________________________________________________________________________________ Jungle World 28/2000 Wert und Kontrolle Die »Berliner Erklärung« gegen digitale hate speech nutzt niemandem. Langfristig geht es dem Staat um die Eingemeindung des Internet in seinen Wirkungskreis. Von Ulf Treger Die moralischen Mächte des normativ Guten und politisch Korrekten marschieren auf, um in den Problemzonen der Online- Welt Stellung zu beziehen. Aktivitäten lassen sich dabei auf verschiedenen Ebenen feststellen: Eine eher sanfte Variante war Anfang vergangener Woche in Berlin zu beobachten. Auf Einladung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, des Bundesjustizministeriums und des Simon Wiesenthal Center fand eine Konferenz gegen die »Verbreitung von Hass im Internet« statt. Geladen waren VertreterInnen von Sicherheitsbehörden, Internet-Wirtschaft und NGOs, um die Bekämpfung von digital verbreitetem Rassismus zu diskutieren. Dabei ging es um mehr, als sich über die wachsende Zahl von Web- Seiten mit nazistischer Propaganda zu empören: Das Abschlussdokument, die so genannte Berliner Erklärung, die vom Bundesjustizministerium vorformuliert wurde, ist vor allem ein Aufruf zur transnationalen Bekämpfung von »Hass«. Schon der aus dem PC-Hate-Speech-Vokabular importierte Begriff signalisiert die Ungenauigkeit der Kritik: Ohne Blick für gesellschaftliche Zusammenhänge sollen mediale Phänomene entlang moralischer Linien eingedämmt werden. Ziel dabei ist, verschiedene technische und politische Methoden zu etablieren, um »den Missbrauch des Internet« im Sinne eines »globalen Wertekonsens« zu verhindern. Spätestens hier taucht der Verdacht auf, dass das nicht nur geschieht, um die Webseiten einiger Neonazis aus dem Netz zu entfernen, sondern um allgemeine Kontroll-Standards durchzusetzen. Ein Dauerbrenner bürgerlicher Logik: die Gleichzeitigkeit von universalem Recht und disziplinierenden juridischen Regelungen, die sich mit ökonomischen und institutionellen Interessen verbinden und die postulierten Rechte unterlaufen. Das erwünschte »globale Bündnis zur Bekämpfung der Verbreitung von Hass« ist allerdings - das zeigten die Positionen der vertretenen Organisationen - noch in einiger Ferne. Zu unterschiedlich sind bislang die nationalen Definitionen von Meinungsfreiheit. Trotzdem wird mit dem Berliner Vorschlag für einen globalen Value & Control-Konsens damit begonnen, einen neuen transnationalen Ansatz der Netzpolitik zu etablieren, nachdem in der BRD in den letzten Jahren - mehr oder weniger erfolglos - ausprobiert wurde, mit nationalen Aktivitäten die Problemzonen des Internet anzugehen. Erinnert sei an frühe, eher experimentell einzustufende BRD-Alleingänge wie die peinliche Sperrung des linksalternativen niederländischen Providers XS4ALL wegen der dort gespeicherten Webseiten der Zeitschrift radikal. Einziger Effekt war die massenhafte solidarische Veröffentlichung der radikal-Seiten an allen möglichen anderen Stellen im Netz. Kleinlaut musste der Zensurversuch aufgegeben werden und das BKA Nachhilfe in den Grundlagen der Internettechnologie nehmen. Die bisherigen Ziele der repressiven deutschen Alleingänge lässt auch erahnen, gegen wen sich die moral majority auf dem Netz richten wird - gegen alles, was sich außerhalb der bürgerlichen Moral bewegt: Rechtsextremismus (Zündl-Homepage), Linksextremismus (radikal) und Pornografie (Compuserve-Seiten). Neben der Anti-Hass-Konferenz in Berlin wurden in den vergangenen Monaten auch weniger freundliche Aktivitäten bekannt, die beweisen, dass es mehr um control als um value geht: Der Europarat veröffentlichte im April den vage gehaltenen Entwurf einer »Convention on Cyber-Crime«. Aus aktuellem Anlass wurden Hacker-Attacken gegen die »Interessen von Wirtschaft und Regierungen« herangezogen. Die Konvention, so wurde stolz verkündet, sei das erste internationale Abkommen zur Bekämpfung von Internet-Kriminalität. Im gleichen Monat fand in Paris eine G-8-Konferenz gegen Internet-Kriminalität statt, die ohne greifbare Ergebnisse zu Ende ging. Aber auch hier wurden deutliche Töne angeschlagen: Nur durch eine starke Regulation, durch international tätige Sicherheitsorgane und allgemeingültige Rechtsnormen könne der Kampf gegen Cyber-Terrorismus erfolgreich geführt werden. Was das heißt, zeigte kürzlich die britische Regierung mit ihrem Entwurf für ein neues Überwachungsgesetz. Die geplante »Regelung der Ermittlungsgewalt« (RIP-Bill) ermöglicht die vollständige Kontrolle der elektronischen Kommunikationskanäle: Internet- Provider sollen dem britischen Geheimdienst vollen Zugang zu ihren Daten einräumen. Zur Begründung staatlicher Kontrollen werden gerne auch militärische Szenarien bemüht: In einem kommenden Cyberwar ermöglichten offene Informationsflüsse das Eindringen »terroristischer Hacker« in ökonomische und staatliche