________________________________________________________________________________ Über das Elend im Journalistenmilieu betrachtet unter seinen ökonomischen, politischen, sexuellen und besonders intellektuellen Aspekten und über einige Mittel, diesem abzuhelfen Die Schmach noch schmachvoller machen, indem man sie publiziert Ohne große Gefahr, uns zu irren, können wir behaupten, daß der Journalist in Frankreich nach dem Polizisten und dem Priester das am weitesten verachtete Wesen ist. Wenn auch die Gründe fur seine Verachtung oft falsche sind, die aus der herrschenden Ideologie stammen, sind die Gründe dafür, daß er vom Standpunkt der revolutionären Kritik aus wirklich verachtungswürdig ist und verachtet wird, verdrängt und uneingestanden. Die Befürworter der falschen Kritik können diese dennoch erkennen, und sich in ihnen. Sie kehren diese wirkliche Verachtung in eine nachsichtige Bewunderung um. So betet die ohnmächtige linke Intelligenz (von den "Temps Modernes" bis zum "Express") das angebliche "Kommen der Journalisten" an und die wirklich untergehenden bürokratischen Organisationen (von der sogenannten kommunistischen Partei zur UNJF) streiten sich eifersüchtig um ihre "moralische und materielle" Unterstützung. Wir werden die Gründe für dieses Interesse an den Journalisten zeigen, und wie sie positiv an der herrschenden Wirklichkeit des überentwickelten Kapitalismus teilhaben, und wir werden diese Broschüre dazu benutzen, sie eine nach dem anderen zu entlarven: die Auflösung der Entfremdung geht keinen anderen Weg als den der Entfremdung. Alle Analysen und Studien über das Journalistenmilieu haben bisher das Wesentliche vernachlässigt. Sie gehen nie über den Standpunkt der journalistischen Spezialisierung hinaus (Psychologie, Soziologie, Ökonomie) und bleiben so grundsätzlich falsch. Alle begehen das, was Fourier schon eine methodische Gedankenlosigkeit nannte, "da sie sich regelmäßig auf die Kernfragen bezieht", indem sie den totalen Standpunkt der modernen Gesellschaft ignoriert. Der Faktenfetischismus verhüllt die wesentliche Kategorie und die Details lassen die Totalität vergessen. Über diese Gesellschaft wird alles gesagt, nur nicht das was sie wirklich ist: eine Gesellschaft der Ware und des Spektakels. In ihrer Untersuchung "Die Erben - Die Journalisten und die Kultur" stehen die Soziologen Bourderon und Passedieu entwaffnet vor den wenigen partiellen Wahrheiten, die sie letzten Endes bewiesen haben. Und trotz ihres ganzen guten Willens fallen sie in die Moral der Professoren zurück, die unvermeidliche kantische Ethik einer "wirklichen Demokratisierung durch eine wirkliche Rationalisierung des Pressesystems", d.h.: der Presse des Systems. Während ihre Schüler wie Kravetz [1] und Konsorten zu Tausenden zu erwachen glauben, indem sie ihre kleinbürokratische Verbitterung durch den Trödel einer hinfälligen revolutionären Phraseologie ausgleichen. Die Inszenierung der Verdinglichung zum Spektakel [2] innerhalb des modernen Kapitalismus zwingt jedem eine Rolle in der generalisierten Passivität auf. Der Journalist entgeht diesem Gesetz nicht. Es ist eine provisorische Rolle, die ihn auf die endgültige vorbereitet, die er als positives und bewahrendes Element im Warensystem erfüllen wird. Nichts anderes als ein Einführungsritus. Diese Einführung hat auf magische Weise zu allen Kennzeichen der mythischen Einführung zurückgefunden. Sie bleibt völlig von der historischen, individuellen und gesellschaftlichen Wirklichkeit abgeschnitten. Der Journalist ist ein Wesen, das zwischen einem gegenwärtigen und einem zukünftigen Status steht, die