________________________________________________________________________________ Die Mitternachtssonne von AOL Time Warner Felix Stalder 11.01.2000 Schiere Größe allein wird sie über die Runden bringen. Im Sperrfeuer der Medienberichterstattung über die Fusion von AOL und Time Warner brachte es die Financial Times auf den Punkt, indem sie schrieb, "schiere Größe allein wird AOL Time Warner über die Runden bringen". In anderen Worten, wie auch immer die neue Medienlandschaft aussehen wird, so wird das neugeschaffene Konglomerat schon allein durch sein Gewicht die Entwicklung dominieren. Definitionsgemäß wird es den Status quo repräsentieren. Konvergenz, die Fusion aus Internet und Fernsehen, wird damit Realität, nicht weil sie "unvermeidbar" oder "technisch überlegen" wäre, sondern weil mit 360 Milliarden Dollar Marktwert und 100 Millionen zahlenden Empfängern (zählt man alle Dienste zusammen) Überraschungen, auch auf globaler Ebene, ausgeschlossen sind. Der Lauf der Dinge kann in absichtsvoller und vorhersehbarer Weise gestaltet werden. Das ist, wie wenn ein Elefant in einen kleinen Teich springt und man vorhersagt, dass der Wasserstand ansteigen wird. Die Zukunft wird zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Doch was wird prophezeit? Sicherlich nicht der Triumph der neuen interaktiven Medien über alle Massenmedien, wie die meisten Kommentatoren enthusiastisch schrieben. Eine solche Interpretation ist ebenso absurd, als würde man behaupten, dass mit Clinton, Blair und Schröder die alten 68er-Revolutionäre endlich an die Macht gekommen wären. Obwohl es wahr ist, dass einige Kabinettsmitglieder geraucht und, ja, auch inhaliert haben, so haben sie während des Marsches durch die Institutionen soviel von ihrer möglicherweise radikalen Vergangenheit eingebüßt, dass sie, als sie schließlich an die Macht kamen, von dem Establishment, das sie einst zu bekämpfen schienen, ununterscheidbar wurden. Vor wenigen Jahren wurde das Internet noch als Bedrohung der alten etablierten Medien gesehen. Doch nun, da die größte Internetfirma den größten Massenmedienkonzern übernimmt, wird es klar, dass der Schlüssel zum Erfolg nicht Rebellion sondern Konformität war: die nahezu vollkommene Aneignung der Kultur der Massenmedien. Für AOL ist das Internet nie mehr als der allergeläufigste Übertragungskanal gewesen. Leichte Benutzbarkeit, in technischer Hinsicht aber auch, was die Inhalte angeht, war ihr wichtigstes Anliegen. Die Vermarktung von Augäpfeln und nicht das "Empowerment" der User hat AOL groß gemacht. Nun, mit Zugang zu 13 Milllionen Haushalten, haben sie endlich den fetten Übertragungskanal, durch den sie hochintensive Unterhaltungsdienstleistungen pumpen können, mit einem dürren "Rückkanal", um all jene Kreditkartennummern einzusammeln. In den Händen von AOL wird das Internet zu einem Shopping-Kanal auf Steroiden. Und indem Time Warner die ach-so berauschenden Möglichkeiten der "interaktiven" Medien bewerben wird, ist sichergestellt, dass alle ihre Steroide mögen werden. Die Prophezeiung der AOL-Fusion lautet, dass alles gleich bleiben wird, nur viel, viel besser. Prozac für die Massen. Im neuen Reich wird die Sonne nie untergehn, sie wird auf uns niederscheinen, immer und überall, auf jedem Channel, den wir öffnen. Und das Licht wird so hell sein, dass wir Sonnenbrillen tragen müssen, sogar um Mitternacht. http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/glosse/5668/1.html ================================================================================ Kurzschlüsse Timothy Druckrey 12.01.2000 Die vorgeschlagene Fusion von AOL und Time Warner repräsentiert einen riesigen Sprung zurück ins 20.Jahrhundert "Das Projekt der Moderne beruhte auf Waffen- und Medientechnologien ... umso besser kleidete es sich in eine kleinliche Phrasendrescherei von Demokratie und der Kommunikation des Konsens". (F. Kittler, Anm. d.Red.: Rückübersetzt aus dem Englischen) In seinem Buch "The Media Monopoly" (1983) lieferte Ben Bagdikian eine Vorausschau und Einschätzung der Ereignisse der letzten Jahre. Im ersten Kapitel des Buches schrieb er: "Glücklicherweise kontrolliert nicht eine einzige Firma alle Massenmedien in den Vereinigten Staaten. Zugleich geht aber etwas vor sich, das in diese Richtung deutet. Wenn Übernahmen und Fusionen großer Unternehmen in der derzeitigen Geschwindigkeit weitergehen, dann wird in den neunziger Jahren eine gigantische Firma alle größeren Medien kontrollieren". Die kritische Medienanalyse von den sechziger bis zu den achtziger Jahren konzentrierte sich auf die konvergierenden, manche würden sagen: kollabierenden Besitzverhältnisse der Mainstream-Medien in der Form großer multinationaler Konglomerate (verwiesen