Kommunikationsstrukturen. Die westlichen Regierungen haben also erkannt, dass sie große Kraftanstrengungen unternehmen müssen, um den ach so gefährlichen Geist des Internet einfangen und zähmen zu können. Problematisch - und so erklärt sich die vorsichtige Zurückhaltung der Wirtschaft - ist dabei das Risiko, den ökonomischen Motor Internet zu blockieren. Bei der G-8-Konferenz wurde deshalb wie auf der Berliner Tagung an den Willen der Online-Industrie zur Selbstregulation appelliert. Das e-Business lässt sich aber mit moralischen Aufrufen, solange die eigenen unmittelbaren Interessen nicht tangiert sind - siehe Musikindustrie und ihre persönliche Problemzone MP3 -, nicht wirklich mobilisieren. Natürlich stellt sich durch die »Berliner Erklärung« die Frage, inwieweit ein informationelles anything goes, also die im Gegenzug oft geforderte Toleranz aller Webinhalte, vertretbar ist. Rechtsextremismus erlebt insbesondere in Europa eine Hausse und weiß die Möglichkeiten elektronischer Kommunikation zu nutzen. Ob aber rechte Online-Propaganda in größerem Ausmaß rezipiert wird, wie die in Berlin genannten Schreckenszahlen vermitteln sollen, muss bezweifelt werden: Nur weil jede Nazi- Dumpfbacke - wie andere Menschen in den westlichen Ländern auch - mittlerweile Zugang zum Internet hat, sollte man nicht das Bedrohungsvokabular eines »sprunghaften Anstiegs« benutzen. Die vom Verfassungsschutz in Berlin genannten Zahlen - 1996 ungefähr 30 rechtsextreme Seiten, heute ungefähr 500 - entsprechen den Zuwachsraten des gesamten Web. Die »Horrorzahlen« sind also nicht besonders stichhaltig. Aber darum geht es zumindestens den Sicherheitsorganen auch gar nicht. Kinderpornografie und (Rechts- ) Extremismus werden lediglich als Vehikel genutzt, um das Internet als Ganzes zu kontrollieren. Eine vorsichtige Liberalisierung wie bei der Nutzung von Kryptografie in Deutschland und den USA sind dabei kein Widerspruch, sondern zeigen den Willen, die wirtschaftliche Nutzbarkeit des Internet zu fördern. Bei jeder Entstehung eines neuen Mediums kommt es zu starken emotionalen Reaktionen. Die Gleichzeitigkeit von abscheulichen Schreckensmeldungen und absurden Heilsversprechungen, wie sie seit einiger Zeit im Zusammenhang mit dem World Wide Web aufgetaucht sind, lässt sich dadurch erklären. Auf einmal scheint dieses medial Fremde und Neue zu allem sozial Guten und Schlechten fähig zu sein. In diesem irrationalen Spannungsfeld lassen sich die negativen Aspekte nutzen, um hegemoniale Ansprüche der Kontrolle und des Verbots durchzusetzen. Das Internet verfügt als neues Medium über spezifische Eigenschaften, die es von anderen unterscheidet. Gleichzeitig stellt es aber ein Abbild der sozialen Realitäten dar. Es gibt hier nicht mehr Rassismus als sonst. Anders ausgedrückt: Nazis gibt es auch ohne das Web, und die Präsenz im Internet trägt nicht zu ihrer Vermehrung bei. Das ist kein Grund für Untätigkeit und Beruhigung. Dokumentation, Aufklärung und öffentliche Aktion sind bis auf weiteres geeignete Mittel antirassistischer Praxis. Firmen, die mit dem Verkauf nationalsozialistischer Propaganda nur den eigenen Interessen folgen wie amazon.com oder Barnes & Noble, sollten dabei ebenso angegriffen werden wie institutionelle Rassismen in staatlichen Organen, zum Beispiel dem Bundesjustizministerium. Bei der Diskussion um Inhalte im Netz sollte es nicht um bürgerliche values gehen, die sich schon immer mit ökonomischen und staatlichen Interessen verbunden haben, sondern darum, eigenes emanzipatorisches Wissen aufs Netz zu stellen und dafür zu sorgen, dass Informationen langfristig als Open Source und nicht als mehrwertschaffende Kapitalanlage begriffen werden. Neue Gesetze, transnationale Strafnormen und die Einrichtung einer internationalen Cyber-Polizei werden sich unmittelbar auf den Charakter des Internet auswirken. Die Überlegung, die Anonymität im Netz einzuschränken oder gar zu kriminalisieren, droht, alle UserInnen in ihren elementaren Rechten zu beeinträchtigen. Die Verbreitung so genannter illegaler Inhalte wird dabei kaum eingeschränkt werden können, dafür sind die technischen Strukturen des Internet (noch) zu schwer beherrschbar und die Interessen der einzelnen Regierungen und Interessensverbände (noch) zu weit auseinander. Wenn in der »Berliner Erklärung« gefordert wird: »Was offline verboten ist, darf auch online nicht erlaubt sein«, sind damit auch rechtsradikale Aktivitäten gemeint, aber eben nur zum Teil. Langfristig geht es um die Eingemeindung des Internet in den staatlichen Wirkungskreis. Solange sich das so problemlos verkaufen lässt, wird sich der ausufernde Kontrollwahn zu neuen Höchstformen entwickeln. http://www.jungle-world.com/_2000/28/05a.htm ________________________________________________________________________________ no copyright 2000 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org