säuberlich voneinander getrennt sind, und deren Grenze mechanisch überschritten wird. Sein schizophrenes Bewußtsein erlaubt es ihm, sich innerhalb einer "Einführungsgesellschaft" zu isolieren, seine Zukunft zu verkennen und sich am Erlebnis der mystischen Einheit zu berauschen, die ihm von einer vor der Geschichte geschützten Gegenwart angeboten wird. Der Hebel für die Umkehrung der offiziellen Wahrheit, d.h. der ökonomischen, kann so einfach entlarvt werden: es ist hart, der journalistischen Realität ins Gesicht zu sehen. Innerhalb einer "Überflußgesellschaft" hat der Journalist den gegenwärtigen Status einer äußersten Armut. Obwohl mehr als 80% von ihnen aus Bevölkerungsschichten stammen, deren Einkommen das eines Arbeiters übersteigt, verfügen 90% von ihnen über weniger Mittel als der einfachste Lohnempfänger. Das journalistische Elend bleibt hinter dem der Gesellschaft des Spektakels zurück, hinter dem neuen Elend des neuen Proletariats. In einer Zeit, wo ein wachsender Teil der Jugend sich immer mehr von den moralischen Vorurteilen und der familiären Autorität befreit, um so früh wie möglich in die Beziehungen einer offenen Ausbeutung einzutreten, bleibt der Journalist auf jeder Ebene auf einer verantwortungslosen, folgsamen und "verlängerten Unmündigkeit". Während seine verspätete jugendliche Krise ihn etwas in Opposition zu seiner Familie bringt, so akzeptiert er ohne weiteres, in den verschiedenen Institutionen, die sein alltägliches Leben regeln, wie ein Kind behandelt zu werden. [3] Die Kolonisierung der verschiedenen Sektoren der gesellschaftlichen Praxis findet nur in der Journalistenwelt ihren grellsten Ausdruck. Die Übertragung des gesamten schlechten Gewissens der Gesellschaft auf die Journalisten verschleiert das Elend und die Knechtschaft aller. Aber die Gründe für unsere Verachtung des Journalisten sind ganz anderer Art. Sie betreffen nicht nur sein wirkliches Elend, sondern seine Gefälligkeit gegenüber jedem Elend, seine ungesunde Neigung, glückselig Entfremdung in der Hoffnung zu konsumieren, angesichts allgemeiner Interessenlosigkeit das Interesse auf seinen eigenen Mangel zu lenken. Der moderne Kapitalismus bewirkt zwangsläufig, daß der größte Teil der Journalisten ganz einfach zu kleinen Kadern wird (d.h. das Äquivalent für den Facharbeiter im 19. Jahrhundert) [4]. Gegenüber dem elenden, leicht vorauszuahnenden Charakter dieser mehr oder weniger nahen Zukunft, die ihn für das schmachvolle "Elend der Gegenwart" entschädigen soll, zieht der Journalist es vor, sich seiner Gegenwart zuzuwenden, und sie mit illusorischem Prestige auszuschmücken. Die Kompensierung selbst ist allzu kläglich; der Morgen wird kein roter Morgen sein und zwangsläufig in der Mittelmäßigkeit schwimmen. Deshalb flieht er in eine unwirklich gelebte Gegenwart. Wie ein stoischer Sklave glaubt der Journalist sich umso freier, je mehr alle Ketten der Autorität ihn fesseln. Genau wie seine neue Familie, die Redaktion, hält er sich für das gesellschaftliche Wesen mit der größten "Autonomie", während er doch gleichzeitig und unmittelbar von den zwei mächtigsten Systemen der sozialen Autorität abhängt: der Familie und dem Staat. Er ist ihr ordentliches und dankbares Kind. Nach derselben Logik eines untergeordneten Kindes hat er an allen Werten und Mystifikationen des Systems teil und konzentriert sie in sich. Was einst den Lohnabhängigen aufgezwungene Illusionen waren, wird heute zu einer von der Masse der zukünftigen kleinen Kader verinnerlichten und getragenen Ideologie. Während das alte soziale Elend die grandiosesten Kompensierungssysteme der Geschichte (die Religion) erzeugt hat, so hat das journalistische marginale Elend seinen Trost nur in den abgenutztesten Bildern der herrschenden Gesellschaft gefunden, in der grotesken Wiederholung all ihrer entfremdeten Produkte. Der französische Journalist kommt in seiner Eigenschaft als ideologisches Wesen zu allem zu spät. Alle Werte und Illusionen, auf die seine abgeschlossene Welt stolz ist, sind schon als unhaltbare und seit langem durch die Geschichte lächerlich gemachte Illusionen verurteilt. Da für ihn noch einige Krümel vom Prestige der Presse abfallen, freut sich der Journalist immer noch, Journalist zu sein. Zu spät. Die mechanisierte und spezialisierte Arbeit, die er ausführt, ist ebenso heruntergekommen (im Verhältnis zum früheren Niveau bürgerlicher Allgemeinbildung) [5] wie sein eigenes intellektuelles Niveau im Augenblick seines Arbeitsantritts, aus der einzigen Tatsache heraus, daß das alles beherrschende ökonomische System die Massenhestellung ungebildeter und zum Denken unfähiger Journalisten verlangt. Der Journalist ignoriert, daß die Presse zu einer - institutionalisierten - Organisation des Unwissens geworden ist, daß die "hohe Kultur" selbst sich im selben Tempo wie die Serienproduktion von Redakteuren auflöst, daß alle Redakteure Kretins sind, von denen die meisten sich in jedweder Schülerzeitung blamieren würden. Er gehorcht seinen Redakteuren auch weiterhin mit Respekt, mit dem bewußten Willen, jeden kritischen Geist aufzugeben, um sich besser mit den anderen in der mystischen Illusion einig zu fühlen, "Journalist" geworden zu sein, jemand, der sich ernsthaft damit beschäftigt, sich ein ernsthaftes Wesen in der Hoffnung anzueignen, man werde ihm auch die letzten Wahrheiten anvertrauen. Das sind die Wechseljahre des Geistes. Alles, was sich heute in den Amphitheatern der Zeitungen und Redaktionen abspielt, wird in der zukünftigen revolutionären Gesellschaft als gesellschaftlich schädlicher Lärm verurteilt. Schon jetzt bringt der Journalist alle zum Lachen. Dem Journalisten wird nicht einmal bewußt, daß die Geschichte auch seine lächerliche "abgeschlossene" Welt verändert. Die berühmte "Krise der Presse", Detail einer allgemeineren Krise des modernen Kapitalismus, bleibt Gegenstand eines tauben Dialogs zwischen verschiedenen Spezialisten. In ihr kommen ganz einfach die Schwierigkeiten einer verspäteten Anpassung dieses besonderen Produktionssektors an die Umwandlung des gesamten Produktionsapparates zum Ausdruck. Die Überreste der alten Ideologie einer liberal-bürgerlichen Presse werden in dem Augenblick nichtssagend, wo ihre gesellschaftliche Basis verschwindet. Die Presse konnte sich in der Epoche des Freihandelskapitalismus und seines liberalen Staates als autonome Macht verstehen, da er ihr eine gewisse marginale Freiheit gewährte. Sie hing in Wirklichkeit eng von den Bedürfnissen dieser Art von Gesellschaft ab: der privilegierten abonnierten Minderheit einen angemessenen Informationsvorsprung zu vermitteln, bevor sie sich wieder in die herrschende Klasse einreiht, die sie kaum verlassen hatte. Daher das Lächerliche an diesen nostalgischen Redakteuren [6], die darüber verbittert sind, ihre alten Funktionen als Hofhunde der zukünftigen Herren für die viel weniger edle von Schäferhunden eingetauscht zu haben, die die "Weiße-Kragen"-Herren in ihre jeweiligen Fabriken und Büros treiben. Gerade sie setzen ihre Altertümlichkeit der Technokratisierung der Presse entgegen und fahren unbeirrt fort, mit den übriggebliebenen Brocken einer sogenannten Berichterstattung künftige Spezialisten zu füttern, die damit nichts