________________________________________________________________________________ [kürzlich sagte jemand im Fernsehen, die Kosten der gesamten aktuellen UN-Mission im Kosovo entsprächen den Kosten eines halbens Tages Bombardements.] Interview am Morgen vom Deutschlandfunk Ein Jahr nach dem Beginn der NATO-Luftangriffe gegen Serbien - Gespräch mit Rudolf Scharping, Bundesverteidigungsminister, SPD (24. März 2000, 07.15 Uhr) Meurer: Am Telefon bin ich verbunden mit Rudolf Scharping, Bundesverteidigungsminister. Guten Morgen Herr Scharping! Scharping: Guten Morgen. Meurer: Wie haben Sie denn diesen Abend, diesen Tag des 24. März heute vor einem Jahr in Erinnerung? Scharping: Als den Tag einer bitteren, aber unausweichlichen Konsequenz und mit großen Sorgen, ob das politische Ziel erreicht würde und vor allen Dingen ob wir die Soldaten gesund wieder nach Hause bringen könnten. Meurer: Was hat es denn für die Bundeswehr bedeutet, zum erstenmal seit dem Zweiten Weltkrieg wieder in einem Kampfeinsatz zu sein? Scharping: Von heute aus betrachtet sind Politikerinnen und Politiker und auch die Angehörigen der Bundeswehr stolz darauf, dazu beigetragen zu haben, dass die systematische Vertreibung, der mittlerweile vierte Vertreibungskrieg auf dem Balkan seit 1990, erfolgreich beendet werden konnte und dass 1,4 Millionen vertriebene Menschen in ihre Häuser und Dörfer zurückkehren konnten, soweit es die noch gab. Wir sind auch stolz darauf, dass diese Menschen den Winter überlebt haben, unter freilich schwierigen Bedingungen. Wir wissen, es ist noch sehr viel zu tun, bis das Kosovo wieder aufgebaut ist, bis die Menschen wieder eine Bereitschaft zum friedlichen Leben entwickelt haben, zur Aussöhnung und Zusammenarbeit. Es ist auch noch sehr viel zu tun, um in diesem Sinne Gewaltbereitschaft zu mindern und Gewalt zurückzudrängen. Meurer: Es hat ja verhängnisvolle Fehltreffer gegeben. Wird der Stolz dadurch gemindert? Scharping: Ich hatte schon im deutschen Bundestag im letzten Jahr gesagt, dass sich in diesen Stolz auf das erreichte Ziel natürlich auch die Trauer mischt, dass wir mitzuverantworten haben unbeabsichtigte, deswegen aber nicht minderschwere Folgen für einen Teil der Zivilbevölkerung. Das gehört zur Wahrnehmung von Verantwortung dazu. Im Vordergrund steht für mich und für viele andere, die ich in diesen Tagen wegen dieses Themas spreche, allerdings ein glaubwürdiges Engagement, das seine Fortsetzung finden muss in der alltäglichen und durchaus harten, auch risikoreichen Friedensarbeit, wie sie jetzt im Kosovo und auf dem Balkan zu leisten ist. Meurer: Haben Sie den Eindruck, dass diese Fortsetzung im Augenblick im Kosovo nicht unbedingt gewährleistet ist? Scharping: Es ist unverändert schwierig, einmal wegen der Gewaltbereitschaft auf Seiten der Albaner wie auch der Serben. Diese Gewaltbereitschaft wird erst abnehmen, wenn es eine befriedigende wirtschaftliche Entwicklung, wenn es zivile Strukturen, ein funktionierendes Polizei- und Justizwesen gibt und damit den Extremisten auf beiden Seiten Schritt für Schritt der Boden entzogen wird. Es ist auch schwierig wegen der schlichten Tatsache, dass Milosevic unverändert im Amt ist und eine unveränderte Politik der Aggression und der Eskalation verfolgt, jedenfalls entsprechende Entwicklungen provoziert und auch missbraucht, um seine innenpolitische Macht zu stabilisieren. Meurer: Es gibt ja harsche Kritik am zivilen Wiederaufbau, an den Vereinten Nationen, an der KFOR im Kosovo. Muss sich der Westen vorhalten lassen, mit weitaus weniger Engagement jetzt im Kosovo zu helfen? Scharping: Das