ein Spielfilm; die Vertreter kriegen Titel wie Schauspieler-Credits; kommentierende Musik. Der Film entscheidet sich sogar für eine Rollenzuweisung: Es gibt einen Loser in der Mannschaft, den Ditta. Der wird ausschließlich beim Scheitern gezeigt. Der hatte eine Körperhaltung und trug auch seinen Eingangssatz so steif vor -'Ist Ihnen Vorwerk ein Begriff?'-, daß ich mich ständig bei einer Anteil nehmenden Reaktion ertappen mußte: 'Junge, so wird das nie was!'. L: Ich war mir nicht mal sicher, ob der nicht eine Kunstfigur mit einem Zentralthema war. M: Der Film betreibt damit eine Stilisierung der Absagen. Die Absage wird nicht als normaler Alltag beschrieben, sondern als Mißerfolg dargestellt. Eine Mikro-Tragik ist da immer drin in dem Verfehlen. Durch den Musikeinsatz und dadurch, daß er eine einzige Figur als den Loser besetzt, hebt der Film das möglicherweise real sich einstellende Gefühl eines psychologischen oder emotionalen Rückschlags mit filmischen Mitteln dramatisierend hervor. Es gehört zur Inszenierung des Films, daß der Widule keine Absagen hat. Der wird nirgendwo rausgeschmissen, der ist schließlich der Champion des Bezirks. L: Die Vertreter waren alle gut gecastet. Das war ja eine wirklich gute Truppe für einen Film, vor allem die Italiener. Die Tragik, die die im Gesicht trugen, auch bei gelungen Verkaufsveranstaltungen, die war großartig. Eine unglaubliche Arbeit, die das ist, Filtertüten, Staubwedel und Staubsauger zu verkaufen. M: Vorwerk ist dafür wirklich bekannt. Die kriegst du nicht in Kaufhäusern, sondern wirklich nur über Direktverkauf. Keine Werbung. L: Die haben da offensichtlich eine Art sportliche Hierarchie und mit dem Widule eben so etwas wie einen Mannschaftskapitän. M: Der ist auch der Witze-Erzähler. Gleich am Anfang wird der eingeführt mit einem Witz, den der vor den anderen auf dem Klo erzählt. L: Retrospektiv fand ich es richtig, so eine Szene an den Anfang zu setzen, weil der Film damit seinen Grad an Inszenierung offenbar gemacht hat. Aber ich habe sofort die Lust verloren, einen Film zu sehen, der sich als Dokumentarfilm darstellt, der sich aber gleich so intensiv inszeniert: Männer in langen Mänteln auf dem Pissoir. S: Ein Italo-Western-Verweis, genauso wie die Melodie aus 'The good, the bad and the ugly', die am Schluß gepfiffen wird. M: Es sind ja auch hauptsächlich Italiener in der Crew, die uns gezeigt wird. Und die haben ja auch die ganze Zeit so bestimmte Filmgesten drauf. Ich könnte mir vorstellen, daß der Anfang ein Vorschlag von den Vertreter-Jungs war und die Filmemacher haben den aufgegriffen, als Möglichkeit, einmal richtig Kino zu machen, mit Auflösung und festgelegten Schwenks und solchen Sachen. Nach den Titeln hört das erstmal auf. Da gehen die sofort in die Wohnungen rein. Und da kamen auch gleich die Lacher im vollen Kino. Das Publikum hat sich ja unglaublich amüsiert, in erster Linie über die Kunden. L: Darauf spekuliert der Film ja auch. Es ging gar nicht um eine Analyse dieses Verkaufs, dieser Methoden oder Strategien. Sondern es ging darum, möglichst kein lustiges Gesicht zu verpassen. M: Der Film verhindert zwar nicht gerade, daß man sich über Verkaufstaktiken und das Vertreter-Sein Gedanken macht, aber es überwiegt doch der Aspekt vom Schlüsselloch: 'Wie kann ich in die Wohnungen von Leuten reinkommen, um dort etwas wie schwäbischen Kleinstadt-Alltag zu erzählen?'. Bestenfalls bedient das ein ethnographisches Interesse, mit der Metapher vom Vertreter als Forscher. Das ist ja auch eine Selbstdefinition von denen. Aber das ist schnell egal und von dem Moment an war ich mir nicht mehr sicher, ob der Film nicht spekulativ ist, ob der nicht nur ein voyeuristisches Interesse hat: 'Ich komme mal in eine Wohnung rein und kann Leute in ihren seltsamen Wohnzimmern beobachten.'