anzufangen wissen. Ernster und damit gefährlicher sind die Modernisten der Linken und der UNJF, die von den "Ultras" der FGJL geführt eine "Reform der Pressestruktur", eine "Reintegrierung der Presse in das Gesellschafts- und Wirtschaftsleben" fordern, d.h. ihre Anpassung an die Bedürfnisse des modernen Kapitalismus. Die verschiedenen Redaktionen und Zeitungen, die noch mit anachronistischem Prestige dekoriert sind, werden von Verteilungsstätten der "Berichterstattung" zum Gebrauch für die herrschenden Klassen zu Fabriken der hastigen Aufzucht von kleinen und mittleren Kadern umgewandelt. Weit davon entfernt, diesen geschichtlichen Prozess zu kritisieren, der einen der letzten relativ autonomen Sektoren des gesellschaftlichen Lebens den Forderungen des Warensystems unterwirft, protestieren unsere Fortschrittsjünger gegen Verspätungen und Stockungen auf dem Weg zu seiner Verwirklichung. Sie sind die Befürworter der zukünftigen kybernetisierten Presse, die sich schon hier und dort ankündigt [7]. Das Warensystem und seine modernen Diener, das ist sein Feind. Diese ganze Debatte geht aber, wie nicht anders zu erwarten, über die Köpfe der Journalisten hinweg, in den Himmel ihrer Lehrer, und entgeht ihnen völlig: die Gesamtheit ihres Lebens, und erst recht des Lebens überhaupt entgeht ihnen. Seine äußerst ärmliche ökonomische Lage verurteilt den Journalisten zu einer sehr wenig beneidenswerten Form des Überlebens. Aber immer mit sich zufrieden erhebt er sein triviales Elend zu einem originellen "Lebensstil": kultivierte Armut und Boheme. Die "Boheme", die bereits weit davon entfernt ist, eine originelle Lösung zu sein, wird nur nach einem endgültigen und unabänderlichen Bruch mit dem Journalistenmilieu echt gelebt werden. Ihre Anhänger unter den Journalisten (und alle kokettieren damit, es ein wenig zu sein) klammern sich also lediglich an eine künstliche und heruntergekommene Version dessen, was bestenfalls nur eine mittelmäßige individuelle Lösung ist. Damit verdienen sie sogar die Verachtung von alten Damen auf dem Lande. Dreißig Jahre nach Wilhelm Reich [8], diesem hervorragenden Erzieher der Jugend, haben diese "Originale" immer noch die traditionellsten Erotik- und Liebseverhaltensweisen und reproduzieren in ihren sexuellen Beziehungen die allgemeinen Beziehungen der Klassengesellschaft. Die Fähigkeit des Journalisten, einen Militanten jeden Kalibers abzugeben, sagt viel über seine Impotenz. Innerhalb des Spielraums individueller Freiheit, der durch das totalitäre Spektakel erlaubt wird, und trotz seines mehr oder weniger flexiblen Stundenplanes ignoriert der Journalist immer noch das Abenteuer und zieht die ihm knapp bemessene alltägliche Raumzeit vor, die für ihn von den Wächtern desselben Spektakels eingerichtet worden ist. Ohne dazu gezwungen zu sein, trennt er von sich aus Arbeit und Freizeit, wobei er eine scheinheilige Verachtung für die "Schnüffler" und diejenigen an den Tag legt, die "den Storys nachjagen". Er billigt alle Trennungen und beklagt sich dann in verschiedenen religiösen, sportlichen, politischen oder gewerkschaftlichen "Zirkeln" über die Nichtkommunikation. Er ist so dumm und so unglücklich, daß er sich sogar spontan und massenweise der parapolizeilichen Kontrolle von Psychiatern und Psychologen anvertraut, die ihm die Avantgarde der modernen Unterdrückung zur Verfügung stellt, und die folglich von seinen "Vertretern" begrüßt wird, die diese "Pressebüros für psychologische Hilfe" (BAPR) für eine unerläßliche und verdiente Errungenschaft halten. [9] Aber das wirkliche Elend des journalistischen Alltags findet seinen