________________________________________________________________________________ Jungle World 27/00 Humpi und Dumpi tun es Während selbsterklärte Gegenregierungen im Internet das andere Österreich simulieren, bereitet die Regierung die kommerzielle Nutzbarmachung des Netzes vor - das Internet als Medium der Opposition wird überschätzt. Von Hito Steyerl Statt auf Moorhühner schießt die österreichische Internetgeneration jetzt auf Mascherln, die notorischen Fliegen des Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel. Dieser hatte die österreichische Internet-Community schon kurz nach Amtsantritt gegen sich aufgebracht, als er abfällig davon sprach, dass der gesamte Protest gegen die Regierung aus frustrierten Alt-68ern und Leuten aus der Internetgeneration bestehe. Diese reagierte prompt und richtete über 240 regierungskritische Websites ein. Doch die Euphorie der Aktivisten ist verpufft. Anschaulicher könnten die Netzaktivisten ihre Hilflosigkeit gar nicht demonstrieren als mit dem Spiel in der virtuellen Mascherl- Schießbude. In der Anfangsphase des Internet-Widerstandes wurden solche Phänomene noch als regressiv angeprangert - es ging auch anders. »Spezielle Schießstände, die gleichzeitig als Übungsplätze für die Parteijugend dienen, werden helfen, die Lust auf Missbräuche in der Arbeitslosenversicherung und bei der Sozialhilfe abzubauen.« Solche und andere Ideen für das neue Regierungsprogramm hatten einfallsreiche Computer-Bastler der FPÖ untergejubelt. Dazu hatten sie deren Homepage kopiert, bestimmte Formulierungen über Volkstum und Familie präzisiert und Forderungen wie die nach Zwangsarbeit für Illegale hinzugefügt. Die FPÖ war empört über diese Attacke und verklagte die »Cyberterroristen« wegen Wiederbetätigung. Die Aktion war zweifellos lustig, doch auch sie blieb dem grundsätzlichen Problem postmoderner Widerstandsformen verhaftet, nämlich der bloßen Interpretation der Gegebenheiten. Anstatt offensiv eine politische Veränderung anzustreben, wird versucht, Begriffe umzudeuten. Die Bedeutung des Internet als Medium politischer Opposition wird in Österreich maßlos überschätzt. Zwar verlief ein beträchtlicher Teil der Mobilisierung für die Protestdemos im Frühjahr über die diversen Widerstands-Sites. Das verführte einige zu dem Glauben, das Internet diene nunmehr auch in Österreich als Vehikel der Revolution. Diese Funktion wurde dem Medium auch schon während der Studentenproteste in Belgrad zugeschrieben. Die österreichische Regierung sitzt aber trotz dieser Vorhersagen ziemlich fest im Sattel, und von der angekündigten Info-Revolution ist nichts zu spüren. Die politischen Heilserwartungen, die an das Medium geknüpft werden, müssen hintangestellt werden - zu Gunsten einer differenzierteren Analyse effektiver Politikformen im Netz. Die Regierungsparteien wirken im virtuellen Raum bislang eher überfordert. Nicht umsonst wird folgender Witz kolportiert: »Wieso tun Jörg und Wolfi sich so schwer im Internet? Weil dort so viele Links sind.« Schüssel musste eine herbe Niederlage einstecken, als er im April dieses Jahres die Computermesse IFABO eröffnete. Ausgerechnet die offiziell geladenen Unternehmer begrüßten ihn mit einem Pfeifkonzert und entrollten eingeschmuggelte Plakate (»Die Internetgeneration lässt grüßen«). Daraufhin geriet der Bundeskanzler in Verwirrung und behauptete, nie habe er über die Internetgeneration geschimpft noch habe er es so gemeint. Auch ein anderer Black-out wird derzeit im Netz verhandelt. Hilmar Kabas, Landesobmann der Wiener Freiheitlichen, konnte sich vor kurzem nicht mehr genau daran erinnern, den Bundespräsidenten Klestil »Lump« genannt zu haben. Stattdessen behauptete er, irgendwas wie »Hump« oder »Dump« gemurmelt zu haben. Die FPÖ reagierte sofort und versuchte, alle Domain-Namen aufzukaufen, die man damit in Verbindung bringen könnte, etwa lump.at, dump.at und sogar lumpi-und-dumpi.at. Sie kündigte an, dort »die Internetgeneration überraschen zu wollen«. Mittlerweile hat Kabas dort tatsächlich eine Homepage, auf der er grinsend zwei blaue Elefanten knutscht. Sie heißen Humpi und Dumpi und werden als neue F-Maskottchen vorgestellt. Plump ist auch der Netzauftritt der Regierung. Schwarz-Blau kündigt unter dem Namen »eAustria« die Digitalisierung »historischer Volksliedarchive« an und verliert sich dann in endlosen Tabellen. Versuche des Journalisten Simon Hadler, die zuständigen Politiker per E-Mail über den Sinn der geplanten »Digitalisierungsoffensive« zu befragen, scheiterten am Schweigen der Macher. Die Opposition ist mit einem ganzen Sammelsurium von Gegenregierungen vertreten, die virtuelle Visionen eines »anderen Österreich« darstellen sollen. Das erträumte multikulturelle und nicht-rassistische Österreich wird dort im Netz simuliert. Ein Großteil der Websites des so genannten Widerstands wird allerdings gar nicht mehr aktualisiert. »Fun und Fantasie« der Internetgeneration, mit denen der symbolische Hegemonialkampf gegen die Rechten bestritten werden sollte, sind unübersehbar erlahmt. Auch wenn die Rechten im Hantieren mit der digitalen Oberfläche noch nicht die rechte Übung haben - sie sitzen am längeren Hebel. Die Regierung hatte auch nie vor, sich ausgerechnet auf den Feldern populärkultureller Signifikanzproduktion mit der Opposition herumzuschlagen. Während diese von Pop, Mikropolitik, Internet und den Schützengräben antihegemonialer Kämpfe schwärmte, verwendet die Regierung ihre eilends bereitgestellte »Computermilliarde« für die Internet-Anbindung der Landbevölkerung und für die Schaffung einer Infrastruktur für die Kommerzialisierung des Netzes. Wie auch in anderen Bereichen setzt die Regierung keineswegs auf das Erringen symbolischer Hegemonie, sondern auf neoliberalen Strukturumbau: Der größte Teil der staatlichen Förderung fließt nicht etwa in die Finanzierung innovativer Netzinhalte, sondern in die Computerausbildung von Schülern. Auch eine auf österreichische Verhältnisse zugeschnittene Neuauflage der Green-Card-Debatte flammt im Zusammenhang mit den Internet- Bemühungen der Regierung auf. Sogar in Kärnten fordert die Industriellenvereinigung den Import von Informatikern aus Slowenien und Kroatien. Der Widerspruch des Landeshauptmanns Haider ist ungewohnt verhalten. Und in der Steiermark wünscht sich die Industrie sogar »Humankapital« aus dem Alpen-Adria- Raum. Die tatsächlichen politischen Schwerpunkte im und um das Internet werden also weniger in der Erzeugung kurzfristiger symbolischer Effekte liegen, sondern in globalisierter Arbeitsmarktpolitik. http://www.jungle-world.com/_2000/27/30a.htm ________________________________________________________________________________ no copyright 2000 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org