würde ich persönlich so nicht formulieren. Der Westen hat sehr viel getan, die Bundesregierung beispielsweise jedes Jahr beachtliche Beträge von 300 Millionen D-Mark für den Stabilitätspakt zur Verfügung gestellt, im Kosovo enorme humanitäre Hilfe geleistet. Ich bin beispielsweise sehr stolz auf das, was die Soldaten auf diesem Felde tun, beim wieder in Funktion bringen von Krankenhäusern, Wasserversorgung, Elektrizitätsversorgung, bei den über 660.000 Essen, die man insbesondere an Familien und Schulkinder ausgegeben hat, beim Wiederherrichten der Schulen und mancher Kindergärten und bei vielem anderen. Auf der anderen Seite müssen diese Anstrengungen aber konsequent fortgesetzt werden und dort, wo durchaus beachtliche Mängel bestehen, müssen diese so rasch wie möglich geschlossen werden. Das ist eine gemeinsame Verantwortung, mit der die Glaubwürdigkeit unseres Engagements bei Nutzung militärischer Möglichkeiten erst wirklich eingelöst werden kann. Da teile ich manche kritische Bemerkung, äußere sie ja auch selbst. Vor diesem Hintergrund scheint mir ein anderer Hinweis auch noch angebracht oder notwendig. Ich habe vor einem knappen Jahr im deutschen Bundestag die Sorge geäußert, dass die alltägliche Friedensarbeit eine geringere Aufmerksamkeit, vielleicht sogar eine geringere Unterstützung finden würde als das sehr spektakuläre der militärischen Auseinandersetzung. In dieser Sorge fühle ich mich leider bestätigt. Das macht mich traurig, aber auf der anderen Seite auch entschlossener, für diesen Teil der wenn Sie so wollen Nachsorge nach einem militärischen Konflikt und beim bauen dauerhafter ziviler und friedlicher Grundlage dieselbe Entschlossenheit und Entschiedenheit an den Tag zu legen wie in den Zeiten, die ja eine sehr schwierige und herausfordernde Belastung waren: nicht so sehr für mich alleine, vor allen Dingen für die eingesetzten Soldaten und ihre Familien. Meurer: Diese Entschlossenheit, von der Sie sprechen, gilt sie auch für den Fall, der alles andere als unwahrscheinlich ist, dass der jugoslawische Präsident Milosevic den Befehl gibt, dass serbische Truppen Montenegro besetzen? Scharping: Ich will darüber nicht spekulieren, aber man muss auf solche Fälle vorbereitet sein. Meurer: Die NATO ist darauf vorbereitet? Scharping: Ich denke schon, denn Sie wissen, dass wir in Montenegro als einem anderen Teil der Bundesrepublik Jugoslawien ebenfalls eine demokratisch gewählte Regierung haben, die übrigens mit der Europäischen Union, mit den Vereinten Nationen, mit dem Westen überhaupt durchaus offen kooperiert. Da ist auch nicht alles Gold was glänzt, aber eine demokratisch gewählte Regierung ist innerhalb dieses Belgrader Regimes mit seinen Polizeistaat-Methoden durchaus ein Anknüpfungspunkt, der ja auch zu der Hoffnung berechtigt, dass die demokratische Opposition es irgendwann schaffen wird, Milosevic aus dem Amt zu bringen: lieber heute als morgen, aber wir wissen auch um die Schwäche und Zersplitterung dieser demokratischen Opposition. Milosevic aus dem Amt zu bringen, das sollte dem serbischen Volk zur Ehre gereichen und seinen Rückweg nach Europa ganz entscheidend erleichtern. Meurer: Ein Jahr nach Beginn der NATO-Luftangriffe gegen Jugoslawien. - Das war ein Gespräch mit Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping, das wir vor der Sendung aufgezeichnet haben. http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview-morgen/audio/i-000324.ram ________________________________________________________________________________ no copyright 2000 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org