unmittelbaren und fantastischen Ausgleich in seinem hauptsächlichen Opium: der kulturellen Ware. Im kulturellen Spektakel findet der Journalist ganz natürlich seinen Platz als respektvoller Schüler wieder. Nahe am Ort der Produktion, aber ohne ihn jemals zu betreten - das Heiligtum bleibt ihm untersagt - entdeckt der Journalist die "modeme Kultur" als bewundemder Zuschauer. In einer Epoche, wo die Kunst tot ist, bleibt er nahezu allein den Theatern und Filmklubs treu und der gierigste Konsument ihres Leichnams, der tiefgekühlt und zellophanumhüllt in den Supermärkten an die Hausfrauen des Überflusses verteilt wird. Er nimmt ohne Vorbehalt, ohne Hintergedanken und ohne Distanz daran teil. Da ist er in seinem natürlichen Element. Wären die "Häuser der Kultur" nicht vorhanden, der Journalist hätte sie erfunden. Er bestätigt vollkommen die banalsten Marktanalysen amerikanischer Soziologen: ostentativer Konsum, Differenzierung in der Werbung zwischen Produkten gleicher Nichtigkeit (Perec oder Robbe-Grillet, Godard oder Lelouch). Sobald die "Götter", die sein kulturelles Spektakel produzieren und organisieren, auf der Bühne leibhaftig werden, ist er ihnen ein treues Publikum, wie sie es sich erträumt haben. So nimmt er massenhaft an ihren obszönsten Darstellungen teil; wer, wenn nicht er, würde die Säle füllen, wenn z.B.: die Pfaffen der verschiedenen Kirchen ihre uferlosen Dialoge öffentlich vortragen (Wochen des sogennanten marxistischen Denkens, Tagungen katholischer Intellektueller) oder wenn die Überreste der Literatur ihre Unfähigkeit feststellen (fünftausend Journalisten bei der Veranstaltung "Was kann die Literatur?"). Echter Leidenschaft unfähig findet er seine höchste Lust in leidenschaftslosen Polemiken zwischen den Stars der Nicht- Intelligenz über falsche Probleme, deren Funktion es ist, die wirklichen zu verschleiern: Althusser - Garaudy - Sartre - Barthes - Picard - Lefebvre - Levi Strauss - Halliday - Chatelet - Antoine. Humanismus - Existenzialismus - Strukturalismus - Szientismus - Neuer Kritizismus -Kybernetismus - Planetismus - Metaphilosophismus. In seiner Beflissenheit wähnt er sich zur Avantgarde gehörig, weil er den letzten Film Godards besprochen, das letzte argumentistische [10] Buch rezensiert, beim letzten Happening Lapassads, dieses Arschlochs, mitgemacht hat. Dieser Ignorant hält den blassesten Ersatz alter Experimente, die in ihrer Epoche wirklich wichtig waren und für den Markt versüßt worden sind, für "revolutionäre", durch Markenzeichen garantierte Neuheiten. Die Hauptsache ist immer, seinen kulturellen Standard zu wahren. Der Journalist ist wie jedermann stolz darauf, in Taschenbuchausgaben einer Reihe wichtiger und schwieriger Texte zu publizieren, die die "Massenkultur" in beschleunigtem Rhythmus auf den Markt wirft. [11] Nur kann er nicht schreiben. Er begnügt sich damit, mit den Augen zu konsumieren. Sein bevorzugter Arbeitsplatz bleiben die Fachzeitschriften, die den wahnsinnigen Konsum an Kulturgadgets orchestrieren; willig akzeptiert er ihre Werbebefehle und macht daraus das Standardmuster seines Geschmacks. Er findet seine größte Freude immer noch beim Schreiben in "Express" und "Le Nouvel Observateur" oder glaubt, "Le Monde", deren Stil ihn bereits überfordert, sei eine wahrhaft "objektive" Zeitung, die die Aktualität widerspiegelt. Um seine Sprachbeherrschung zu verbessern, schreibt er in "Planete", der magischen Zeitschrift, die alle Falten und Pickel der alten Gedanken abschafft. Mithilfe solcher Texte glaubt er, an der modernen Welt teilzuhaben und sich mit der Politik vertraut zu machen. Denn der