sei auf die Arbeiten von Herbert Schiller, Hans Magnus Enzensberger, Armand Mattelar und vieler anderer). Diese Kritik sah die Verbindungen zwischen Marketing und Medienbeherrschung als zentral an, um sich die Fernsehindustrie zu unterwerfen (die noch als öffentliches Gut gesehen wurde), was dazu führen würde, dass immer weniger Information und immer mehr Unterhaltung produziert werden würde. Diese komplexe Geschichte ist das Vorspiel zu den alles in den Schatten stellenden Firmenfusionen der letzten Tage, Monate und Jahre im Bereich der Telekommunikation, Medien und Internet-Technologien. Steve Case und Richard Parsons, Ted Turner und andere von AOL und Time Warner fanden die großartigsten Begriffe: "ein definierendes Ereignis"; "ein entscheidender Wendepunkt"; "ein historischer Augenblick"; "diese Fusion wird die nächste Internetrevolution auslösen"; " es geht nicht um Technologie, sondern darum, das zu einem Massenmedium zu machen, das zum Bestandteil der täglichen Gewohnheiten der Konsumenten wird"; "wir wollen nicht, dass AOL ein Ort ist, zu dem Leute hinkommen, um von da aus woanders hin zu gelangen, wir möchten den "integrierten Konsumenten" schaffen. Deshalb ist der Besitz von Medienmarken von ultimativer Bedeutung". Dieses erstaunliche Szenario, ganz so, wie von Bagdikian vorhergesagt, bildet im Zusammenhang mit AOLs zahlreichen strategischen Partnerschaften (Bertelsmann, Public Broadcasting Service, etc.) und Interessen eine Wasserscheide im Verhältnis zwischen organisierten und Open-Source-Medien und ist sicherlich essentiell für die Zukunft der Kommunikation. Doch die vorgeschlagene Fusion repräsentiert auch etwas, das man als riesigen Sprung zurück ins 20.Jahrhundert sehen muss. Steve Case mag sein Unternehmen an der Pforte zum "Internet-Jahrhundert" sehen, doch es wird beladen mit einem aufgeblasenen Archiv alter Medien in die Zukunft stapfen, und seine Hoffnungen werden auf Fiberglaskabeln beruhen, deren Markt marginal, komplex, teuer und im Großen und Ganzen auf Städte begrenzt bleiben wird. Und das noch dazu, wo die gegenwärtige Entwicklung eigentlich auf kabellose mobile Geräte als Übermittlungssysteme der Zukunft verweist. Wie die beiden Systeme von AOL und Time Warner sich nach vollzogener Fusion entwickeln werden, wird uns sehr viel darüber erzählen können, wie die Dominanz zwischen realen und möglichen Märkten aussehen wird. Wenn das höchst profitable Medienimperium von Time Warner von der potentiellen Profitabilität von AOL verschluckt werden kann, dann verweist das auf einen Trend (um an eine Analyse von Alan Greenspan zu erinnern), demzufolge virtuelle ökonomische Versprechen, die auf vagen Prognosen beruhen, überreichlich belohnt werden. Sicherlich sind die "integrierten Konsumenten" hierbei das zentrale Thema. Die Vorteile, die Case für seine User ausmalte, seien, in dieser Reihenfolge, "Unterhaltung", "Einkaufen" und "Kommunikation". Im "integrierten Environment" solcher potentiell geschlossenen Systeme ist die weitgestreckte Metapher der "endlosen Möglichkeiten" eher eine Art Zwangsvollstreckung, eine Abschreckung vor "etwas anderem da draußen". Das könnte leicht dazu führen, dass der offene Zugang zu "Markennamen" und zu nichts weniger als Informationen, welche sich außerhalb der Besitztümer von AOL Time Warner befinden, nicht mehr möglich sein wird. Schließlich ist AOL jetzt bereits ein geschlossenes System, das Information filtert und organisiert, und das nicht als Förderer des Webs als Massenmedium verstanden werden kann, sondern als ein Dienst, der das Internet als Themenpark anbietet. Dies ähnelt wiederum sehr Time Warners reduzierendem thematischem Zugang zu "News", wie man an den stark begrenzten jüngsten Ausgaben von Time Magazine und an der erstaunlich limitierten Berichterstattung über internationale Ereignisse durch CNN erkennen kann. Nichtsdestotrotz wird der "integrierte Konsument" zweifellos das Publikum für diese Art von kurzgeschlossener Einbahnstraße eines alle Zwecke umfassenden Massenmediums sein, das seine abgeleierten, vom 20.Jahrhundert übrig gebliebenen Inhalte unter die Leute bringen will. Natürlich ist die groteske Idee, dass man so etwas wie einen festen Bestand an Inhalten kaufen kann, kaum mehr als eine reaktionäre Idee, die mit rhetorischen Exzessen bemäntelt wird. Von einer weiteren, in einer langen Serie anderer Fusionen stehender Fusion als "revolutionär" zu sprechen, ist entweder blinde Ignoranz oder arroganter Pomp, trotz des ganzen finanziellen Spektakels der Transaktion. Besorgniserregender als die eher offensichtlichen Themen, welche durch das Zusammengehen von Inhalts- und Zugangsversorger aufgeworfen werden, ist die unheilschwangere Zentralisierung von