________________________________________________________________________________ Jungle World 45/2000 Die Kanaken sind wir Eine einheitliche Linke existiert nicht mehr. Wer ihre Zersplitterung akzeptiert, kann identitäre von politischen Projekten unterscheiden. Von Mark Terkessidis Die Linke, die Linke, die Linke - wie ich diese Diskussionen schon immer gehasst habe. Was haben »wir« nur falsch gemacht? Wie konnte es dazu kommen, dass »unsere« Bedeutung heute mit der Bezeichnung »Rest« nur noch euphemistisch beschrieben wäre und die Bahamas unser einziges Wirkungsfeld wurden? Stefan Wirner hatte auch gleich eine Antwort parat: Als Deutschland - dieses Ungeheuer mit seinem rassistischen Kopf im neuen Berlin und seiner kriegerischen Schwanzflosse in Serbien - sein Haupt wieder erhob, hat es die arme Linke endgültig unter sich begraben. »Wir« sind entweder mit fliegenden Fahnen übergelaufen oder einfach überflüssig geworden. Aber wer waren »wir« eigentlich? Waren »wir« »die« Linke, »die Neue« Linke oder gar »die radikale« Linke? Und wenn »wir« radikal waren, was bedeutete das genau? Oder reden wir von der diffusen Verbreitung kulturrevolutionärer Praktiken im Gefolge von »68«? Die meisten der Autoren in dieser Reihe waren sich darüber einig, dass die Identität der alles entscheidende Faktor im Versagen der Linken war. Aber vielleicht ist gerade der Mythos »der« Linken nichts weiter als ein identitärer Referenzpunkt, eine nostalgische Erinnerung an einen Moment reinster kämpferischer Einheit, der dann von allen möglichen unpolitischen Identitäten böswillig zersetzt wurde. Wie hätten »wir« da noch Deutschland etwas entgegensetzen können? Ich fand es daher erhellend, dass die Sprechenden ihren politischen Hintergrund beschrieben. Allerdings hat das meine Probleme nicht unbedingt verringert. Ich habe mittlerweile Vorurteile gegen fast jeden, der in den siebziger Jahren in irgendeiner Gruppe war, die »Kommunismus« oder »Revolution« im Namen trug. Diese Ressentiments haben selbstverständlich den von Thomas Seibert schon erwähnten Grund, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der heute tonangebenden politischen und intellektuellen Eliten sich aus dem Pool solcher Grüppchen rekrutierte. Dabei brachten die meisten ein beträchtliches argumentationsstrategisches Vermögen mit, das heute dazu beiträgt, selbst noch die grausamste neoliberale Maßnahme im dialektischen Sinn als Fortschritt zu verkaufen. Meine Abneigung hat aber auch damit zu tun, dass, wie ich denke, auch die Diskussionen im weiten Feld der »radikalen« Linken in den neunziger Jahren von ehemaligen Mitgliedern irgendwelcher K- Gruppen beherrscht wurden - seien es die Auseinandersetzungen um die Kurzschen Invektiven gegen den Arbeiterbewegungsmarxismus, um den Anti-Antisemitismus- bzw. Anti-Antiimperialismus, um »Polit«- oder »Pop«-Linke oder über »anti-deutsch« und »anti- national« etc. Dabei vollzogen sich diese Auseinandersetzungen oft genug in der traditionellen Rhetorik und mit dem traditionellen Mittel der Abspaltung. Tatsächlich schien es mir oft genug sinnlos, noch zu argumentieren, weil alle Gespräche darauf hindeuteten, dass es gar nicht um den Austausch von Argumenten ging. Im Vordergrund stand eher die strategische Verteidigung der neuesten absoluten Wahrheit - in strikter Abgrenzung zu »der« oder »der radikalen« Linken oder auch der eigenen Mini-Politgruppe, die man mit »der« oder »der radikalen« Linken verwechselte. Tatsächlich begründete diese Wahrheit, die mit allen verfügbaren Tricks verteidigt wurde, eben nicht mehr als Identitäten. Ich erinnere mich noch gut an eine Veranstaltung mit Bahamas- Mitgliedern in Köln, auf der sie sich genüsslich am Vorschlag der »Zerschlagung Deutschlands« delektierten, an der späten Realisierung des Morgenthau-Plans. Die Tatsache, dass die Redner selbst - im staatsbürgerlich-ethnischen Sinn - diesem Kollektiv angehörten, welches sie so wortreich zu vernichten trachteten, spielte dabei keine Rolle. Was aber könnte mehr »Identitätspolitik« sein als ein Mechanismus, der durch die pauschale Ablehnung Deutschlands eine gute Gemeinschaft entstehen lässt - außerhalb des schlimmen Deutschland, auf den Bahamas. Ich halte das freilich für einen generellen Mechanismus im deutschen Antirassismus: Durch die Ablehnung Deutschlands eine Selbststigmatisierung herbeizuführen, welche die Kritiker an die Seite der Opfer bringt, beziehungsweise sie sogar den Platz des Opfers einnehmen lässt. Die ersten Auswanderungsphantasien waren 1992 ja nicht von Migrant/innen zu hören, sondern von radikalen Linken. Insofern kam das ideelle linke Gesamt-»Wir« auch fast immer ohne Migrant/innen aus: Man war sich letztlich selbst schon »Ausländer« genug. Eine Position wie jene von Jean-Paul Sartre während des antikolonialen Kampfes war hierzulande nicht einmal ansatzweise denkbar. Er versuchte, das »rassische« Kollektiv von innen zu zersetzen, indem er sich mit einschloss: »Wir sind widerlich.