Journalist freut sich mehr als alle anderen, politisiert zu sein. Er ignoriert bloß, daß er hieran durch dasselbe Spektakel teilhat. So eignet er sich all die lächerlichen zerfetzten Überbleibsel einer Linken wieder an, die schon vor mehr als vierzig Jahren durch den "sozialistischen" Reformismus und die stalinistische Konterrevolution vernichtet wurde. Während die Macht das klar und die Arbeiter es auf konfuse Weise sehen, ignoriert der Journalist es immer noch. Mit schwachsinnigem Stolz nimmt er an den lächerlichsten Manifestationen teil, die nur ihn reizen. Bei ihm findet man das falsche politische Bewußtsein im Reinzustand und er bildet die ideale Basis fur die Manipulationen der gespensterhaften Bürokraten der sterbenden Organisationen (von der sogenannten KP bis zur UNJF). Diese programmieren totalitär seine politische Linie; jede Abweichung oder Anwandlung von "Unabhängigkeit" fügt sich nach einer Parodie des Widerstands wieder in eine Ordnung ein, die niemals einen Augenblick lang in Frage gestellt wurde. [12] Wenn er glaubt, sich darüber hinwegzusetzen, wie diese Leute, die sich durch eine wirkliche Krankheit der werbungsartigen Umkehrung, JCR (Jeunesse Communiste Revolutionnaire, Revolutionäre Kommunistische Jugend) nennen, während sie weder jung, kommunistisch noch revolutionär sind, dann nur, um sich freudig an die päpstliche Parole anzuschließen: "Friede in Vietnam". Der Journalist ist stolz darauf, sich den "Archaismen" eines De Gaulle zu widersetzen, versteht aber nicht, daß er es im Namen vergangener Irrtümer tut, erkalteter Verbrechen (wie z.B. der Stalinismus in der Zeit von Togliatti - Garaudy - Chruschtschow - Mao), und daß damit seine Journale noch viel archaischer sind als die Macht, die effektiv über alles verfügt, was nötig ist, um eine moderne Gesellschaft zu verwalten. Aber beim Journalisten kommt es auf einen Archaismus mehr oder weniger nicht an. So glaubt er, daß er allgemeine Ideen über alles haben muß, geschlossene Weltanschauungen, die seinem Bedarf an Unruhe und asexueller Promiskuität einen Sinn geben. Hintergangen durch die letzten Fieberanfälle der Kirche stürzt er sich deshalb auf das Gerümpel der Gerümpel, um den verwesten Kadaver Gottes anzubeten und sich an die zerfallenen Überbleibsel der vorgeschichtlichen Religion zu klammem, die er seiner und seiner Zeit würdig glaubt. Man wagt kaum zu betonen, daß das journalistische Milieu zusammen mit dem der alten Landweiber, der Sektor mit dem größten Prozentsatz an praktizierter Religion und immer noch das beste "Missionsgebiet" ist (während in allen anderen die Pfaffen entweder aufgefressen oder verjagt worden sind), wo Journalistenpriester unverhohlen tausende von Journalisten in ihrem geistlichen Scheißhaus weiter sodomisieren. Sicherlich gibt es trotz allem unter den Journalisten einige von genügendem intellektuellem Niveau. Diese meistern ohne Mühe die elenden Sprachstandards, die auf die Mittelmäßigen zugeschnitten sind, und sie meistem sie gerade deswegen, weil sie das System durchschaut haben, es verachten und wissen, daß sie seine Feinde sind. Sie nehmen sich das Beste, was das Pressesystem zu bieten hat: die Freiexemplare. Indem sie die Lücken der Kontrolle ausnutzen, deren eigene Logik sie hier und heute dazu zwingt, einen kleinen rein redaktionellen Bereich der "Berichterstattung" aufrechtzuerhalten, treiben sie ruhig die Unruhe bis auf die Spitze: ihre offene Verachtung für das System paart sich mit der Hellsichtigkeit, die es ihnen gerade emmöglicht, stärker als die Diener des Systems zu sein - und zwar zuerst auf intellektuellem