Netzwerk-Informationsdiensten parallel zu der in ihren Anfängen stehenden Open-Source-Bewegung. Mit dem offensichtlich mächtigem Einfluss auf Zugangstechnologien (Kabel), Schnittstellentechnologien (Netscape, Instand Messenger) und ebenso großer Verfügungsgewalt über Inhalte (Nachrichten, Finanzinformation, Musik, Bücher) sind die Chancen für ein offenes Netz angesichts solcher Konsolidierung ganz klar eingeschränkt. Das Microsoft-Antikartellverfahren hat glasklar gemacht, dass ein solcher Marktmuskel Innovation effektiv behindert. Bei der vorgeschlagenen Fusion zwischen AOL und Time Warner geht es aber nicht um Betriebssysteme und Browser, sondern darum, wie Inhaltsressourcen ihren Weg in den öffentlichen Raum finden werden. Die Gefahr ist, dass, wie Bagdikian schon 1983 schlussfolgerte, "unverantwortliche, exzessive Profite weiterhin die Vitalität einer äußerst wichtigen Institution schwächen werden" und dass "aalglatte finanzielle Manipulatoren ihre immer frömmlicheren Reden wiederholen werden, während sie zugleich dem öffentlichen Bewusstsein nur mit Verachtung begegnen". Übersetzung: Armin Medosch http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/5676/1.html ================================================================================ Fusion von AOL und Time Warner bedroht Demokratie und Meinungsfreiheit Florian Rötzer 13.01.2000 Die International Federation of Journalists fordert Stärkung der redaktionellen Unabhängigkeit Die International Federation of Journalists (IFJ, die weltweit größte Journalistenorganisation, hat angesichts der Fusion von AOL, dem größten Internetprovider, und Time Warner, dem größten Medien- und Unterhaltungsunternehmen, gewarnt, dass dadurch demokratische Werte und Meinungsfreiheit bedroht werden, wenn man nicht Schritte unternehme, um die redaktionelle Unabhängigkeit von Firmeninteressen zu sichern. Aiden White, der Generalsekretär der IFJ, meint, dass die Fusion nicht nur die Bereiche der Unterhaltung, der Kommunikation und der Wirtschaft verändern werden, sondern dass sie auch Demokratie, Pluralität und die Qualität der Medien bedrohen könnte: "Wir beobachten jetzt die Dominanz einer Handvoll von Unternehmen, die die Information und die Formen kontrollieren, wie diese zu den Menschen kommt." Gefordert wird von der IFJ, dass die Bereiche der Informationsherstellung und der Informationsdistribution unterschiedlich geregelt werden müssten, da sonst die kommerziellen Interessen die Inhalte bestimmen könnten, die nach ihren Marktstrategien bestimmt werden. Die Fusion ist jedoch auch ein Anlass, allgemeine Tendenzen und Missstände zu kritisieren. So behauptet die IFJ, dass die Medienunternehmen die Redaktionsbudgets und die sozialen Standards kürzen, um sich der globalen Ökonomie anzupassen: "Überall wird die soziale Grundlage des Journalismus angegriffen. Stellen werden heruntergestuft und die Belegschaft steht unter einem ökonomischem Druck, der ihre tägliche Arbeit beeinflusst. Die Stabilität und Unabhängigkeit der Medien werden davon bedroht." Obgleich nach einer unlängst durchgeführten Studie der journalistische Sektor weltweit expandiere, werden viele der neuen Jobs lediglich für freie Journalisten geschaffen, die leichter ausbeutbar und unter Druck zu setzen sind. Noch grundsätzlicher fürchtet man, dass die Fusion des Internet- und des Mediengiganten zu einer Vergrößerung der Kluft zwischen den "information rich" und den "information poor" führen könne: "Jetzt gibt es ein Unternehmen, dass CNN zu mehr als einer Milliarde Menschen bringen kann, doch fast die Hälfte der Weltbevölkerung hat noch immer keinen Zugang zu einem Telefon. Die Informationskluft zwischen den Reichen und Armen ist bereits inakzeptabel und könnte sich mit einer größeren Konzentration der Technologie und der Informationsressourcen in den reichen Ländern des Nordens weiter verschlimmern." Das ist wahrscheinlich ein wenig weit hergeholt. Gefährlich ist aber sicherlich die zunehmende Machtkonzentration im Medienbereich, da die Fusion von AOL und Time Warner sicher nur der Beginn einer Welle von weiteren Fusionen weltweit agierender Medienunternehmen darstellt. Eine der gefahren solcher neuen Mammutunternehmen ist, dass sie wegen ihrer vielfältigen Interessen in unterschiedlichen Bereichen etwa über Aktivitäten anderer Unternehmenszweige nicht mehr unabhängig berichten werden. Aber natürlich hat die redaktionelle Unabhängigkeit schon immer dann ihr Ende gefunden, wenn das Geld nicht mehr stimmt. http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/5682/1.html ________________________________________________________________________________ no copyright 2000 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org