. L: Ja, der spekuliert auf die Absurdität von Spießer-Existenzen. Das sollte schon 'Deutschland privat' und Kleinbürgertum sein.Ich finde das einfach uninteressant, Privatheit. Wenn ich fünf Wohnzimmer vorgeführt bekomme, dann möchte ich Details sehen, Unterschiede, Zusammenhänge. Aber daran hatte der Film überhaupt kein Interesse, der war froh wenn ne Oma ihren Papagei hervorholte. S: Es ist einfach schwierig, so etwas wie Leere zu filmen. Ich meine das jetzt nicht wertend. L: Ich war ja froh, dass diese Sozialhilfeempfängerin gesagt hat: 'Nee, meine Matratze, die zeige ich Ihnen jetzt mal nicht.'. Das will ich einfach nicht auch noch sehen und ich wollte eigentlich den ganzen Film nicht sehen. Diese Vertreter finde ich interessant, aber ich will nicht in die Wohnzimmer rein. M: Doch, doch! S: Das glaube ich dir auch nicht. Ich hatte mal einen Job, wo ich einem Architekten dabei helfen musste, Wohnungen zu vermess en und ich habe das auch immer ganz gerne erzählt, was man da alles gesehen hat. Ich kann mich nicht damit herausreden, moralisch so intakt zu sein, dass mich das nicht interessiert hätte, in diese Wohnungen reinzukommen. Ich finde aber, dass man in dem Film erstaunlich wenig sieht. Oder: Meine Beobachtungen bei der Arbeit waren facettenreicher als die Beobachtungen, die ich hier bei diesem Film machen konnte. Ich hatte das Gefühl, dass sich alles sehr ähnelt. Die Erklärungen dafür sind sicherlich vielfältig, aber ein Faktor scheint mir zu sein, dass es eben auch Tageszeiten-gebunden ist und natürlich auch Kundschaft-gebunden. Aber über diesen Antrieb, reingucken zu wollen als Motiv, sowas zu machen und sowas auch finanziert zu bekommen, darüber sollte man sich wenig Illusionen machen. Ich glaube, das interessiert erstmal. Deshalb dieser seltsame Begriff von der Privatheit. L: Ich fand schon diesen äusserst erfolgreichen Van Ackeren-Film 'Deutschland privat' wirklich das Letzte. Das Gelächter, das da in dem Kino produziert wurde, war ein ähnliches. Aber was habt ihr denn aus dem Film rausgeholt? Mit eurer Lust auf das Private. Das möchte ich jetzt echt mal wissen! M: Die sechs bis acht Leute, die ausführlicher porträtiert werden und Einzelepisoden bekommen, sind fast alle über 60. Eine der Ausnahmen war die geschiedene Frau, die auf Sozialhilfe ist. In der Sequenz gab es auch zum ersten Mal einen Ansatz zu Reflexion, weil die Frau permanent den Eindruck vermittelte, sich rechtfertigen zu wollen, warum sie jetzt nicht kauft: 'Ich möchte ja gerne, aber ich kann es mir nicht leisten.'. Die macht also das Gegenteil von dem, was man eigentlich erwartet. L: Ich war auch ganz überrascht, wie diese Frau am Anfang der Szene ironisch fragt: 'Muß ich jetzt erstaunt gucken, wenn der Schmutz weg ist?'. Die war ja die einzige, die der Inszenierung der Vertreter wirklich etwas entgegensetzen konnte -und natürlich auch der Anwesenheit der Kamera. Zusammen mit der alten Dame, die den Vertreter gezwungen hat, für sie Staub zu saugen und Staub zu wischen, die den zum Putzmann umfunktioniert hat. S: Das sind die beiden Fälle, wo das Spiel erwidert wird. Wenn man die Vertreter als Show-Leute ansieht, dann haben die es eigentlich die meiste Zeit mit einem passiven Publikum zu tun, das der eingeforderten Interaktion ausweicht. Die zwei Frauen greifen aktiv das Spiel auf. Da muß der Filmemacher wahnsinnig glücklich gewesen sein, daß es auch solche Reaktionen gegeben hat. L: Da bin ich gar nicht sicher. Der Film hatte doch ein sehr viel größeres Interesse, die kindische Papageien-Geschichte mit der dicken Rentnerin in aller Ausführlichkeit zu erzählen, als an dieser großartigen Sozialhilfe-Empfängerin. Die erzählt der noch mit, weil sich das einfach ereignet hat, aber das Drama der Armut, das sich dort abspielt, das