Gebiet. Diejenigen, von denen wir sprechen, gehören bereits zu den Theoretikern der kommenden revolutionären Bewegung und sind sich dessen bewußt, daß sie mit ihr zugleich an die Öffentlichkeit treten werden. Sie verheimlichen niemandem, daß sie das, was sie so leicht dem "Pressesystem" entnehmen, zu dessen Zerstörung benutzen. Denn der Journalist kann gegen nichts rebellieren, ohne gegen seine Journale zu rebellieren, und er spürt die Notwendigkeit dieser Rebellion weniger natürlich als der Arbeiter, der spontan gegen seine Lage rebelliert. Aber der Journalist ist ein Produkt der modernen Gesellschaft, genau wie Godard und Coca-Cola. Seine extreme Entfremdung kann nur durch die Kritik der ganzen Gesellschaft kritisiert werden. Keinesfalls kann diese Kritik auf dem journalistischen Gebiet vollzogen werden: der Journalist als solcher maßt sich einen Pseudowert an, der ihm verbietet, sich seiner wirklichen Enteignung bewußt zu werden und er bleibt damit auf dem Gipfel des falschen Bewußtseins. Aber überall dort, wo die moderne Gesellschaft kritisiert zu werden beginnt, bricht eine Revolte des Journalismus los, die unmittelbar einer totalen Kritik des journalistischen Verhaltens entspricht. Anmerkungen: [1] Kravetz, Marc, genoß einen gewissen Ruf in den herrschenden UNJF-Kreisen, als ein eleganter Parlamentarier beging er den Fehler, sich in die "theoretische Forschung" zu wagen: 1964 veröffentlichte er in den "Temps Modernes" eine Apologie des journalistischen Syndikalismus, die er ein Jahr später in derselben Zeitschrift widerruft. [2] Selbstverständlich gebrauchen wir die Begriffe Spektakel, Rolle usw. im situationistischen Sinn. [3] Wo ihn keiner anscheißt, tritt man ihm in den Arsch. [4] Aber ohne das revolutionäre Bewußtsein; der Arbeiter hatte nicht die Illusion des Aufstiegs. [5] Wir sprechen hier nicht von der Ecole NS oder den Sorbonneärschen, sondern von den Enzyklopädisten oder der Hegels. [6] Da sie nicht wagen, sich auf den philisterhaften Liberalismus zu berufen, erfinden sie den Bezug zu Pressefreiheiten des Mittelalters, der Epoche der "Demokratie der Unfreiheit". [7] vgl. Sit. Int. No. 9, Korrespondenz mit einem Kybernetiker und das situationistische Flugblatt "Die Schildkröte im Schaufenster" gegen den Neo- Professor A. Moles. [8] vgl. "Der sexuelle Kampf der Jugend" und "Die Funktion des Orgasmus". [9] Für die übrige Bevölkerung ist die Zwangsjacke nötig, damit sie sich vor dem Psychiater in seiner Asylfestung vorstellt. Für den Journalisten genügt die Bekanntmachung, daß vorgeschobene Kontrollposten innerhalb des Ghettos eröffnet worden sind: er stürzt sich dorthin; sodaß die Ausgabe von Laufnummern nötig ist. [10] Über die argumentistische Gang und das Eingehen ihres Organs siehe das 1963 von der S.I. verteilte Flugblatt "In die Mülleimer der Geschichte". [11] Hier kann man nur die Lösung empfehlen, die von den Intelligentesten schon praktiziert wird: die Bücher zu stehlen. [12] vgl. die letzten Abenteuer der UJC (Union des Journalistes Communistes, Vereinigung der kommunistischen Journalisten) und ihrer christlichen Brüder; sie zeigen, daß die einzige Gemeinsamkeit all dieser Leute ihre bedingungslose Unterwerfung unter ihre Herren ist. ________________________________________________________________________________ no copyright 2000 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. post to the list: mailto:inbox@rolux.org. more information: mailto:minordomo@rolux.org, no subject line, message body: info rolux. further questions: mailto:rolux-owner@rolux.org. home: http://rolux.org/lists - archive: http://rolux.org/archive