« Ich bin im Übrigen überhaupt nicht in »der« Linken sozialisiert worden. Im Jahr 1966 geboren, kenne ich etwa K-Gruppen nur von Ständen des KBW in meiner Heimatstadt, wo ich 1979 Broschüren über den heldenhaften Kampf der kambodschanischen Kommunisten erwarb. Das erschien mir allerdings wenig attraktiv. Meine Politisierung begann mit einer provinziellen und vollkommen widersprüchlichen Mischung aus Friedensbewegung, Labour-Party- Postmodernismus via BritPop und Neuer Deutscher Welle. Die Friedensbewegung war ganz sicher keine Schule für theoretische Bildung, aber in einer Kleinstadt bot die lokale Gruppe ein grandioses praktisches Experimentierfeld. Seitdem habe ich mich mit Hausbesetzungs-Solidarität, Studentenprotesten, Subkultur, Konterrevolutionsabwehr, Stadtpolitik und Antirassismus/Kanakismus durch etliche Minigruppen gehangelt. Und ich bekenne: Ich habe schon immer eine Politik bevorzugt, deren Ausgangspunkt Differenz war - in welcher Beziehung auch immer. Selbstverständlich spielte in keiner dieser Gruppen der Rekurs auf »die« Linke praktisch eine Rolle. Zudem ging es nie darum, die ständig aufbrechenden Widersprüche zu verleugnen oder die gelebte Solidarität für mehr als vorübergehend zu halten. Der mythische Rekurs auf »die« Linke jedenfalls orientiert die Projekte der Zukunft auf Fatalismus oder Nostalgie. Wirner ist offenbar vom Zug der deutschen Einheit überfahren worden, Klopotek hält sich an den Distanzprofi Adorno, Kirsche fordert die Rekonstruktion der Kritik und Seibert wünscht sich eine Übergangspraxis mit Nabelschnur zu dem, »was unerfüllt geblieben ist«. Man könnte diese Liste beliebig auch international mit Namen anreichern: Der Marxist Slavoj Zizek etwa fordert »Zurück zur Politik«, der Anarchist Noam Chomsky will »Zurück zum (Wohlfahrts)Staat«. Tatsächlich finde ich es überhaupt nicht verwunderlich, dass nur in dem an konkreten Interventionen von Migrant/innen angelehnten Text von Bojadzijev, Karakayali und Tsianios von »neu erworbenen sozialen Positionen« und der »Dynamisierung der unterschiedlichen Erzählungen« die Rede ist - und eben nicht von einem »zurück zu«. Mittlerweile ist die besinnliche Reflexion der Fehler »der« Linken eben selbst zu einem identitären und damit zutiefst statischen Moment geworden. Daher muss es meiner Meinung nach ein Ausgangspunkt politischer Praxis werden, dass »die« Linke nicht mehr existiert. Was existiert, ist ein Bündel von »neu erworbenen sozialen Positionen« und ein weiteres Bündel von größeren und kleineren Erzählungen und Widerstandspraktiken. Die mythische Einheit kann keine Grundlage bieten, erst wenn man die Zersplitterung akzeptiert hat, lassen sich rein identitäre und tatsächlich politische Projekte auseinanderhalten. Es macht eben einen Unterschied, ob etwa der Begriff Kanake dazu verwendet wird, sich in der eigenen geilen Differenz häuslich einzurichten, oder ob dieser Begriff nicht nur eine bestimmte Gruppe von Menschen, sondern auch einen gesellschaftlichen Skandal beschreibt. Tatsächlich gibt es nichts, worüber wir nicht reden könnten, wenn wir über Kanaken reden: Man könnte damit die Avantgarde arbeitsrechtlicher Aufweichungen bezeichnen oder das Modell für eine neue Qualität der stigmapolitischen Ausgrenzung von sozial benachteiligten Gruppen. Der Kanake ist also voll und ganz universalisierbar. »Die« Linke schon lange nicht mehr. Und daher: Sehne dich nicht nach »der« Linken. Universalisiere dein Fragment und verhandele mit anderen über mögliche Solidarität. Wir - und dieses Wort ist nichts als ein Vorgriff auf die Zukunft - müssen vorwärts ins Politische gehen. http://www.jungle-world.com/_2000/45/05a.htm ________________________________________________________________________________ no copyright 2000 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. post to the list: mailto:inbox@rolux.org. more information: mailto:minordomo@rolux.org, no subject line, message body: info rolux. further questions: mailto:rolux-owner@rolux.org. home: http://rolux.org/lists - archive: http://rolux.org/archive