will der nicht haben, das stört den. S: Die Papageien-Szene berührt einen anderen Aspekt: Zu jedem Herrenwitz im Zusammenhang mit Vertretern gehört doch die Nummer 'Ehebruch' oder 'Verführung'. Das war aber viel stärker bei dieser Papageien-Rentnerin drin als bei der im klassischen Sinne schönsten Frau, dieser Sozialhilfe-Empfängerin. L: Du meinst das Zotige? S: Eher das Frivole. Diese Rentnerin hat doch immer so Backfisch-haft rumgequiekt, auch wegen der Wortspiele. M: Das war da tatsächlich alles zum ersten Mal sexuell konnotiert. Ein Film, der 'Die Blume der Hausfrau' heißt, ruft natürlich auch sowas wie 'Hausfrauenreport' auf, erstmal vom Titel her. S: Der Titel ist äußerst unglücklich, um nicht zu sagen: scheiße. Als Name für diese Staubsauger-Zusatzdüse ist der Begriff ganz lustig. Aber er stellt keine Verbindung zu den Hauptfiguren her. M: Und er hat nicht gerade gegen dieses Versprechen angespielt, das er mit dem Titel gibt und mit der Erwartung, die man an den Vertreterberuf hat. Nach vierzig Minuten dachte ich: Jetzt muß das Sexuelle aber mal bald kommen. Und dann kam es auch, aber es kam als Erwähnung, als verschüchterter Men's talk. Die jüngste und dann wirklich auch attraktivste Frau -es waren ja vor allen Dingen Frauen, die in dem Film auftraten- kommt tatsächlich erst sehr spät. Als ob er sich das aufspart, dieses zumindest latente oder subkutane Sexualinteresse. S: Du darfst die Vertreter nicht vergessen. Das sind ja auffallend virile Burschen. Wenn man sich diese Weihnachtsfeier anguckt: in dem Verkaufsbezirk wären auch andere Kaliber rumgelaufen. Der Film hat sich schon die Boy Group unter den Staubsaugervertretern ausgesucht. L: Die waren ja auch nicht unsympathisch. Das halte ich dem Film ja auch zugute, sein relativ großes Interesse an den Hauptfiguren, die Aufmerksamkeit, mit der er die ausstattet. Der mochte die. Und diese Zuneigung wurde irgendwie auch erwidert. Wenn die Vertreter auf der Weihnachtsfeier vor der Kamera rumkaspern, dann ist das eine ziemlich deutliche Vertrauenserklärung von beiden Seiten, etwas wie eine Abmachung: Ich haue euch nicht in die Pfanne, sondern erzähle etwas von der Lust, Vertreter zu sein. Die finden tatsächlich etwas wie Erfüllung oder einen Lebenszweck in ihrer Tätigkeit. M: Warum ist es notwendig, diese Abschlußfeier zu zeigen? L: Weil er diese männlichen Gesten unbedingt braucht, den Wettbewerb, das Siegen-Wollen und -Können. S: Das ist Team-Ideologie. Er muß zeigen, mit welchen Mitteln ein Team gebaut wird, nämlich wie im Sport. Entsprechend kommen die Vertreter auf der Feier wie softe Hooligans, wie Spießer-Hooligans rüber. Es geht um Gemeinschaftssinn. Den müssen die ja vor sich selber inszenieren, auch in Form von Ritualen. L: Und das war eigentlich noch relativ dezent. Der Filmemacher hätte das echt ausschlachten können. Aber ohne dieses gegenseitige Vertrauen macht man so einen Film auch nicht. Trotzdem ist mir immer noch nicht klar, was der Film eigentlich wollte. Der Film war in keiner einzigen Wohnung, die den Einsatz dieser hochtechnisierten Geräte gerechtfertigt hätte. Die hatten alle nicht mehr als fünf Quadratmeter Teppichboden in ihren Wohnungen. S: Darum geht es auch nicht. Man verkauft ein Sauberkeitsgefühl. In diesem Klisché-Fundus von Putzfimmel und deutscher Mentalität -speziell schwäbischer- ist der Film schon ganz gut zu Hause. Der verspricht einfach -insofern stimmt der Vergleich mit 'Deutschland privat'- das Eindringen in Privaträume. Das ist sein Spekulationsziel. M: Es gibt ja dieses Unbehagen bei uns, was ist das genau? Leute vorgeführt zu sehen, Leute ungeschützt zu sehen. Da werden ja tatsächlich Leute, die nichts dafür können, doppelt überrascht: einerseits vom Vorwerk-Staubsauger-Menschen, andererseits davon, daß da jetzt auch noch Kameramann und Tonmann auflaufen.Ich war überrascht davon, daß die meisten offensichtlich Lust hatten, vor der Kamera Sachen zu zeigen: der automatische Papagei und solche Sachen. L: War das denn etwas anderes als drollig? M: Vielleicht nicht, aber das kennt man doch aus dem eigenen Leben, daß es in solchen Situationen eine Art Produktions- oder Artikulationsdruck gibt. L: Ja klar, so wie es einen Voyeurismus gibt, gibt es auch einen Exhibitionismus, der in dem Film eine relativ große Rolle spielt, auch bei den Vertretern. Vor allen Dingen bei dem Champion hatte man das Gefühl, als ob der wirklich zu Hochform aufläuft. Die Vertreter haben wahrscheinlich mehr verkauft als ohne Fernsehteam. Weil die Macht dieser vier Leute, die da plötzlich mit einer großen Ausrüstung und dem Namen ZDF vor der Tür stehen, kaum jemanden dazu veranlaßt, seine Tür wirklich zu verschließen. Jeder, der ein bißchen eine exhibitionistische Ader hat, der läßt so ein Team rein und produziert sich auch.Und kauft dann am Ende einen Staubsauger weil er kein Spielverderber sein will. S: Dieser Film funktioniert einfach zum großen Teil über Sprache. Reden, reden, reden und glauben, was geredet wird. Brainwash auf allen Ebenen, im Verhältnis Kunde-Vertreter, im Verhältnis der Vertreter untereinander, zu ihrem Vorgesetzten auf dem Seminar und sogar zu sich selbst. Ständig geht es darum: Ich muß es glauben. Die Engländer und Amis sagen das doch auch so: 'I buy it' für 'Ich glaube es'. In unserem Kontext muß eben alles pseudo-wissenschaftlich daherkommen: Gummi, das sich auflöst; Fette, die Schmutz nach oben transportieren usw. . Nachdem du das 10 Minuten angehört hast, glaubst du das auch. Es stimmt ja wahrscheinlich auch die Hälfte. Das hat sich im Film immer wieder abgebildet, dieses 'Woran wir eigentlich glauben'. Aber um über eine logozentristische Rationalität nachzudenken, dazu brauche ich nicht unbedingt einen Film. M: Dadurch, daß der Film das Vertreter-Seminar hat und allgemein die Sprache der Leute relativ lang abbildet, bietet er Ansatzpunkte für ein analytisches Interesse. Man kann schon das Gefühl haben, der Film ist sich dessen bewußt, daß er so etwas leisten könnte. Aber dann verfällt er doch immer wieder spekulativ auf das Schlüsselloch. Eine unsauber festgelegte, nicht richtig erzählte Versuchsanordnung. L: Und genau das macht mich in dem Film so unglücklich, daß er seine Verfahren mixt und dabei formal undeutlich und inkonsequent wird: In den Wohnzimmern ist er fast immer Cinéma verité. Da hat man nie den Eindruck, das sei gestellt. Das ist durchaus aufmerksam beobachtet, mit einem klaren Blick der Kamera darauf, was den Film interessiert und was nicht. Die Grenzen für Schnittmöglichkeiten sind da auch eng. Aber eigentlich, mit diesen extrem stilisierten und inszenierten Geschichten wie dem Anfang und dieser Rechtsanwaltgeschichte, tut der Film so, als sei er ein Spielfilm. Er ermöglicht mir als Zuschauer im Grunde keinen Außenblick. Dem war wenig daran gelegen, etwas wie Umgebung zu zeigen. Es gab kaum Landschaft, es gab kaum Stadtbilder, so daß man wirklich hätte sehen können, was das eigentlich für Gegenden oder Stadtteile sind, durch die sich die Vertreter bewegen. Man war immer mitten drin im Privaten. S: Es gibt überhaupt sehr wenig filmische Passagen. Man stand immer direkt vor der Tür. Es werden keine Interviews geführt und der Film stellt sich seine Vertreter auch in keiner anderen Form zurecht. Ich hatte erwartet, daß die Kamera auch mal zu einem ins Auto steigt, bei einer längeren Wegstrecke, und daß dann das Plaudern anfängt. In so einer Situation würde sich das ganz von alleine ergeben, weil sowohl das Team als auch der zu Filmende sich langweilen würden. Solche Sachen sind aber in dem Film nicht drin. Der zeigt wirklich reine Arbeit. In dieser Hinsicht ist das sogar ein puristischer Film. L: Das finde ich im Grunde auch was Kostbares, daß der Film den Zuschauer zuschauen läßt. Aber der mußte das auch so machen, weil das nicht anders mit der Fiktion zusammengeht, die der zu bauen versucht. Der mußte relativ früh dem Zuschauer in irgendeiner Art Identifikation reinpacken. Wenn er Figuren über ihre Arbeit reflektieren läßt, direkt in die Kamera sprechend, dann hat er das nicht mehr. Es ging darum, zuzupacken und dicht dranzubleiben. Das ist etwas, was ich im Dokumentarfilm in den seltensten Fällen mag. Wobei es Themen gibt, wo das möglicherweise gerechtfertigt ist. Bei Filmen von Depardon oder von Wiseman gibt es ein klares Regelwerk, mit dem man als Zuschauer früh konfrontiert wird. Davon ausgehend findet man die Position des Filmemachers und bekommt eine Orientierung. Man kann sich zu dem was man sieht verhalten, man begreift es. M: Das ist eine Beobachtung, die man häufig bei Dokumentarfilmen machen kann, daß die sich darauf beschränken zu sagen: 'Wir stellen uns an eine Ecke und gucken, was passiert.'. Da wird eine Ideologie des prallen Lebens vermittelt: 'Das Leben wird uns den Stoff schon liefern, aus dem wir dann montieren.'. S: Das kann man aber auch wohlwollender ausdrücken: Da will einer einen Dokumentarfilm in der gern genommenen Art machen, wo man sich Figuren sucht, die einen durch ihre Welten führen sollen. Während man bei diesen Personen ist, sieht man gleichzeitig einen größeren Zusammenhang. Ich stelle mir vor, daß der Filmemacher hier sofort losgelegt hat und ohne weitere konzeptionnelle Arbeit einfach mitgegangen ist, nach dem Motto: Staubsaugervertreter filmen bedeutet, daß man automatisch ein Deutschlandbild erhält. Schnell merkt er, daß er bei den als Kunden in Frage kommenden Personen nicht die Bandbreite an Verhaltens-, Einrichtungs- und Sprechweisen bekommen würde, von der er ursprünglich geträumt hatte. Also sattelt er um, macht seine Führer, seine Medien zu Hauptfiguren, macht die Vertreter zu Helden. Damit entscheidet er sich für Fiktionalisierung, wobei er die reale Welt, das Außen, opfert oder zumindest ins zweite Glied rücken läßt. M: Aber die Grundrichtung des Films weist eben nach innen. Ganz am Anfang erzählt der Film doch sehr programmatisch diese Geschichte von der Schwierigkeit, über die Hausschwelle zu kommen. Er zeigt in einer langen Bewegung, wie er eine Frau bereits im Hausflur trifft und wie er dann langsam über deren Hausschwelle kommt und in diesen privaten Raum eindringt. Das ist schon ein initiatorischer Moment: 'Hey! Jetzt bin ich da drin! Und jetzt muß ich aber auch meinen Platz behaupten, in dem Raum! Jetzt bin ich im Flur, jetzt will ich noch weiter rein. Jetzt will ich noch an den nächsten Teppich ran.'. Die Kamera ist mit dem Verkäufer da und sie versucht den Verkäuferblick, vor allen Dingen, sobald sie in der Wohnung ist. Zumindest versucht sie dort, den Blick des Verkäufers eher zu unterstreichen als einen auf ihn zu werfen. S: Es müßte eigentlich um Aufmerksamkeit gehen, um Beobachtung, wie in einem Aufsatz: Wie verhalte ich mich, wenn ich zu fremden Leuten in die Wohnung komme? Was nehme ich wahr? Wie interpretiere ich das, was ich sehe? Mache ich mir einen Reim auf die Bewohner? M: Man bringt Gegenstände in Verbindung mit Leben, ja. L: Das sieht man in diesem Film aber nicht. Der analytische Blick der Vertreter in dem Augenblick, wenn sie sofort taxieren müssen -Was ist denn das für einer? Welchen Sprachduktus wähle ich? Mache ich einen Witz oder bin ich lieber ernst und korrekt?- : So etwas hätte ich gerne auseinandergenommen, daran hätte ich ein echtes Vergnügen gehabt. Leider hatte der Film nicht das geringste Interesse an so etwas. Das kommt nur einmal als sprachliche Aussage, als Zitat des Gebietsleiters vor, der das in dem Seminar kurz anspricht: wie die Blicke der Hausfrauen -anders als männliche Blicke- sofort die Fingernägel oder ähnliche Details beobachten. So etwas hätte ich gerne auch gesehen. S: Das ist ein Problem konzeptioneller Art: Du kannst kein Verkaufsgespräch führen, wenn neben dir eine Kamera steht, die in der Gegend rumschwenkt um Details zu filmen. Der Vertreter selbst darf sich seinen analytischen Blick ja auch nicht anmerken lassen. Der darf nicht wie der Sezierer da reinkommen. Kamera und Vertreter mußten selber ein Team bilden, mußten für den Kunden als Einheit auftreten. Sonst springt der Vertreter nach spätestens einem Drehtag ab. L: Was ist eigentlich mit dieser Metapher 'Teppichboden', die da die ganze Zeit eine Rolle spielt, also mit diesem Staub? M: Privatheitsablagerungen. L: Das wäre ein interessanter Begriff! Dazu hätte ich im Kino Lust gehabt Ideen zu haben. Das gibt es in dem Film nicht, da werde ich gleich mit irgendeinem skurrilen Gesicht konfrontiert und soll lachen. M: Bei diesem Film wird sowas wie Kleinbürgertum erzählt und man hat das Gefühl, im Grunde wird in jeder Einstellung bestätigt, wie solche Leute leben. Die Lacher, die es im Kino gab, sind bestätigende Lacher gewesen. Das hat mich unglaublich gestört, auch an mir selber, daß man sich über etwas amüsiert, was man kennt und wieder bestätigt findet. L: Ja, es wird gekichert über etwas, das man schon immer peinlich gefunden hat. M: Der Film gibt einem nicht das Gefühl, daß man etwas wirklich Neues, eine Einsicht über Vertreter, über Staubsauger, über Schwaben oder sonstwas erzählt bekommt. Was man normalerweise beim Dokumentarfilm haben kann und was an ihnen interessant ist: man findet etwas, das man vorher noch nicht wußte. Das beinhaltet nicht nur eine spezielle Information, sondern immer auch eine größere, breitere Bedeutung. Filme wie die von Farocki, Wiseman oder Depardon versuchen, strukturelles Wissen zu vermitteln. L: In 'Die Blume der Hausfrau' dagegen hat es nur die Behauptung gegeben: 'Ich mache eine Art Italo-Western mit Vertretern.'. Da verliere ich sofort die Lust. Ich habe den Film 90 Minuten lang mit einem absoluten inneren Widerstand gesehen und habe das Publikum fast gehaßt für jeden Lacher, den es da zustande gebracht hat. Gleichzeitig fragt man sich aber -man sitzt da im Kino, drumherum lachen alle-, was mit einem selbst falsch ist, daß man an diesem Vergnügen der Leute nicht teilhaben kann. Trotz des Vérité-haften, das der Film sich weitgehend gibt, trotz dieser Dauerstimulierung eines Authentizitätsthrills, die der auch in seinen inszenierten Teilen betreibt, hat der bei mir zu keinem Gedanken geführt, zu keiner Idee. Und ich weiß immer noch nicht, wie ich diesen merkwürdigen Blick auf die Kundenwelt nennen soll. S: Denunziation? L: Ja, oder? Auch wegen der Indiskretion, die damit verbunden ist. Wobei natürlich ein Dokumentarfilm immer indiskret ist und immer auf einen Voyeurismus spekuliert beim Zuschauer. Ich finde, es ist so leicht, einen Film über Kleinbürger zu machen, weil die sich einfach kaum zur Wehr setzen und weil die auch die Aufmerksamkeit, der sie da gerade mal zuteil werden, oft zu schätzen wissen und sich dann offenbaren. Dagegen ist es viel schwieriger, einen Film über Macht oder Machtverhältnisse zu machen. Ein solches Bemühen beispielsweise über das Leben von Lobbyisten in der Umgebung des Bundestags sieht man relativ selten. ================================================================================ /* http://www.snafu.de/~gloria/teilnehmer/kino/kino1.html (© bei den Autoren) */ ________________________________________________________________________________ no copyright 1999 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org